Kapitel #030

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Fit und überraschend motiviert und wach betrat ich den mir gut bekannten Trainigsraum. Nachdem ich gestern Alex die ganze Geschichte von Flynt erzählt hatte, war ich sofort in mein Zimmer getrottet und habe bis heute Morgen durchgeschlafen. An irgendeine besondere Reaktion von Alex zur Flynt-Geschichte kann ich mich nicht erinnern. Ist jetzt ja auch egal, jetzt kann ich endlich mal wieder trainieren. Es kam mir vor, als hätte ich vor Jahren das letzte mal den Trainigsraum betreten, dabei war das ja nur ein paar Tage her. Aber in den paar Tagen ist so viel passiert... wenn ich daran zurück denk schwirrt mir der Kopf. Aber jetzt kann ich für ein paar Wochen hoffentlich mal wieder 'Alltag' in mein Leben bringen. Außerdem brauche ich das Trainig jetzt wirklich. Es wird mich ablenken. Von den Dingen und Personen, an die ich wenn möglich keinen einzigen Gedanken mehr verschwenden will. Ehrlich gesagt habe ich auch keine Lust, nach dem Anfangstrainig zum Frühstück zu gehen. Aus Angst, ich konnte gewisse Leute gewisse Dinge tun sehen, die ich unter keinen Umständen sehen will. Doch Alex wird mir wohl kaum eine Wahl lassen. Wenigstens hatte ich jetzt richtig Lust, auf einen Boxsack einzuprügeln oder Ähnliches. Ja, das macht mit Sicherheit Spaß. Ich muss so oder so mal in meiner Ausbildung voran kommen, schließlich muss ich früher oder später mal die Welt vor der Regierung retten. Aber bis dahin dauert es hoffendlich noch ein bisschen. Jetzt setzte ich mich erstmal mit Waffen und Kampf auseinander. Ich kann es kaum erwarten, mich richtig wehren zu können. Dann konnte mir keiner was. Dann bin ich stark.

"Wir fangen mit Nahkampf an. Klassisches Kick-Boxen. Das ist am effektivsten und einfachsten. Wenn du das beherrschst, können wir uns auch noch an anderen Nahkampfsportarten versuchen. Natürlich nur, wenn uns die Zeit bleibt" erklärte Alex mir, während er die dicke Bodenmatte betrat. Etwas zögerlich folgte ich ihm, bis ich ihm gegenüber stehen blieb. Jetzt begann also das Kampftrainig und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich wäre nicht aufgeregt. "Als erstes konzentrieren wir uns aufs Ausweichen. Dabei ist wichtig, dass du immer auf den ganzen Körper des anderen guckst. Schau ihm nicht in die Augen, dann siehst du nämlich nicht, was er gerade mit seinen Füßen macht. Also immer auf die Brust gucken. Wir probieren das jetzt gleich mal" sagte Alex und schaute mich fragend an. Ich nickte, als Zeichen dafür, dass ich bereit war und lag nur einen Herzschlag später auf der Matte. Ich hatte nicht mal richtig mitbekommen, wie er mich umgestoßen hat. "Okay" sagte mein Trainer, während er mir auf die Beine half "Zuerst brauchst du einen stabileren Stand. Dann kommst du nicht so leicht zu Fall. Dazu stellst du deine Füße etwa Schulterbreit auseinander, verteilst dein Gewicht gleichmäßig auf beide Füße und winkelst Knie und Ellbogen leicht an. Genau so. Und schon stehst du viel fester". Nachdem ich diese Körperhaltung angenommen hatte, begann er erneut mit seinem 'Angriff'. Allerdings lag ich wenig später wieder auf der Matte. "Was hab ich jetzt falsch gemacht?" fragte ich und rappelte mich auf. "Du musst flinker werden. Gleich nochmal". "Wie oft?" fragte ich aus Gewohnheit vom Muskelaufbau-Training. "Bis du mindestens eine Minute stehen bleibst. Und morgen bis du zwei Minuten stehen bleibst. Und übermorgen drei. Und so weiter, bis du nicht mehr umfällst".

Am Nachmittag fingen wir noch mit der zweiten Einheit des Kampf-Trainings an: den Waffen. Nicht nur Schusswaffen sondern auch klassische Waffen wie Pfeil und Bogen, Messer, Speere und Schwerter. Letztendlich sollte ich mit allem, was mir zur Verfügung steht, mich verteidigen können. Im Notfall auch mit Händen und Füßen. Ich stand neben Alex und vor uns breitete sich eine meterlange Bahn aus, an deren Ende mehrere Ziele aus Pappe aufgebaut waren. Ich hatte eine kleine Pistole in der Hand und starrte konzentriert auf das mittlere Ziel. In der sonst makellosen, weißen Styroporwand hinter dem Pappziel waren vier Einschusslöcher zu sehen. Das liegt daran, dass ich schon vier mal verschossen habe. Aber es ist auch mein erstes Mal das ich schieße. Und natürlich bin ich kein Naturtalent. Mein Blick klebte an der Pappfigur, während ich behutsam meinen Figer anspannte und schließlich den Abzug betätigte. Ein Ruck zog durch meinen Körper, ließ mich einen Augenblick das Gleichgewicht verlieren und meine Hand nach oben verreißen. Einen Moment hatte ich ein gutes Gefühl und dachte, dass es dieses mal vielleicht funktioniert hätte. Doch als ich den Kopf hob sah ich, dass ich schon wieder nicht getroffen habe. Enttäuscht atmete ich aus.Das fünfte Schussloch zierte die Wand. Ich wartete auf ein seufzen von Alex und einen Kommentar wie 'Das kannst du besser' oder so. Doch mein Trainer schwieg. Fragend schaute ich ihn an und er grinste schief "Du hättest mich mal bei meinem ersten Schusstrainig sehen sollen. Ich habe nie und nimmer damit gerechnet, dass du heute schon triffst. Aber das wird, nicht die Hoffnung aufgeben. Belassen wir es dabei und machen noch eine klassische Waffe. Danach sind wir für heute auch fertig".

"Such dir eine aus" sagte Alex und deutete auf einen langen Tisch, der an der Wand hinter der Schussbahn aufgebaut war. Darauf waren unzählige Waffen aufgebaut. Doch nicht unbedingt Schusswaffen. Schwerter, Dolche, Speere, Messer, Pfeile und Bögen und und und. Eine unvorstellbare und fast schon etwas gruselige Menge an Tötungsmöglichkeiten. Ich hatte nicht vor, jemals jemanden zu töten... aber ich hatte etwas Angst davor. Das ich gezwungen werde, jemanden das Leben zu nehmen. Ich weiß nicht, ob ich das kann. Trotzdem ließ ich mir jetzt vor Alex nichts anmerken und schlenderte den Tisch entlang. Dabei schweifte mein Blick abwesend über die Waffen. Mein Trainer darf unter keinen Umständen vor meiner Angst vor dem Töten erfahren. Dann macht er sich nur unnötig Sorgen. Plötzlich fiel mir etwas ins Auge, dass mich aus den Gedanken riss. Langsam ging ich auf die Waffe zu und strich behutsam über das kalte Metall. Ich weiß, es klang verrückt, aber diese Waffe zog mich irgendwie an. Es ist, als hätte sie mich auserwählt. Mein eigenen funkelnden Augen spielten sich in der Klinge. "Die Wurfmesser" sagte Alex, der hinter mich getreten war und über meine Schulter blickte "Eine sehr elegante, effektive und leise Waffe. Aber sehr schwer zu beherrschen. Nicht für jeden was. Ich kann bis heute nicht perfekt mit ihnen umgehen". "Darf ich probieren?" fragte ich leise und konnte meine Augen nicht von Wurfklingen lassen. "Selbstverständlich" sagte Alex und nahm fünf der schmalen und sehr scharfen Messer. Ich folgte ihm wieder zu den Pappzielen, dieses mal traten wir aber näher an die Ziele heran. Alex zeigte mir, wie ich mich richtig hinstellen, meinen Arm bewegen und das Messer halten musste, um am besten zu treffen. Er demonstrierte mir das Werfen einmal, traf aber lange nicht so sicher wie mit der Pistole. Allerdings zuckte er nur mit den Schultern "Ich sag doch, nicht so meine Waffe. Jetzt du". Er reichte mir ein Messer. Ich wog es kurz in der Hand und könnte ein lächeln nicht verkneifen. Irgendwie hatte ich ein gutes Gefühl mit den Messern, ganz anderst als mit der Pistole in der Hand. Dann hob ich die Klinge auf Kopfhöhe, so wie Alex es mir gezeigt hat. Noch einmal atmete ich tief ein, dann fixierte ich mein Ziel und warf. Mein Messer bohrte sich an der Stelle in die Pappe, an der das Herz gewesen wäre.

Überrascht und etwas schockiert starrte Alex mich an "Machst du das bitte nochmal? Nur, um Zufälle auszuschließen". Ich lachte über seinen Gesichtsausdruck und nahm ihm ein zweites Messer aus der Hand "Klar". Wieder fokussierte ich ein Pappziel und warf mit aller Kraft. Das Messer bohrte sich bis zum Schaft in die Brust der Figur. Schwer atmete ich aus - ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich die Luft angehalten habe - und blickte zu meinem Trainer. Dieser schaute fast ungläubig zwischen den Pappen und mir hin und her "Weist du wie lange ich gebraucht habe, überhaupt zu treffen?! Und du stellst dich hier hin... und tötest gleich zwei Ziele. Ich glaube, du hast soeben deine Waffe gefunden". Lächelnd blickte ich zu ihm auf. Wow, so viel Lob auf einmal bin ich gar nicht gewöhnt. "Muss ich jetzt überhaupt noch irgendeine andere Waffe lernen?" wollte ich wissen und augenblicklich änderte sich Alex' Gesichtsausdruck. "Natürlich" sagte er streng "Stell dir vor, dir weden alle Messer angenommen aber du kannst die Pistole nicht benutzen, die vor dir auf dem Boden liegt. Du musst alles so gut wie möglich beherrschen. Es ist aber sehr gut, dass dir eine Waffe so gut liegt. Dann musst du dafür nicht mehr viel üben". Ich nickte "Okay, wars das dann für heute?". "Ja, du kannst gehen" beantwortete er meine Frage und ich verließ die Trainigshalle. So schnell wie möglich wollte ich in mein Zimmer und duschen. Danach werde ich mir dann irgendeine Ablenkung suchen, um den Gedanken an gewisse Personen zu entgehen. Aber diese werden mich sowieso spätestens dann einholen, wenn ich heute Abend in meinem Bett liege und versuche zu schlafen. Na toll. Ich habe jetzt schon Angst vor den schlaflosen Nächten.

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