Kapitel #060

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Nur eine Sekunde später war der Raum vom dicken, undurchdringlichen Rauch erfüllt. Ich zögerte keine Sekunde und wirbelte zu der Holztür herum, die ich mir genau eingeprägt hatte. "Lucy!" knurrte mein Bruder und kurz danach ertönte ein knall und eine Kugel zerschnitt die dicke Luft. Jedoch schoss er weit neben mich, genau an die Stelle, an der ich vor einigen Sekunden noch stand. Doch inzwischen war ich schon ein ganzes Stück weiter. Vor mir tauchte die massive Holztür auf und mal wieder war ich unendlich dankbar, dass man in diesen Räumen um heraus zu kommen keinen Code braucht. "Du kannst nicht entkommen!" rief James hinter mir. Ich ignorierte ihn und zog die Tür auf. Und genau in der Sekunde fielen mir wieder die Wachen ein, die mich bis hier her verfolgt haben. Eine Sekunde spät, denn ich war schon aus der Tür draußen. Um mich herum lungerten die paar Wachen, die mich vorhin verfolgt haben, auf dem Boden herum und schienen auf mich zu warten. Also ich aus dem Raum trat, sahen sie überrascht zu mir auf. Ich empfand meinen Auftritt als ziemlich dramatisch, da hinter mir aus dem Privaträumen dichter Rauch auf den Gang waberte und das Licht langsam trübte. Doch ließ ich mir nicht die Zeit, so lange darüber nach zu denken. Mal wieder war es der Überraschungsmoment, der mir den Arsch rettete. Ich nutze es aus, dass alle Wachen noch saßen, sprang zwischen zwei durch und rannte los. Im stillen danke ich Alex für die ganzen Ausdauerläufe durch die Bärenhöhle, die mich immer so genervt hatten. Doch gerade diese retten mir hier das Leben. Damit hätte ich auch niemals gerechnet. Hinter mir hörte ich, wie sich die Wachen aufrichteten und Befehle brüllte. Ob das Leute von CodeSystems waren? Oder standen sie auf der Seite der Regierung? Ich werde auf jeden Fall nicht stehen bleiben und fragen. Stattdessen beschleunigte ich meine Schritte noch mal und bog mehrmals ab. Inzwischen war ich schon ziemlich weit gekommen. Ich war so auf das rennen konzentriert, dass ich fast an ihm vorbei gerannt wäre. Meiner Rettung: ein Lüftungsschacht. Mein Körper brauchte dringend eine kleine Pause und wo konnte man besser entspannen als in einem kleinen, gemütlichen Lüftungsschacht? Ich hätte in diesem Moment den Ingenieur, der sich das mit den Magneten als Verschluss überlegt hatte, abknutschen können. Schlitternd kam ich vor dem kniehohen Gitter am Boden zu stehen. Eilig riss ich das Stück Metall ab, kletterte mir den Füßen voran in dem Schacht und zog das Gitter hinter mir wieder am seine. Platz. Nur eine Sekunde später hörte ich die Schritte der Wächter im Gang.


Ich konnte mein Glück kaum fassen, als die Wächter zum zweiten mal in dieser Nacht am Lüftungsschacht vorbei rannten. Man muss schon sagen, ohne Glück hatte ich diese Mission niemals bis hier überlebt. In Lüftungsschächten fühlte ich mich unglaublich sicher. Endlich konnte ich mal eine Sekunde durchatmen. Ehrlich gesagt hatte ich mich von dem Schock, dass mein Bruder und CodeSystems hinter dem ganzen Mist steckt, noch nicht ganz erholt. Wann ist James bitte so... Machthunrig geworden? Wann bin ich ihm egal geworden? Ich könnte echt heulen. Aus Wut und Trauer. Mit meinem Bruder habe ich soeben ein wichtiges Familienmitglied verloren. Halt, nicht verloren, er hat mich verraten. Schon seit über einem Jahr. Wie lang hat er an diesem kranken Plan gearbeitet? Wie lange plante er schon meinen Tod? Der Präsident, den ich getötet habe, wollte die Privatsphäre der Menschen schützen. Er wollte nie, dass die Codes zu einem Ausweis werden. Das ging alles von CodeSystems aus. Und ich habe ihn getötet. Einen unschuldigen, alten Mann. Einen Familienvater. Gut, er wollte mich auch hinrichten lassen, aber nur, weil ich alles kaputt gemacht habe. Das scheint ja meine persönliche Gabe zu sein. Zerstören. Jetzt konnte ich meine Tränen nicht mehr zurück halten. Stumm flossen sie mir über die Wangen. Was habe ich bloß getan?! Ich bin so ein schrecklicher Mensch. Und jetzt ist wegen mir auch noch Alex in Gefahr. Vielleicht ist er schon tot und das nur, weil er mein wertloses Leben retten will. Ich schnappte leise nach Luft und rang um Fassung. Ich weiß was ich tun werde. Ich werde alles wieder ins Gerade rücken. Ich werde alles, was ich verbockt habe, wieder gut machen. Ich werde diese dämliche Stadt retten, koste es, was es wolle. Ich werde die Menschen, die ich liebe retten. So oft haben sie mich gerettet, nur damit ich alles noch schlimmer mache. Aber jetzt reicht es! Ich werde mich revanchieren. Dieser scheiß Code ist kein Fluch, er ist eine Chance. Und ich werde sie nutzen, auch wenn es das letzte ist, was ich tue. Entschlossen wischte ich mir die Tränen weg. Diesen einen, letzten Moment der Schwäche habe ich zugelassen. Aber jetzt bin ich stark. Und das wird CodeSystems noch zu spüren bekommen!

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