Kapitel #047

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"Dennis?! Du?!" fragte ich entsetzt und starrte in das grinsende Gesicht meines Exfreundes. "Wir haben abgestimmt und ich habe einstimmig gewonnen. Naja, fast, aber immerhin" erklärte er und kam dabei selbstgefällig grinsend auf uns zu. Mir stand das entsetzten wohl ins Gesicht geschrieben und Alex guckte auch nicht gerade begeistert, desshalb fragte er kurz danach "Alles klar?". "Jaja. Herzlichen Glückwunsch und so" sagte ich ohne jegliche Begeisterung. Ich stellte mir gerade meine wohl wenig glorreiche Zukunft bei den Rebellen vor. Es kam mir wie gestern vor, als er mir 'Ich hoffe, dass du bei deiner scheiß Mission verreckst' ins Ohr gezischt hatte. Ich bin so gut wie tot. Er wird mich leiden lassen, das steht fest. Mal schauen, was er sich für mich ausgedacht hat. Bei dem Gedanken daran wurde mir schlecht. "Danke" sagte mein Ex und ließ sich nichts anmerken "Und ihr beide seit jetzt endlich zusammen?". Aus irgendeinem Grund zuckte Alex neben mir zusammen, trat einen Schritt vor und schob mich schützend hinter sich. Dann fauchte er "Jaa, sind wir. Und egal, was für kranke Pläne du hast, es wird nicht funktionieren! Ich werde sie keine Sekunde aus den Augen lassen!". Verwirrt spähte ich an meinem Freund vorbei. Warum sagte er sowas? Habe ich irgendetwas verpasst? Dennis lachte nur dreckig "Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst. Aber das ist doch schön, dann seit ihr mehr zusammen und könnt mehr trainieren. Immerhin muss Lucy in einem Monat den Präsidenten töten". "Einem Monat?!" rief ich fassungslos. Alex sagte todernst "Das geht nicht, das ist zu früh. Sie ist noch nicht so weit. Du schickst sie in den sicheren Tod". Mein Ex zuckte nur mit den Schultern "Einen Monat, nicht mehr und nicht weniger. Trainiert eben härter". "Das geht nicht" sagte ich jetzt trocken und trat hinter Alex hervor. "Natürlich geht das" fauchte Dennis. Ich funkelte ihn an "Nein, dass geht nicht, du Idiot! Ich bin schwanger!".

Erstmal sagte Dennis gar nichts. Ihm war deutlich ins Gesicht geschrieben, wie sehr ihn dieser Satz aus dem Konzept brachte. Vorhin konnte er noch auf ein konkretes Ziel hinarbeiten, von dem ihm nichts abbringen konnte. Naja, außer die Tatsache, dass die Hauptfigur in seinem kranken Plan plötzlich schwanger ist. Und jetzt stand er ratlos da und ich verkniff mir ein lachen. Die Situation hatte etwas so... seltsam irreales an sich, dass ich schwer damit kämpfte, nicht anzufangen, laut loszulachen. Erst als Alex mir einen strengen Blick zuwarf, beruhigte ich mich wieder etwas. Und dann sagte Dennis "Oh. Das ging aber schnell". "Nein, nein" lehnte ich eilig ab "Das Kind ist nicht von Alex". Lachend zog Dennis eine Augenbraue hoch "Ich kenn dich ziemlich gut, Lucy, und du bist sicher keine Schlampe die regelmäßig mit irgendwelchen anderen Typen schläft. Vorallem nicht, wenn du jemanden so anhimmelst wie ihn" - er nickte in Alex' Richtung - "also erzähl mir keine Märchen". "Das Kind ist wirklich nicht von mir-" setzte Alex jetzt an, wurde jedoch von meinem Ex unterbrochen. Dieser schlug ihm nämlich freundschaftlich auf die Schulter und sagte "Komm schon, Bruder, sei stolz darauf, Vater zu werden". "Ich bin nicht dein Bruder" knurrte Alex sauer und schubste ihn weg. Dennis zuckte mit den Schultern "Auch egal. Auf jeden Fall herzlichen Glückwunsch zur Schwangerschaft, Lucy". Ich weiß nicht, aber irgendwas lag in seinem Ton. War er enttäuscht? Oder traurig?
Irgendwie klang er seltsam resigniert. Aber warum sollte er so fühlen, wenn ich schwanger bin? War er traurig wegen der geplatzten Mission? Konnte ich mir kaum vorstellen. Ich rieb mir die Schläfen "Ich wurde vergewaltigt". Zum zweiten mal war Dennis sprachlos. Ein paar mal öffnete er den Mund, dann schloss er ihn wieder, wie ein Fisch auf dem trockenen. "Bevor du fragst: Nein, ich möchte nicht darüber reden. Frag Alex oder sonst wen. Ich möchte jetzt nur noch zu einem Arzt, der mir sagt, dass mit dem Kind alles in Ordung ist und dann möchte ich schlafen. Ich habe nämlich ehrlich gesagt keine Nerven mehr, dass irgendjemanden zu erläutern. Bis später" brach ich schlecht gelaunt das Gespräch ab und machte mich auf die Suche nach einem Arzt. Dabei ließ ich die beiden Jungs einfach stehen.

Die neue Bärenhöhle war im Grunde eine versteckte Lichtung im Wald. Von der einen Seite wurde sie von einer Felswand begrenzt, von der anderen durch dichtes Gestrüpp und hohe Bäume. Ein kleiner Sturzbach sprang sie Felsen runter und plätscherte munter über die Lichtung. Ein großer Schritt reichte, um ihn zu überqueren, trotzdem wurden an zwei stellen hohe Steine für einen sicheren Übergang in das Bachbett gelegt. Die Lichtung war oval und überall an den Rändern waren Zelte in tarnfarben aufgebaut. Links waren zwei lange Zelte für die Mädels aufgebaut, rechts zwei für die Jungs. Auch getrennte Toiletten gab es, auch wenn ich mich fragte, was man mitten im Wald unter 'Toiletten' verstand. Die einzige Möglichkeit, sich zu waschen, war der Bach, was aber ungünstig war, weil dieser ja mitten über die Lichtung floss. Und vor den Jungszelten jede menge Kerle standen und saßen, die vermutlich nur darauf warteten, dass ein Mädchen sich waschen wollte. Allerdings wurde an einer Lösung dafür schon gearbeitet. Sie wollten anscheinend einen Teil des Baches in Richtung Mädchenzelte ableiten, jedenfalls wurde ein zweites Bachbett gegraben, in welchem jedoch noch kein Wasser floss. Ein Zelt stand noch am Eingang, welches wohl Verwaltung und Besprechungsräume enthielt. Zwei weitere Zelte standen links und rechts vom Bergbach direkte hinten an der Felswand. Auf dem einen war ein großes rotes Kreuz aufgemalt, dieses beinhaltete wahrscheinlich die Krankenstation.
Das zweite war wohl Speisesaal und Küche. Noch einmal blickte ich mich um. Als Übergangslösung war das hier gar nicht schlecht, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, wie das Leben hier wohl so ablief. Hoffentlich können wir eines Tages in die alte Bärenhöhle zurück. Doch bis dahin muss ich wohl mit meinem neuen Zuhause vorlieb nehmen. Desshalb wandte ich den Blick von den anderen Zelten ab und lief zügig auf die Krankenstation zu. Seit ich die kurze Erklärung hatte, fühlte sich die Schwangerschaft irgendwie anders an, als am Anfang, irgendwie seltsam. Aber vielleicht ist das auch, weil das Kind in meinem Bauch älter wird? Ich hatte von sowas ja keine Ahnung und brauche endlich Gewissheit, dass alles okay war. Wenn schon nicht mit mir, dann wenigstens mit dem Kind.

Als ich die Plane am Eingang der Krankenstation öffnete, schlug mir der Geruch von Desinfektionsmittel und Sauberkeit in die Nase. Das Zelt war innen doch geräumiger, als es von außen aussah. Links von mir standen zwölf Feldbetten, an jeder Zeltwand sechs. Diese waren wohl für die Patienten. Momentan war nur eines ganz am Ende des Zeltes von einem kleinen Mädchen belegt, das gerade schlief. Rechts von mir war ein weißer Vorhang an der Decke befestigt, der wahrscheinlich den Raum für Schwerverletzte begrenzte. Außerdem ließ sich vermuten, dass sie dort ihre Medikamente und so Zeug aufbewahrten. Da ich nicht unhöflich sein wollte, fragte ich vorsichtig in den leeren Raum "Ehm... Hallo?". Einen Moment herrschte Stille und ich dachte schon, keiner wäre da, als eine Stimme hinter dem Vorhang rief "Einen Moment bitte, ich bin gleich bei Ihnen". Ich trat ein Stück weiter in Raum und wartete. Nach einigen Momenten näherten sich Schritte und als der Vorhang zur Seite gezogen wurde, blickte mir ein bekanntes Gesicht entgegen. "Cat" sagte ich leise und nickte der großen, blonden Schönheit zu. Meiner ehemaligen Freundin. Vor der Sache mit Dennis. Jetzt, wo sie hier so in vollem Arztoutfit vor mir stand, tat es wieder weh, sie verloren zu haben. Auch sie lächelte matt "Lu. Schön, dass du wieder da bist. Jede Menge Leute haben sich Sorgen um dich gemacht". Jede menge Leute, sagte sie. Jede menge Leute, sie nicht. Autsch. Ich verzog kurz das Gesicht, setzte dann aber wieder mein Pokerface auf. Eisiges Schweigen breitete sich zwischen und aus. Nach gefühlten Stunden fragte sie "Wie kann ich helfen?". Ich seufzte "Ich bin schwanger und muss wissen, ob es dem Kind gut geht". Überrascht riss Cat die Augen auf und wirkte einen Moment wie versteinert, dann stotterte sie "Ähm... j-ja, gut... komm mit".
Wow, sie war die erste, die keine Fragen stellte. Das rechnete ich ihr hoch an. Still folgte ich ihr in den hinteren Teil des Zeltes. Wie vermutet waren an der einen Zeltwand noch betten für Schwerverletzte aufgebaut. An der gegenüberliegenden Zeltwand türmten Schränke, die mit irgendwelchen lateinischen Namen von Medikamenten beschriftet waren. Cat führte mich zum hintersten Bett und bat mich, mein oberteil auszuziehen und mich hinzulegen. Dann holte sie ein Stethoskop. Mit gerunzelter Stirn blickte ich sie an. Cat seufzte "In der alten Bärenhöhle hatten wir auch Ultraschall, aber hier, mitten im Wald, kann man das vergessen. Also müssen wir zu einfacheren Mitteln greifen. Ruhig ein und ausatmen". Sie steckte sich die Enden des Stethoskops in die Ohren und drückte das kalte Metallteil auf meinen Bauch. Kurz zuckte ich zusammen, atmete dann aber wie sie gesagt hatte weiter ruhig ein und aus. Die Minuten zogen sich ins unendliche. Endlich legte sie das Stethoskop zur Seite. Dann schaute sie mich ernst an "Ich habe schlechte Nachrichten".

Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit und ich richtete mich auf "Schlechte Nachrichten?". "Also erstmal, du bist auf jeden Fall schwanger" bestätigte Cat, doch ich bemerkte ihr Ausweichmanöver. Deswegen fragte ich nervös "Aber?". Sie biss sich auf die Unterlippe und wich meinem Blick aus "Aber ich höre keine Herztöne". "K-keine Herztöne?" stammelte ich verwirrt. "Keinen Herzschlag. Das Kind ist tot. Wird eine Fehlgeburt" flüsterte sie und ich hörte die trauer und das mitleid in ihrer Stimme. Und mein Kopf war wie leergefegt. Ich saß einfach nur da und starrte Cat an. Diese wischte sich jetzt Tränen aus den Augenwinkeln und schniefte "Es tut mir leid, Lu. Es tut mir so leid". Sollte nicht ich so reagieren? Ist das nicht die amgemessene Reaktion einer werdenden Mutter? Doch ich war einfach zu nichts in der Lage. Irgendwann fragte ich tonlos "Wie?". Cat flüsterte "Ich nehme an, durch eine Infektion. Vielleicht rohe Milch oder rohes Fleisch. Mütter haben dann nur eine kleine Erkältung, aber für die meisten Kinder endet es tödlich". O mein Gott! Der Käse, den ich mit Astrid gegessen habe. Die Erklärung. O gott. "Ich habe es umgebracht" hauchte ich und nun kamen auch mir die Tränen "Ich bin ein Mörder". "Lu, so darfst du nicht denken" sagte Cat energisch und griff nach meiner Hand. "Ich hab es getötet" jetzt schluchzte ich. Sollte ich mich nicht freuen, dass Kind meines Vergewaltigters loszuwerden?

Das war doch das, was ich wollte, oder? 'Aber nicht so' dachte ich bitter 'Ich wollte es nie töten'. "Was... was passiert jetzt?" brachte ich heraus. Cat wischte sich immer wieder verstohlen über die Augen "Naja, du wirst deine Regelblutung haben, eben stärker als normal. Dabei scheidet der Körper den Embryo aus. Da du noch unter der 12 Woche bist, ist es eine frühe Fehlgeburt und du brauchst keine ärztliche Nachbehandlung". Ich nickte schwach und putzte mir die Nase. "Hör zu, Lu. Alles wird gut. Wir stehen das zusammen durch". "Ich bin ein Mörder, Cat" flüsterte ich nur noch tränenerstickt, dann stand ich auf, zog mein Oberteil wieder an und floh aus dem Zelt.
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Dieses Kapitel widme ich meiner Mama, die dank ihrem Dasein als Krankenschwester mir ca 50 verschiedene Arten von Fehlgeburten auflisten konnte und erklären, wodurch sie zustande kommen und was dabei im Körper passiert. Also alles medizinisch korrekt ;)) danke Mama :3

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