Kapitel #067

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Und erstmal passierte gar nichts. Es war Totenstill und wir standen alle bereit, los zulaufen. Aber es tat sich einfach nichts. Kein Geräusch, kein öffnen einer Tür, einfach nichts. Einige Sekunden standen alle nur da, dann breitete sich langsam Unruhe aus. Bastian sah immer wieder von seiner Armbanduhr zur Tür in den nächsten Codebezirk und wieder zurück. Die anderen Rebellen begannen zu tuscheln und zu flüstern. Auch in mir breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Funktionierte Nicks Superprogramm, dass alle Türen öffnen soll, am Ende gar nicht? Und was machen wir dann? Wenn ich mich bis Morgen nicht ausliefere, wird CodeSystems die Rebellen angreifen. Und das schlimmste: Alex töten. Bei dem Gedanken brach mir schon das Herz. Unbewusst ballte ich meine Hände zu Fäusten und sah verzweifelt zu Astrid. Diese erwiederte meinen Blick und griff nach meiner Hand. Ich krallte mich an ihr fest und kniff die Augen zusammen. Ich musste die Tränen unterdrücken. Das darf doch nicht wahr sein. Wieso habe ich so ein Pech? Womit habe ich das verdient? Meine Augen ließ ich einfach geschlossen, wenn ich sie öffne, werde ich in Tränen ausbrechen, da war ich mir sicher. Dadurch, dass ich sie geschlossen hatte, wurde der Effekt, als dann doch etwas passierte, deutlich verstärkt. Wir hörten es alle. Es war, als würde in der gesamten Stadt, auf jede einzelne Tür, jemand einen Code drückte. Denn synchron erklang aus wohl allen Lautsprechern, die in den Touchscreen eingebaut waren, die automatische Frauenstimme "Zugang gewährt". Da das von absolut jeder Tür kam, schallten die Worte fast unheimlich durch die ganze Stadt. Sofort riss ich die Augen auf. Alle standen immer noch genau so erstarrt da, wie vorher. Der einzige unterschied war, dass alle jetzt überrascht zu der Tür zum nächsten Codebezirk starrten. Fast provokant langsam öffnete sie sich von selbst. Keiner hatte es ausgesprochen, aber damit hatte niemand mehr gerechnet. Und jetzt lag er genau vor uns, der Weg zu CodeSystems. Es war, als würden wir mit einem Fußball nur wenige Meter entfernt vor einem leeren Tor stehen. Von Torwärten keine Spur. Keiner schien sich aus seiner Starre lösen zu können. Doch dann schrie Bastian plötzlich "Los!". Wir zuckten alle zusammen, sein Ruf rüttelte uns alle wach und weckte und auf. Nur einen Wimpernschlag standen alle noch wie eingefroren da. Dann rannten wir los.

Ich zwängte mich zwischen einem Typen und einem hoch gewachsenen Mädchen durch die Tür zum nächsten Codebezirk. Kaum war ich auf der anderen Seite, rannte ich los. Dabei fiel mir auf, dass ich eigentlich gar keine Ahnug hatte, wo ich lang muss. Ich kannte mich hier nicht aus und wusste somit auch den Weg zu CodeSystems nicht. Aber das musste ich ja zum Glück gar nicht wissen. Ich muss einfach nur den Verteidigern hinter rennen. Diese, die alle bis unter die Zähne bewaffnet waren, legten ein ganz schönes Tempo vor und ich musste mich anstrengen, Schritt halten. Nach ein paar Minuten rennen tauchte Astrid wieder neben mir auf und keuchte "Alles... Klar? Ich hab... Dich... Aus den Augen... Verloren". Immer wieder unterbrach sie den Satz, um ruckartig einzuatmen. Ich nickte als Antwort nur knapp. Wenn ich jetzt spreche, komme ich sicher aus meinen Rhythmus und bekomme Seitenstechen. Inzwischen gewöhnte ich mich jedoch langsam an das zügige Tempo und konnte mehr auf meine Umgebung achten. Wie waren jetzt in einem der reicheren Viertel, dass konnte man deutlich an den Einfamilienhäusern mit großen Garagen sehen. Wo genau wir uns befanden, konnte ich noch immer nicht ganz zuordnen. Auf jeden Fall nicht weit von Stadtzentrum entfernt. Und soweit ich weiß hatte CodeSystems seinen Firmensitz relativ nah am Zentrum. Also dürfte es ja nicht mehr so weit sein. Trotzdem schienen wir noch eine gefühlte Ewigkeit zu laufen. Dabei passierten wir noch einige Codebezirke, bei jedem stand die Tür sperangelweit offen. Auch an allen Häusern, an denen wir vorbei kamen, konnte man bequem in den Flur gucken. Für Einbrecher war das heute wahrscheinlich das reinste Paradies. Auch wenn immer noch keine Leute unterwegs waren und wir niemandem begegneten. Ehrlich gesagt wunderte mich das. Was denn niemand durch dieses übertrieben laute "Zugang gewährt" aufgewacht? Offensichtlich nicht wirklich. Inzwischen färbte sich der Himmel im Osten auch immer heller, was wirklich wunderschön aussah und mich etwas von meinen Schmerzen ablenkte, die ich inzwischen verspürte. Meine Lunge brannte wie Feuer und meine Füße waren schwer wie Beton. Das lange, schnelle rennen strengte mich ganz schön an. Die Schusswunde in meinem Oberschenkel machte sich auch wieder bemerkbar, allerdings nur durch ein schwaches Ziehen. Noch war das definitiv auszuhalten, die Frage war nur wie lange. Astrid neben mir sah ähnlich fertig aus wie ich. Ich war so von meinem Körper abgelenkt, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass sie Verteidiger vor uns langsamer geworden waren. So rannte ich fast in den Rücken eines jungen Manns. Dieser drehte sich zu mir um und legte einen Finger auf seine Lippen, um mir zu bedeuten, leise zu sein. Als ich nickte, verließ seine Hand seine Lippen und deutete die Straße entlang. Verwirrt folgte mein Blick seinen Fingerzeig und dann sah ich, was er meinte. Am Ende der Straße lag es. Das Firmengelände von CodeSystems.

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