-Kapitel 2-

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Während meiner Doppelstunde in Physik kann ich mich zum Glück wieder auf etwas anderes konzentrieren und nicht auf die ganzen fragwürdigen, herabschauenden Blicke meiner Mitschüler, die denken sie wissen über mich und meine Familie Bescheid.

Mr Bennie nimmt mich während der Stunde oft dran, was einerseits an meinem ausgebreiteten Wissen liegt, andererseits auch an der Tatsache, dass sich sonst kaum jemand meldet. Schon seit einigen Jahren ist Physik eines meiner Lieblingsfächer und das hat einen simplen Grund:

Die Physik beschäftigt sich mit der Untersuchung von Objekten im Universum, auch wenn es nur ein Teilbereich darstellt. Mich fasziniert wie das Universum aufgebaut ist und was wir Menschen, die Sterne und der Mond damit zutun haben. Deswegen kann ich Conner nicht wegen seiner Bemerkung der Sterne böse sein, denn er hat recht.

Die unendlichen Weiten des Weltraumes interessieren mich und wenn ich nächstes Jahr aus diesem Höllenloch verschwinden werde, dann studiere ich Astronomie an der University of San Francisco.

Vor einigen Monaten bekam ich die Aufnahmebestätigung per Post und obendrein auch noch ein volles Stipendium für die komplette Dauer der Semester. Es wunderte mich, da ich in meiner Bewerbung nie erwähnt habe, dass ich ein Stipendium benötige und es haben sich über fünfhundert Studenten für diesen Lehrgang beworben. Jedenfalls stand das so auf der Social- Media Plattform der Uni.

Als ich meine Bewerbungen für zig Unis verschickt habe, glaubte ich nicht daran überhaupt an einer von ihnen angenommen zu werden. Wenn man sich meinen Lebenslauf ansieht und bedenkt, was vor fast genau zwei Jahren geschehen ist, hätte mir keine Universität dieses Landes eine faire Chance gegeben. Wie ich befürchtet habe, erhielt ich eine Menge absagen, manche Unis machten sich nicht einmal die Mühe um mir überhaupt zu antworten. Es war fast immer dieselbe Begründung gekommen.

Wir bedauern ihnen sehr mitzuteilen, dass Sie es nicht in die zweite Runde geschafft haben. Auf Hinsicht ihres Vaters, Richard Moore, verstehen Sie hoffentlich, warum es uns nicht möglich ist, Sie bei uns unterzubringen. Nicht solange der Fall nicht aufgeklärt wird.

Japp, tatsächlich habe ich genau das befürchtet und trotzdem nahm mich meine absolute Wunschuniversität mit einem vollen Stipendium an. San Francisco ist weit genug von Sunnyvale entfernt und bietet mir die Möglichkeit auf ein neues Kapitel meines verkorksten Lebens. Ohne die falsche Anschuldigung gegen meinen Dad und ohne Drew...

Während ich dabei bin meine Schulsachen zurück in meinen Rucksack zu stopfen, platzt Conner in den Klassenraum und pflanzt sich neben mich. Es hatte vor genau zehn Sekunden zur Pause geklingelt und schon ist er wieder hier bei mir. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass er erneut geschwänzt hat und viel lieber die Zeit mit einer seiner Flammen in der Bibliothek totgeschlagen hat.

»Dein persönlicher Beschützer steht Ihnen wieder jederzeit zur Verfügung.« Er spielt an einer meiner dunkelblonden Strähnen herum und lehnt sich tief in den unbequemen Stuhl. Mein Platz in jedem Klassenzimmer ist ganz hinten am Fenster. Nur wenn Conner oder Meghan und ich denselben Kurs haben sitzen wir nebeneinander, ansonsten habe ich im Gegensatz zu allen anderen Schülern den Vorteil immer einen Tisch für mich allein zu haben. Nur liegt das nicht an der Tatsache, dass ich reichlich Platz benötige und gerne alleine sitze. Nein, keiner möchte neben dem Mädchen sitzen, dessen Dad wegen Mord im Gefängnis sitzt.

»Ich denke nicht, dass ich deine Dienste dieses Jahr noch beanspruchen werde.«

»Was?« Conner streift mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr. »Du feuerst mich?« Grinsend schleudere ich seine Hand weg und erhebe mich von dem Stuhl. Conner war neben Meghan der einzige Mensch, der mir nicht den Rücken zugekehrt hat, als mein Dad vor fast zwei Jahren verhaftet wurde. Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Feuer und schon am nächsten Tag stand ich komplett allein an meinem Spind. Niemand würdigte mich nur eines Blickes, keiner sprach mit mir und die Zeit, in der ich auf jede Party eingeladen wurde, war vorbei.

Als Cole Gibson wenige Tage später zusammen mit Drew Hanson und Jamie Andrews abgehauen war, hatte ich niemanden. Bis Conner auf mich aufmerksam wurde.

Er sammelte mich eines Nachts am Straßenrand auf, als ich heulend durch die dunklen Straßen gerannt war. Nicht einmal die Milliarden Sterne am Himmel konnten mich aus meinem Elend ziehen, denn sonst hatte es mir immer geholfen, nachts aus dem Fenster zu schauen. Es war, als würde der dunkle Himmel mir meine Probleme abnehmen und aus ihnen einzigartige Sterne zaubern. Eines Nachts werden diese zu einer Supernova und explodieren in winzig kleine Teilchen, genau wie meine Probleme.

Conner zog mich in dieser Nacht auf eine leere Parkbank, reichte mir seinen Joint und leistete mir für die nächsten Stunden Gesellschaft. Er hörte nicht auf die Gerüchte, die über mich umhergingen, oder er war zu bekifft gewesen um zu realisieren, dass er sich lieber von mir fernhalten sollte.

Ab dem Tag weichte er mir in der Schule nicht mehr von der Seite. Er begleitete mich in den Unterricht, sammelte mich von dort wieder ein und solange ich noch keinen Führerschein hatte, kutschierte er mich herum. Viele Mädchen entwickelten einen Hass auf mich, weil sie der Meinung waren zwischen Conner und mir lief etwas, doch dem war nicht so. Conner zog mich in keinem Zeitpunkt so an. Er war mein sicherer Ort. So wie Cole Gibson es schon einmal war, bevor er mich im Stich gelassen hat. Genau wie Drew.

»Ich glaube dieses Jahr schaffe ich es allein.«

»Das weiß ich.« Conner steht ebenfalls auf und schnappt sich meinen Rucksack, den er gekonnt auf seinen Rücken befördert.

»Du schaffst es allein, Lu. Aber zu zweit macht es doch mehr Spaß.« Er zwinkert mir zu, bevor er vorangeht und aus dem leeren Klassenzimmer schlendert.

Im Flur angekommen wimmelt es nur von Schülern und die Luft um mich herum scheint enger zu werden. Ich war lange nicht mehr mit so vielen Leuten in einem Gebäude, die mich mit ihren Blicken versuchen zu töten. Sie versuchen mich klein zu kriegen, obwohl ich nichts getan habe. Genau wie mein Dad.

»Wieso musstest du dir einen neuen Rucksack kaufen?« Wie in Trance reiße ich meinen Blick der Schüler im Flur fort und sehe zu Conner, der versucht meinen türkisen Rucksack auf seinen breiten Schultern gerade zu richten.

»Die Träger sind enger geworden.«

»Ich weiß. Du siehst aus wie eine Presswurst.« Ich fange an zu lachen und erhasche damit Aufmerksamkeit. Conner merkt das und legt mir seinen Arm um die Schulter und führt mich so in die Cafeteria.

»Du bist so eine geile Schnitte, deswegen glotzen die dich alle so an«, raunt Conner mir zu und drückt mir einen Kuss an den Haaransatz, als wir an einer Gruppe von Mädchen vorbeilaufen. Hinter uns höre ich sie noch rumflüstern, doch das blende ich gekonnt aus. Ich bin inzwischen ein Meister darin mein Gehör auf stumm zu schalten. Es ist echt krass, wie befreit man sich fühlt, wenn man das ganze Geflüster über einen ausblendet.

Ich habe gelernt gewisse Dinge so hinzunehmen, wie sie gesagt und getan wurden. Menschen sind sich ihren Taten bewusst und wissen was sie mit ihrer Einstellung anderen antun können. Es ist zwar eine schöne Eigenschaft immer das Gute in allen Menschen zu sehen, um so ihr Verhalten zu entschuldigen, doch dabei darf man sich nicht selbst belügen.

»Irgendwann wirft sich noch einer deiner Verehrerinnen auf mich, so wie du die alle provozierst.« Ohne den Arm von Conner von mir zu schieben, stolzieren wir gemeinsam in die Cafeteria und gesellen uns zu Meghan und ihren Freunden, die an dem hintersten Tisch sitzen.

»Dann fährst du deine Krallen aus, Süße.« Conner zieht mir den Stuhl zurück, damit ich mich setzen kann und stellt meinen Rucksack neben mir ab. »Das gleiche wie immer?« Nachdem ich genickt habe, verschwindet er zwischen den Tischen, doch er kommt nicht weit. Ein blondes, großes Mädchen fängt ihn ab und klimpert mit den Wimpern. Das mit meinem Essen kann ich mir wohl abschminken.

»Wie war deine erste Stunde?«, erkundige ich mich bei Meghan, die das Gespräch mit ihren Freunden stoppt und mir ihren Teller mit frischen Obst reicht.

»Ich hatte die zweite Stunde direkt entfall. Also nichts Besonderes. Und bei dir?«

Aus dem Augenwinkel sehe ich dabei zu, wie sich Meghans Freunde vom Tisch erheben und von uns gehen. Diese Wirkung habe ich auf die meisten Menschen hier. Das Traurige ist, dass sie vor einiger Zeit auch meine Freunde waren.

»Wie immer.« Ich schnappe mir ein Stück Melone und versuche mich für die nächsten vier Stunden zu sammeln. Plötzlich verändert sich die Stimmung in der Cafeteria. Es geht ein Gemurmel umher und alle tuscheln miteinander. Meghan und ich sitzen verwirrt allein am Tisch und warten darauf, dass uns jemand erklärt, was geschehen ist. 

-Losing Game-Where stories live. Discover now