-Kapitel 61-

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Luna

Aufgeregt lasse ich den Autoschlüssel von Isabell zwischen meinen Fingern baumeln, während ich ununterbrochen auf den Ausgang des Zauns starre. Drew und ich fuhren vorhin noch zusammen Eis essen, dann lieferte er mich Zuhause ab, damit ich pünktlich zu meinem Dad losfahren kann.

Vielleicht habe ich mich geirrt. Nur weil Drew und ich wieder in unseren normalen Alltag stecken, muss es nicht heißen, dass es zwischen uns beiden nicht mehr funktionieren kann. Als er mich mit den Blumen überraschte und wir daraufhin noch Eis essen waren, war alles wie in San Francisco. Aufregend, wunderschön und Nervenkitzelnd.

Die Situation gerade ist etwas vergleichbar mit dem Nervenkitzel, den ich in Drews Gegenwart immer empfinde. Nervös wippe ich von einem Bein aufs andere, verlagere mein Gewicht nur auf eines und spiele wie besessen mit dem Schlüssel rum. Ich bin ganze zwanzig Minuten zu früh. Als ich vor einer Viertelstunde Heim kam und Isabell nach den Autoschlüssel fragte, war sie voll und ganz damit beschäftigt gewesen, alles für die Grillparty vorzubereiten. Auch Cole half eifrig mit, Bonny spielte mit einer Freundin im Garten. Isabell meinte es würden mehr Gäste kommen, als sie angenommen hat, da das Fest so kurzfristig war. Es kommen Nachbarn, Freunde von Isabell und auch welche von Dad, die sich damals nicht von ihm abgewendet haben. Drew meinte vorhin zu mir, dass er etwas früher kommen wird um zu helfen. Ein paar verstohlene Küsse versprach er mir ebenfalls.

Als mein Handy siebzehn Uhr anzeigt, falle ich beinahe in Ohnmacht, so aufgeregt bin ich. Die Erkenntnis, dass ich meinen Dad gleich begegne und das ohne die Sicherheitskontrolle zu durchqueren, passt nicht ganz in meinen Kopf. Es ist ein unrealistischer Traum, aus dem ich noch erwachen werde.

Das gigantische Metalltor öffnet sich und mir bleibt die Luft irgendwo zwischen Hals und Mund stecken. Ich spüre meinen Puls überall in meinem Körper, er pocht so laut, dass ich mich fast an der Autotür festkrallen muss. Mein Dad kommt mit langsamen Schritten auf mich zu. Ich starre ihn an, nehme jedes Detail wahr. Seine dunklen Haare liegen ordentlich gekämmt zur Seite, sodass man kaum die weißen Härchen erkennen kann. Er trägt das dunkle Hemd der Verhandlung, genau wie die schwarze Anzugshose. Auf seinem Rücken liegt ein schwerer Rucksack, in seiner Hand befindet sich eine Mappe gefüllt mit Papierkram.

»Willst du deinen alten Herrn nicht richtig begrüßen?« Ich blinzle perplex, erst dann setzen sich meine Füße endlich in Bewegung. Ich werde immer schneller, die letzten Schritte renne ich auf ihn zu und falle ihm in die Arme, die er bereits für mich geöffnet hat.

Ein ungewohnter Duft strömt mir in die Nase, ich habe schon ganz vergessen wie Dad riecht. Er drückt mich fest an seine Brust, wiegt mich hin und her und gibt ein erleichtertes Brummen von sich.

»Ich habe dich so vermisst«, nuschelt er an mein Haar, bevor er sich langsam löst. Er umfasst meine Oberarme mit seinen Händen und beginnt mein Gesicht zu studieren. Mein dämliches Grinsen möchte nicht vergehen, wie hypnotisiert starre ich meinen Dad immer noch ungläubig an.

»Du bist so groß geworden. Und es ist schön dich einmal glücklich zu sehen und nicht immer so deprimiert.«

»Danke.« Ich lache auf. »Und ich finde es schön, wie du versucht hast deine weißen Härchen auf dem Kopf zu verstecken.« Empört greift er sich in die Haare. »Ich konnte mich anders doch nicht blicken lassen.«

»Da hast du recht. Du solltest morgen direkt zum Friseur gehen.« Ein breites Lächeln umspielt seine Lippen. Er wirkt noch etwas angeschlagen und etwas desorientiert. Immer wieder sieht er sich in alle Richtungen um, als hätte er schon vergessen, wie es ist in Freiheit zu leben.

»Ich finde es schön, dass du wieder bei mir bist, Dad.« Meine Stimme versagt am Ende etwas, doch ich lasse mir nichts anmerken. Zwischen uns beiden ist es noch etwas kühl, etwas ungewohnt. Es ist komisch mit ihm sprechen zu können, ohne Zeitdruck zu haben. Ohne, dass jeden Moment ein Wachmann zur Tür reinkommt und verkündet die Zeit sei um.

»Glaub mir, Schätzchen. Ich bin auch sehr froh darüber. Können wir uns auf etwas vereinbaren?« Ich sehe abwartend zu seinem Gesicht, präge mir alle seine Falten ein. Er wirkt nach den Jahren etwas gealtert, ihn im Tageslicht zu sehen ist etwas komplett anderes als in dem dunklen Raum.

»Und auf was?«, hake ich nach, nachdem ich all seine Gesichtszüge begutachtet habe. »Wir lassen die Zeit, in der ich nicht da war hinter uns. Nachdem wir die Kaution bezahlt haben, ist alles vom Tisch. Ich möchte wieder so leben wie früher nur diesmal sind wir nicht nur wir zwei. Ich möchte, dass Isabell, Bonny, Cole, du und ich eine Familie werden. Ganz ohne Ausnahmen.« Ich lasse mir seine Worte durch den Kopf gehen, bei Coles Namen zögere ich etwas und merke, wie ich mich augenblicklich versteife.

»Das möchte ich auch«, krächze ich nach einer Zeit. »Aber du weißt, dass es zwischen Cole und mir nicht mehr so ist wie früher. Wir tolerieren uns, mehr aber leider noch nicht.« Mein Kopf schweift traurig nach unten, Dads Hand legt sich an mein Kinn. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr beide das wieder hinbiegen könnt. Das liegt vermutlich hauptsächlich an der Tatsache, dass er so lange untergetaucht ist.«

Augenblicklich runzle ich die Stirn und hebe nachdenklich den Kopf.

»Untergetaucht?« Dads Augen weiten sich, als er die Bedeutung seines Wortes versteht, dann räuspert er sich und lässt die Hand von meinem Kinn ab. »Ich meine natürlich, als er mit den Jungs umgezogen ist. Sie brauchten alle sicher etwas Abstand von der ganzen Sache.« Ich verlagere mein Gewicht auf mein eines Bein, lege den Kopf schief und gehe gedanklich alles durch.

»Wieso brauchten sie eine Auszeit? So eng waren sie gar nicht mit Joshua befreundet.« Jedenfalls erinnere ich mich nicht daran, dass Josh jemals etwas mit Cole zutun hatte. Und damals wusste ich über jede Person aus Coles Leben Bescheid.

Dads Antwort kommt erst nach einem langen zögern, er meidet es mir in die Augen zu schauen. Ein unbehagliches Gefühl macht sich in mir breit, hier ist doch etwas faul. Dann tauchen die Erinnerungen an jene Nacht auf, trotzdem schaffe ich es nicht die Puzzleteile zusammenzusetzen. In meinem Kopf ist das alles nur ein schwarzer Fleck.

»Der Punkt ist, dass die Freundschaft zwischen euch beiden noch möglich ist. Je länger ihr zwei unter einem Dach lebt, desto besser werdet ihr euch verstehen.« Gerade als ich dagegen protestieren möchte, umgeht Dad mich und steuert auf Isabelles Auto zu.

»Ich habe dich noch nie fahren sehen. Es wird höchste Zeit, findest du nicht?« Verwirrt bleibe ich auf der Stelle stehen, obwohl Dad schon lange hinter mir verschwunden ist. Seine Worte von eben purzeln wild in meinem Kopf umher, doch sie ergeben allesamt keinen Sinn. Ich habe das Verschwinden von den Jungs auch immer als untergetaucht betitelt, weil es so plötzlich und unvorhersehbar war. Aber Dad sprach so, als wäre da noch etwas anderes. Etwas, von dem ich keine Ahnung habe.

»Luna?« Ich erwache aus meiner Starre und mache endlich kehrt. Dad steht bereits startklar vor der Beifahrertür, als ich aufschließen möchte, fällt mir der Schlüssel beinahe aus der Hand.

Verdattert schwinge ich mich vors Lenkrad, lege den Sicherheitsgurt um und stecke den Schlüssel ins Zündschloss. Dad verstaut sein Zeug auf dem Beifahrersitz, erst dann lässt er sich auf dem Beifahrersitz nieder und macht es mir mit dem Gurt gleich.

»Ich hoffe du fährst besser als früher bei Mario Kart.«

»Ja, kann sein«, nuschle ich abgelenkt und sehe vor meinen Augen nur noch verschwommen. »Luna.« Dads Hand landet wieder auf meinem Arm. »Um was habe ich dich vorhin gebeten? Ich möchte diese Zeit hinter mir lassen. Trübsal blasen hilft uns nicht weiter. Wir sollten uns lieber überlegen, was wir heute noch anstellen. Wie wäre es, wenn wir die anderen abholen und dann gemeinsam Essen gehen? Oder in den Park, ich habe Bonny beim letzten Besuch versprochen mit ihr einen ganzen Tag auf einem Spielplatz zu verbringen.«

Ich räuspere mich, verwerfe die ganzen unsortierten Gedanken in meinem Kopf und wende mich Dad zu. »Okay. Du hast ja recht und ich werde nicht mehr davon anfangen.« Er entspannt sich, es scheint als würden viele Zweifel von ihm abfallen. »Also in den Park?«

»Eigentlich.« Ich starte den Motor und passiere die Straße. »Eigentlich sieht es wohl so aus, dass dich etwas anderes erwartet.« Dad wirkt gleichzeitig neugierig, andererseits bewundert er mit großen Augen, wie ich durch die Straßen fahre.

»Was für andere Pläne?« Ich grinse. »Ich weiß nicht, ob ich es verraten darf, aber es wird dir gefallen. Keine Sorge, mit Bonny kannst du morgen den ganzen Tag auf den Spielplatz gehen und wenn du lieb bist, verrate ich dir sogar, welchen sie am liebsten mag.«

In dem Moment wusste ich noch nicht zu was sich die Grillparty entwickeln wird. 

-Losing Game-Where stories live. Discover now