-Kapitel 58-

575 40 1
                                    

»Das mit euch beiden wird schon wieder. Er vermisst dich mindestens genau so sehr wie du ihn.«

»Jetzt Schluss mit dieser Traurigkeitsnummer!« Conner klatscht in die Hände, dann taucht ein teuflisches Grinsen auf seinen Lippen auf. »Wie lange willst du uns noch warten lassen? Erzähl schon, wie das Wochenende mit Drew Hanson war! Ich will alle Einzelheiten wissen.« Kichernd esse ich den Teig auf, stecke die übriggebliebene Serviette in die Tasche und räuspere mich.

»Die Erzählung könnte länger dauern und ich bezweifle, dass wir jetzt genügend Zeit haben.« Conner stöhnt frustriert auf, was Meghan und mich zum Kichern bringt. »Fein«, faucht er. »Dann muss ich mich wohl noch gedulden.«

»Musst du, ja.« Meghan fasst an meinen Arm. Irritiert sehe ich zu ihr rauf und folge ihrem besorgten Gesichtsausdruck. »Da. Die Familie von Joshua ist eben aus dem Wagen gestiegen.«

In mir verkrampfen sich alle Knochen. Wie in Zeitlupe folge ich ihrem Blick, drehe mich halb herum und versuche so unauffällig wie möglich zu dem schwarzen Van zu schauen, aus dem gerade einige Personen aussteigen. Sofort verfangen sich meine Augen an Gracie Winter, die sich gerade ihre Sonnenbrille auf die Stirn setzt. Ich schlucke, da ich weiß, wozu sie die trägt.

»Hast du mit ihr gesprochen?«, höre ich Conner fragen, doch ich ignoriere es. Ich kann meine Augen nicht von ihr abnehmen, wie gebannt starre ich zu ihr rüber, als wäre ich ein Stalker und sie mein Opfer. Ihre Mom geht auf sie zu und umgreift steif ihren Arm. Sie sind alle ganz schwarz angezogen, die ganze Truppe. Sie wirken niedergeschlagen, meiden jegliche Blicke und sehen andauernd auf den Boden. Wieder huscht mein Blick zu Gracie, die plötzlich hoch schaut und meinen Augenkontakt aufnimmt. Sie scheint etwas überrascht zu sein, dass ich sie beobachte, doch wegschauen tut sie deswegen nicht.

Wir starren uns aus der Entfernung an als gäbe es nur uns beide an diesem Platz. Meine Beine möchten auf der Stelle zu ihr gehen, ihr erklären, wieso ich nie versucht habe mit ihr zu sprechen und ihr zu vergewissern, dass mein Dad keine Schuld trägt. Aber ich bleibe auf der Stelle stehen und lasse sie gehen. Weil ich Angst habe mit ihr zu sprechen, immerhin hat sie ihren festen Freund verloren. Und ich war nicht da um ihr beizustehen.

Als sie außer Sichtweite ist wende ich mich wieder Meghan und Conner zu, die mich mitleidig ansehen. Ich habe es satt so angeschaut zu werden, ich hoffe inständig, dass sich das nach diesem Tag ändern wird.

»Vielleicht solltest du das Gespräch mit ihr suchen«, schlägt Meghan langsam vor. »Es könnte euch beiden helfen.« Entschieden schüttle ich den Kopf und nehme ihren Vorschlag gar nicht in Betracht.

»Sie hat ihren Freund verloren und seine gesamte Familie denkt, dass mein Dad schuldig ist. Das mit uns beiden kann niemals mehr heil werden, auch nicht, wenn ich mit ihr rede.«

Meine Freunde antworten nichts mehr darauf. Ich hole tief Luft, starre auf den Boden und hoffe, dass dieser Tag bald endet. Diese Hochs und Tiefs sind nicht gut für mich. Plötzlich nehme ich Männerstimmen hinter mir wahr, meine Nackenhaare stellen sich auf.

»Gib es zu. Mir steht der Smoking besser als Drew. Wir haben die ganze Autofahrt darüber diskutiert«, höre ich eine bekannte Stimme sagen. Ich glaube Jamies. »Dir steht der Smoking vielleicht besser, aber mir diese ätzende Fliege.« Ich schnappe hörbar nach Luft und merke, wie irritiert meine Freunde mich ansehen.

Drew Hanson hat eben gesprochen und dass nur wenige Schritte hinter mir. Der Drew, mit dem ich die letzten Tage verbracht habe, der mich im Aufzug geküsst hat und mit dem ich daraufhin geschlafen habe. Ein Riesenkloß macht sich in meinem Hals bemerkbar, meine Füße sind wie geerdet.

»Ihr wisst schon, dass ihr euch nicht hättet so rausputzen müssen?« Cole klingt steif, trotzdem ein wenig amüsiert.

»Erzähl das mal Jamie. Er hat sich, zusammen mit einem Joint zwischen den Zähnen, geschlagene zwei Stunden fertiggemacht.« Endlich schaffe ich es meine Füße vom Fleck zu bewegen. Wie ein aufgehender Wirbelsturm fahre ich herum, stürze beinahe zu Boden, und nehme dann Drew ins Visier. Er steht zusammen mit Cole und Jamie ungefähr sieben Schritte von uns entfernt. Er scheint mich spüren zu können, denn sein Blick wandert langsam, aber sicher von Cole zu mir. Seine Augen weiten sich, er vergräbt die Hände in den Hosentaschen und mustert mich aus der Entfernung. Mir entgeht nicht, wie seine Augen langsam meinen Körper entlangfahren, ganz im Gegenteil. Davon wird mir ganz flau im Magen und meine Beine scheinen sich aufzulösen. Mein Herz donnert ohne Gnade gegen meine Brust, in meinem Unterleib zieht sich alles zusammen.

Drew sieht hinreißend aus. Er trägt, wie vermutet, einen Smoking. Er ist schwarz, aber nicht so elegant wie Coles oder Jamies. Der oberste Knopf an seinem Hemd ist geöffnet, darüber hängt eine dunkle Fliege. Seine Haare sind ordentlich gestylt, nicht wie im Hotelzimmer. Da standen sie in alle Richtungen ab, was mir zuzuschreiben war. Das Bedürfnis ihm durch die Haare zu wuscheln um alles wieder unordentlich zu machen ist übermächtig.

Die Spannung zwischen uns beiden baut sich auf, alles um uns herum scheint still zu stehen. Für einen kurzen Moment fühle ich mich wieder, wie in San Francisco, wo alles so schwerelos war. Es gab keine Verpflichtungen, kein richtig oder falsch. Es gab nur uns beide und das ich mich gestern auf der Heimfahrt so komisch aufgeführt habe tut mir leid. Mir wird gerade bewusst, dass ich diesen Tag nicht ohne ihn überstehen würde. Dass er die Kirsche auf der Sahnetorte ist, die noch fehlte. Ich möchte zu ihm gehen, ihm um den Hals fallen und ihm sagen, wie leid mir das gestern tut. Das ich nichts anderes möchte außer mit ihm zusammen zu sein.

Das er hergekommen ist bedeutet mir verdammt viel und ich weiß nicht, wie ich ihm je dafür danken kann.

»Willst du zu ihm?« Meghans Stimme dringt nur halb zu mir durch. »Natürlich will sie zu ihm. Sie ist total verrückt nach ihm«, meint Conner unberührt. Meine Wangen färben sich rot und genau als ich einen Schritt in Drews Richtung machen möchte, kommt Isabell zu uns.

»Cole, Luna? Wir sollten schon einmal reingehen.« Wie hypnotisiert nehme ich den Blick von Drew ab und sehe dann zu Isabell die mir leicht zulächelt. Ich räuspere mich und drehe mich kurz meinen Freuden zu.

»Wir sehen uns dann drinnen?« Sie nicken beide, dann nehmen sie mich einzeln in den Arm. »Es wird alles gut.« Ich nicke bloß als Antwort und zucke fast zusammen, als Cole plötzlich neben mir steht und mir seine Hand hinhält. »Bist du bereit?« Er scheint nervös zu sein, trotzdem gelingt es ihm, wie früher immer, mir meine Zweifel ein wenig abzunehmen. Wir teilen uns das Leid, damit wir nicht einzeln so viel ertragen müssen.

»Ich bin bereit.« Ich atme tief aus, greife nach seiner Hand und lasse mich von Cole zum Eingang ziehen. Als wir hineingehen, drehe ich mich einmal um und suche Drews Blick. Er sieht mich an, nickt mir zu und das ist alles was ich gebraucht habe.

Die Gewissheit, dass auch er für mich da ist.

-Losing Game-Where stories live. Discover now