-Kapitel 29-

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Luna

»Schmecken dir die Gummibärchen?« Grinsend stelle ich die Lautstärke meines Laptops etwas runter und beobachte Bonny wie sie sich einen Haufen Süß zeug in den Mund schiebt. »Und wie!« Lachend ziehe ich ihr die Decke mehr über die Beine, da sie sich unbewusst immer wieder aus dem warmen Stoff schält.

»Ich glaube wir haben noch Popcorn unten im Schrank«, überlege ich und im Nu sitzt Bonny auf mir drauf und sieht mit großen Augen auf mich hinab. »Ich liebe Popcorn!«

»Das merke ich, Bon. Du zerdrückst nämlich deine große Schwester gerade.« Bonny springt kichernd von mir ab und platziert sich wieder direkt neben mir auf meinem Bett. Wir machen öfters einen Filmabend in meinem Zimmer. Dazu dunkeln wir alles ab, stellen schönduftende Kerzen auf und ziehen uns einen Disneyfilm rein. Meistens darf Bonny den Film entscheiden, heute fiel die Wahl auf Küss den Frosch.

Während meine kleine Schwester gebannt auf den Bildschirm starrt, schweifen meine Gedanken immer wieder zu Cole ab. Und leider Gottes auch zu Drew. Es ist Mittwochabend, in zwei Tagen habe ich die Woche überstanden und kann mich am Samstag und am Sonntag allein in meinem Zimmer verschanzen. Oder ich übernachte bei Meghan, damit ich Cole nicht zufällig im Badezimmer antreffen muss.

Cole zog gestern offiziell wieder hier ein. Unsere Zimmer trennt bloß das Badezimmer, welches sich genau zwischen uns befindet. Zu meinem großen Glück bekam ich ihn nicht oft zu Gesicht. Er ist oft unterwegs und wenn ich unten höre, wie er durch die Haustür spaziert, schließe ich mich in meinem Zimmer ein und beschäftige mich mit meinen Hausaufgaben, oder ich sitze einfach vor dem Fenster und warte darauf, bis es endlich dunkel wird.

Heute Morgen holte Meghan mich zur Schule ab, so wie fast jeden Morgen, wenn Isabell das Auto braucht. Ich habe kein eigenes und da wir damals Geld brauchten, nachdem Dad verhaftet wurde, versteigerten wir seinen Wagen samt des Hauses. Seit dem Tag meide ich die Straße, in der ich aufwuchs, komplett. Kein einziges Mal lief oder fuhr ich an dem Haus vorbei, nachdem die neue Familie eingezogen war. Es würde mich umbringen.

Jedenfalls sprach Isabell mich heute beim Mittagessen darauf an, dass ich von nun an mit Cole zur Schule fahren könnte. Zum Glück befand er sich zu dem Zeitpunkt nicht im Haus, sodass eine winzige Chance besteht diesen Vorschlag einfach unter den Tisch fallen zu lassen.

»Popcorn?« Bonnys zierliche Stimme bringt mich zurück in die Realität und ich bemerke, dass ich so gut wie gar nichts von dem Film mitbekommen habe. »Bekomme ich dafür eine Umarmung?« Bonnys kurzen Arme schlingen sich in Windeseile um meinen Bauch. »Jetzt steh auf!«

Lachend stemme ich mich hoch, decke Bonny mit meiner Decke zu und schlüpfe in meine Hausschuhe, da meine Füße frieren.

»Und Kakao«, höre ich meine Schwester noch rufen, bevor ich die Zimmertür hinter mir verschließe. Sie hat Glück, dass ich sie so liebe. Während ich die Treppenstufen nach unten laufe, zupfe ich mir die Haare zurecht, die in einem ziemlich losen Knoten gebunden sind. Ich trage bloß ein graues Top mit einer kurzen Schlafshorts mit Mustern eines Leoparden.

Am Fuß der Treppe angekommen halte ich für einen Moment inne, da Stimmen aus dem Wohnzimmer kommen. Als ich vorhin mit Bonny in mein Zimmer gegangen bin waren weder Isabell noch Cole Zuhause. Isabell hatte anscheinend einen wichtigen Termin und wo sich Cole rumtrieb wusste ich nicht.

»Du kannst ihn nicht so oft besuchen, ohne dass es irgendwann auffällt!« Isabelles Stimme klingt aufgeregt. Sie scheint sich über etwas aufzuregen, doch weiß der Geier um was es geht.

Völlig regungslos bleibe ich auf der untersten Stufe stehen, klammere mich am Geländer fest und warte darauf, dass die andere Person was sagt. Oder telefoniert Isabell gerade mit jemanden? Gott, durch meinen Körper fließt auf einmal so viel Adrenalin und die Angst erwischt zu werden. Isabell soll nicht denken ich würde sie belauschen wollen.

»Was schlägst du sonst vor, Mom?« Ich beiße mir fest auf die Zunge um keinen Mucks von mir zu geben. Es ist Cole mit dem sie spricht. Und er klingt auch nicht besonders gleichgültig, sondern eher wütend. Einen hauch Verzweiflung schwamm in seiner Stimme mit.

»Ich schlage vor, dass du die Füße still hältst. Zumindest bis zur Verhandlung!«

Sie reden über Dad! Sie sprechen über meinen Dad, nein Korrektur. Sie streiten über meinen Dad. Ich drohe den Halt zu verlieren, vor meinen Augen verschwimmt alles, ich nehme kaum etwas wahr. Ein drückendes Gefühl macht sich in meiner Brust bemerkbar, ein gewaltiger Stich zieht ihren Bann. Meine Finger beginnen zu zittern an, meine Beine scheinen nachzugeben.

Langsam, wie in Trance, mache ich einen wackligen Schritt nach vorne um mich zu der Wohnzimmertür bewegen zu können. Sie sollen mich nicht bemerken. Mit zusammengepressten Lippen lehne ich meinen Rücken gegen die Wand, die genau neben der Tür zum Wohnzimmer steht. Hier können sie mich unmöglich erkennen, außer sie möchten nach oben oder zur Haustür.

»Und wie sollen wir dann planen was er sagen soll, Mom?«, fährt Cole Isabell im scharfen Ton an. Isabell gibt einen verzweifelten Ton von sich, bis zu ihrer Antwort vergehen mehrere Sekunden.

»Wenn wir den Anwalt haben, den ich im Auge habe, dann steigert sich unsere Chance um einiges ihn da rauszuholen, Cole.«

»Du denkst wirklich er kann einfach so auf Kaution raus? Mom, mal ehrlich. Er ist dort schon fast zwei Jahre drinnen! Wieso sollte diese Anhörung etwas daran ändern, wenn wir nichts an der Story ändern?«

Mein Blut gefriert in meinen Adern, das scheußlichste Gefühl der Welt schleicht sich in meinen Körper. Wovon sprechen sie? Wieso klingt es so, als würden sie so viel mehr wissen als ich? Heiße Tränen sammeln sich in meinen Augen an, der starke Schmerz scheint zurückzukehren.

Der Schmerz zu wissen, dass man nichts unternehmen kann, damit alles besser wird.

»Wir plädieren auf nicht genügend Beweise.« Isabells Stimme ist nichts weiter als ein schwaches Flüstern, doch ihre Worte gehen mir bis Tief in die Haut. »Wenn der Anwalt sich darauf einlässt und mit seinem Honor asch einverstanden ist, dann könnte es klappen.«

»Mom!« Cole wird lauter. Ich zucke zusammen. »Wie sollen wir das Geld dafür auftreiben? Was er verlangt ist viel zu viel!«

Plötzlich nehme ich ein rütteln an meinem Bein wahr. Ich schrecke so heftig zusammen, dass ich mir dabei schmerzlich auf die Zunge beiße. Bonny ist nach unten gekommen, zerrt an meinem Bein herum und sieht zu mir rauf. War ich wirklich so in Trance, dass ich überhaupt nicht mitbekommen habe, wie sie die Treppenstufen nach unten gekommen ist.

»Warum dauert es so lange?« Ganz schnell wird es im Wohnzimmer still und ich kneife die Augen wissend zusammen. Fuck, fuck, fuck.

»Habt ihr das gehört?«, höre ich Isabell fragen und augenblicklich beginnt mein Kopf zu rattern an um zu erörtern, wen sie mit ihr wohl gemeint haben könnte. Noch eine Stimme hatte ich aus dem Wohnzimmer nicht gehört.

Gerade, als ich Bonny auf die Arme nehmen wollte um ihr zu deuten sie solle kurz leise sein, wird die Tür zum Wohnzimmer komplett aufgezogen und Isabell erscheint in dem dunklen Flur.

-Losing Game-Where stories live. Discover now