-Kapitel 32-

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Mr Benni betritt als letzter den Klassenraum und stellt seine öde Ledertasche auf dem Pult ab. Ich lasse meine Arme wieder entspannt hinter meinen Hinterkopf schweifen und atme lange aus um mich auf den langweiligen Unterricht einzulassen. Mr Benni nimmt mich direkt ins Visier. Erst scheint er verwirrt zu sein, dann richtet er seine Brille aufrecht hin und checkt vermutlich die Anwesenheitsliste ab. Sein verwirrter Gesichtsausdruck verschwindet so schnell wieder, wie er gekommen ist.

»Ich hoffe ihr habt heute Nacht gut geschlafen, denn in dieser Doppelstunde sind wache Augen von Nöten«, verkündet Mr Benni und beginnt Arbeitsblätter auszuteilen. Unberührt von seinem Gelaber beuge ich mich Luna entgegen, wodurch ihr Duft an mir zu kleben scheint.

»So weit ich mich erinnern kann, konntest du heute Nacht gut schlafen.« Sie spannt sich bis zum letzten Muskel an und räuspert sich beschämt. Grinsend schiebe ich ihr eine dünne Haarsträhne vom Ohr, um ihr etwas zuflüstern zu können. »Jedenfalls bist du eingeschlafen wie ein Baby«, murmle ich ihr siegessicher zu und beäuge sie gespannt von der Seite. Sogar von hier erkenne ich wie sich ihre Wangen verfärben.

»Ich würde sagen es steht jetzt eins zu eins.«

»Pssst«, flüstert sie unsicher und schiebt sich die Brille zurecht, als Mr Benni an unseren Tisch angelangt und einige Blätter ablegt. »Luna, da Drew heute zum ersten Mal in diesem Kurs ist wäre es sehr freundlich, wenn du ihm etwas zur Hand gehen könntest.«

»Aber sicher doch«, meint Luna eher weniger begeistert. Fast entweicht mir ein unangebrachtes Lachen. Mr Benni sieht abschätzend zu mir hinab, schüttelt kaum sichtbar den Kopf und läuft dann weiter.

Luna nimmt sich ihre Blätter und beginnt direkt damit sie auszufüllen. Dafür benötigt sie nicht einmal das Buch, es scheint sie wüsste die Antwort auf jede fachliche Frage aus dem Kopf. Kleine, süße Streberin.

»Ms Moore? Sie sollten mir doch versuchen zu helfen.«

»Drew«, fährt sie mich leise an und wendet sich mir zu. Mir stockt fast der Atem, als ihre Augen auf meine treffen. Wie immer, durchfährt mich ein gewaltiges Glücksgefühl, wenn sie meine Blicke erwidert.

»Ich glaube die Aufgaben meisterst du super allein. Und wenn nicht«, sie nimmt ihr Physikbuch in die Hand und lässt es gnadenlos auf meinen Schoß plumpsen. Beinahe entfährt mir ein Fluchen, da es auf mein bestes Stück gefallen ist. Da Luna jedoch die Kraft einer Wüstenrennmaus besitzt halte ich den Schmerz ohne Probleme aus. ,»dann kannst du eigenständig die Antworten nachschlagen.«

Die Doppelstunde zusammen mit Luna ging viel zu schnell vorbei und ich kann selbst nicht glauben, dass ich allen Ernstes dieser Ansicht bin. In jedem anderen Fach wäre ich beim Klingeln sofort aus dem Raum gestürmt, oder hätte permanent auf die Uhr gestarrt.

Doch eben war es etwas anderes. Es hat mir viel zu sehr gefallen sie von der Seite aus zu beobachten. Während sie konzentriert Aufgabe für Aufgabe abgearbeitet hat, saß ich seelenruhig auf dem Stuhl und sah ihr gebannt zu. Wirklich, ich hatte schon Zweifel, dass die ganzen Schüler in der Klasse es bemerkten und mich als gruseligen Stalker abstempeln.

Nachdem es klingelte, stand ich langsam auf und wartete, bis Luna ihren Kram zusammengepackt hat um zu verduften. Ich hatte den Anschein, sie würde sich extra so viel Zeit lassen, da sie hoffte ich würde sie so in Frieden lassen und einfach gehen. Aber, nö. Gerade bin ich dabei ihr aus dem Klassenraum zu folgen.

»Bist du jetzt zu meinem Schatten mutiert?«, zischt sie mich von der Seite aus an, ohne zu mir zu schauen. In ihren Armen trägt sie zwei Bücher, die sie jetzt vermutlich zu ihrem Fach bringen möchte.

»Mag schon sein.«

»Dann lass es.« Sie wird schneller, rennt beinahe schon durch die Flure. Tja, so schnell lasse ich mich dann doch nicht abwimmeln. Wir passieren noch drei weitere Flure und vor ihrem Spind hält sie inne. Es befinden sich nur drei andere Schüler in dem Flur, die meisten sind entweder auf dem Hof oder in der Cafeteria.

Während Luna ihren Spind öffnet, lehne ich mich gelassen gegen einen anderen, der direkt neben ihrem liegt. Luna meidet meinen Blick, doch ich sehe ihr genaustens an wie genervt sie von meiner Anwesenheit ist.

»Möchtest du mich jetzt den ganzen Tag verfolgen?«

»Nope.«

Seufzend legt sie ihre Bücher in den Spind und zieht einen weißen Briefumschlag heraus. Bevor sie diesen in ihren Rucksack stecken kann, nehme ich ihn ihr aus der Hand. »Was ist das?«, frage ich grinsend. Luna wirkt etwas panisch, versucht sich den Brief wieder zu holen, doch ich halte meine Hand, so wie gestern als ich ihre Schuhe hatte, nach oben.

»Drew! Jetzt nerv doch nicht so fürchterlich!«, jammert sie verzweifelt und donnert ihren Spind zu. »Dann sag was es ist.« Ich beäuge den geschlossenen Brief. Er kommt aus der Universität in San Francisco. Mein Puls beschleunigt sich direkt, nun bin ich der, der von Panik gepackt wird.

»Es ist überhaupt nichts Besonderes.« Sie schnappt mir den Brief weg. Ich wehre mich nicht dagegen. »Die Uni in San Francisco veranstaltet einen Rundgang über den Campus und so. Einen Besuchstag für zukünftige Studenten.«

Sie scheint sich nicht darüber zu freuen und als sie den Brief aus den Umschlag nimmt, seufzt sie leise auf. »Willst du nicht hingehen?«, frage ich vorsichtig.

»Doch«, sagt sie langsam. »Ich würde sogar fruchtbar gerne hingehen.«

»Wo liegt dann das Problem?« Sie sieht zu mir rauf, in ihren Augen liegt Schmerz. Ich halte unentwegt die Luft an.

»Es liegt bloß an dem Datum.« Unsicher reicht sie mir den geöffneten Brief und wartet bis ich ihn mir durchlese.

»Es findet am Wochenende in zwei Wochen statt«, lese ich laut vor und runzle die Stirn. Wo liegt das Problem? Sie hat weder Schule, noch muss sie arbeiten.

»Ja und am Montag ist vermutlich der wichtigste Tag meines Lebens und der entscheidendste.« Ihre Stimme wird immer leiser, sie bekommt die Worte kaum über die Lippen. Mein Gehirn rattert ununterbrochen, ich versuche meinen innerlichen Terminkalender aufzurufen um zu verstehen was sie meint. Dann macht es Klick.

»Die Anhörung von deinem Dad.« Ihre Schultern spannen sich an, ich lasse den Brief sinken und versuche das schlechte Gewissen für einen Moment auszublenden.

»Dein Dad hätte nicht gewollt, dass du dir diese Chance entgleiten lässt.« Luna sieht zögernd zu mir und sagt einen Moment gar nichts. Dann nickt sie schließlich und atmet tief ein. »Trotzdem.« Sie nimmt mir den Brief weg. »Ich werde nicht hingehen.«

Tja, das werden wir noch sehen Luna Maus. 

-Losing Game-Where stories live. Discover now