-Kapitel 20-

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Luna

Mein Sichtfeld verschwimmt unter den ganzen heißen Tränen, die über meine Wangen strömen. Ich fühle mich als hätte meine Seele den Körper verlassen, laufe durch einen Flur, den ich nicht kenne. Der Schmerz ist wieder da, alte Wunden drohen aufzureißen. Die Schmerzen drohen mich zu vernichten.

Drei Jahre. Ganze drei Jahre habe ich dieses Augenpaar versucht zu verdrängen, versucht diese Nacht zu verdrängen. Die Nacht, die auf eine verdammt komische Art wunderschön begann und dann zu meinem Alptraum wurde.

In den letzten Jahren versuchte ich nicht oft an jene Nacht zurückzudenken, weil ich mir dann endlich eingestehen müsste, dass ich die Festnahme meines Dads verhindern hätte können. Wäre ich nicht so naiv und dumm gewesen, dann wäre mein Dad hier bei mir. Bei Bonny. Bei Isabell. Und frei.

Ich erinnere mich ganz genau an die Nacht. Wie ich durch ein Geräusch wach wurde und mein Zimmer verließ um nachzusehen, wer für die Unruhe verantwortlich war. Angst und eine Menge Adrenalin schossen damals durch meine Adern, oh Gott. Ich weiß noch genau was für eine Heidenangst ich in dem Moment verspürt hatte.

Trotzdem hielt mich die Angst nicht auf nachzusehen was um die späte Uhrzeit im Haus vor sich ging. Als ich mitten auf den Treppenstufen stehen blieb und ihn schließlich erkannte, ließ mein Herz einen gewaltigen schlag aus, was mich dazu verleiten hatte ein ungewolltes Geräusch zu verursachen. Ich habe mich selbst verraten, ich hatte ihm verraten, dass ich ihn erwischt hatte.

Und vor lauter Blindheit hakte ich nicht lange auf der Frage rum, was er verdammt noch mal im Dunkeln bei mir Zu Hause trieb. Was ihn dazu veranlasste. Stattdessen drehte mein Teenie Herz durch und meine Gefühle überrannten jede Vernunft, die mich innerlich anschrie etwas gegen das Kribbeln in meinem Bauch zu unternehmen.

Das schlimmste war der Kuss.

Gleichzeitig war es auch das wunderschönste.

Bis heute kann ich mir nicht erklären, was mich zu diesem bescheuerten Schritt geritten hatte. Entweder war ich zu schwach um weiter gegen meine Gefühle anzukämpfen, oder ich war dumm. Wahrscheinlich ein bisschen von beidem.

Trotzdem denke ich noch oft an diesen kleinen Moment zurück. Unbewusst, versteht sich, oder? Niemals würde ich absichtlich an Drews weiche Lippen denken, die mir das Gefühl gaben zu schweben. Ja, ich fühlte mich als könnte ich in diesem Augenblick fliegen können. Hoch hinaus zu den Sternen, dem Universum. Ich fühlte mich mit ihnen verbunden. Und mit der Ewigkeit.

Und weil ich so empfand, bekam ich nicht mit was für schreckliche Dinge in dieser Nacht tatsächlich vor sich gingen.

Nachdem Drew mich aufforderte nach oben in mein Zimmer zu gehen und das alles zu vergessen, glaubte ich noch immer nicht an die Konsequenzen. Ich dachte viel eher daran, dass er mich nicht mochte. Das Drew nicht von mir geküsst werden wollte.

Doch ich täuschte mich gewaltig.

Als das Blaulicht erschien rannte ich vor Angst in mein Zimmer, tat was Drew sagte und legte mich schlafen. Doch unter meiner Bettdecke zitterte mein Körper am ganzen Leib, Angst und leere breiteten sich in jeder Region meines Körpers aus und ich hatte das Gefühl zu sterben.

Weil ich nicht wusste, was vor sich geht.

Die Nacht endete damit, dass Dad verhaftet wurde, nachdem er eine halbe Stunde später durch die Verandatür nach Hause kam. Eine halbe Stunde später, nachdem ich mich schlafen stellte und Drew aus dem Haus flüchtete. In dieser Nacht wurde Josh Winter tot aufgefunden, mitten auf dem Bürgersteig in der Nachbarschaft. Es stellte sich heraus, dass nur wenige Häuser weiter eine Hausparty vor sich ging, auf der Josh zu Beginn des Abends anwesend war.

Zeugen konnten bestätigen einen Streit gehört zu haben und man fand die Autoschlüssel meines Dads auf dem Boden, nur wenige Meter neben der Leiche. Die Polizisten kamen zu uns, sahen das offene Fenster und dank Drew erweckte unser Untergeschoss des Hauses den Eindruck, als wäre jemand eingebrochen. Und da Dad erst nach dem Mord nach Hause kam, ohne Schlüssel und ohne Alibi, zählte die Polizei eins und eins zusammen.

Sie denken nämlich, dass Dad mit Josh mitten auf der Straße gestritten hat. Daraufhin sei der Konflikt so ausgeartet, dass er einfach umfiel. Dad verschwand vom Tatort, vergaß seinen Schlüssel und brach das Fenster im Untergeschoß unseres Hauses auf, damit er rein kommen kann, ohne mich wecken zu müssen.

Ohne, dass ich etwas von all dem mitbekam.

Als ich das zu hören bekam, erstarrte mein ganzer Körper. Ich konnte mich nicht bewegen, weder brachte ich auch nur ein Wort über meine Lippen. Nichts, ich war absolut keine Hilfe für Dad.

Mir wurde bewusst, dass Drew nicht wegen mir bei uns auf der Matte stand. Er war derjenige, der vor etwas floh. Er brach in unser Haus ein um sich verstecken zu können und ließ es dabei so aussehen, als wäre es mein Dad gewesen.

Nach dieser Nacht bekam ich Drew nicht mehr zu Gesicht. Genau wie Cole und Jamie Andrews.

Sie waren wie vom Erdboden verschluckt.

Bis sie vor weniger als einer Woche wieder auftauchten und dass nur wenige Wochen vor Dads wichtiger Anhörung.

Das Schlimme ist, ich weiß nicht was Dad in dieser Nacht getrieben hat. Ich weiß nicht, wieso er erst so spät nach Hause kam, aber ich weiß, dass er Josh Winter nicht umgebracht hatte. Ich sehe es in seinen Augen, ich erkenne, wenn er mich anlügt.

Und er lügt mich an. Und zwar in Bezug auf Cole. Immer, wenn ich meinen Dad nach Cole frage macht er dicht. Er wollte immer, dass ich die Sache ruhen lasse. Als gäbe es etwas, was ich nicht weiß.

Aber das kann ich nicht. Der Schmerz, der sich jahrelang in mir gebildet hat, wird erst abschwellen, wenn ich das wahre Monster jener Nacht zufassen bekomme. 

-Losing Game-Where stories live. Discover now