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Beim Heiler im zweiten Stock angekommen, hörte ich Yvaines Schrei bereits auf der Treppe. Als ich die Tür aufstieß, sah ich sie auf dem Bett liegen. Ihre Hände hatte man mit Seilen an das Bett fest gebunden, damit sie still hielt, wenn man ihr etwas zur Behandlung gab.

Immer noch schreiend warf sie sich herum.
„Mach, dass es aufhört! Mach, dass die Schmerzen aufhören!"
Alaric stand an seinem Arbeitstisch und mischte wie wild Kräuter zusammen.
„Gleich ist es so weit. Nich mehr lange! Du schaffst das!"

Yvaine bäumte sich auf, auf der Stirn glänzte der kalte Schweiß, Tränen liefen ihr an den Wangen herab.

Meine Kiefer pressten sich aufeinander, aber ich verzog sonst keine Miene. Stattdessen trat ich zu Visha und Drystan, die beide mit etwas Abstand zum Bett leise redeten.

Sie entdeckte mich, also verbeugte ich mich vor dem Prinzen
„Eure Hoheit, Kommandantin."
Beide nickten knapp.

Wieder ertönte ein Schrei von Yvaine. Drystan zuckte zusammen, Visha schloss kurz die Augen.
Ich tat gar nichts. Tatsächlich waren schmerzvolle Schreie nicht Neues für mich. Die sind in der Burg immer wieder ertönt. Manchmal war ich dafür verantwortlich, manchmal war ich es, die schrie.
Aber irgendwann hatte ich aufgehört. Schmerzen machten mir nichts mehr aus. Und genau das war es, was er haben wollte.

„Sie wurde verletzt und damit vermutlich infiziert, genauso wie der Wachsoldat.", sagte ich sachlich.
Visha nickte mit den Augen auf Yvaine. Drystan dagegen vermied es in ihre Richtung zu schauen und fragte stattdessen mich:
„Was schlagt Ihr vor, sollten wir tun?"

Da ich wusste, dass mein Vorschlag ihm nicht gefallen würde, schwieg ich einen Moment lang. Doch dann sprach ich es doch aus:
„Wir sollten sie töten, bevor sie mutiert oder jemand anderen ansteckt."
Drytsan schien geschockt, dass ich so etwas vorschlug. Zumal ich das in einem Ton tat, in dem andere über etwas belangloses, wie das Wetter redeten.
Visha verzog den Mund zu einer Linie.

Jedoch wirbelte Alaric zu mir herum und erhob den Mörser mit dem er gerade Kräuter verarbeitete.
„Ich werde nicht zulassen, dass Ihr einen meiner Patienten tötet. Nicht so lange, bis ich alles in meiner Macht stehende getan habe!"

Ausdruckslos musterte ich den dunkelhäutigen Heiler.
„Wenn wir sie nicht rechtzeitig töten, wird sie uns ebenfalls anstecken. Dann habt Ihr nicht nur einen, sondern gleich zehn, wenn nicht mehr, Patienten, die ihr töten müsst."
Als er den Mund aufmachte, um dagegen zu argumentieren, kam ich ihm zuvor:
„Vermutlich werdet Ihr dann mit den gleichen Schmerzen im Bett liegen und wir haben keine Hilfe mehr für irgendwen."
„Wenn ich keinen anderen Ausweg mehr sehe", presste Alaric entschieden hervor, „Werde ich ihr Leben mit einem Kraut beenden. Sie wird ohne Schmerzen einschlafen. Bis dahin aber behandle ich sie."
Dazu sagte ich nichts weiter. Mit einem letzten Blick zu mir, setzte Alaric seine Tätigkeit vor.

Ich kehrte ihm den Rücken zu und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Visha und Drystan.

„Ich sehe das so wie Alaric", meldete Visha, „Bevor wir zu so drastischen Maßnahmen greifen, sehen wir, was er tun kann."

Es gibt nichts zu tun. Die Seuche ist unausweichlich und verläuft sehr qualvoll. Wenn Yvaine lange genug durchhielt, würde sie vermutlich sogar darum betteln, dass wir ihr Leben beendeten.

Drystan nickte ernst. „Mein Vater weiß schon über den Angriff auf euren Trupp Bescheid. Morgen trifft er sich mit dem Rat."

Yvaine bäumte sich hinter uns auf. Ihre Handgelenke waren schon wundgescheuert, dort wo man sie festgebunden hatte.
Ich wusste wie es sich anfühlte, aber ich distanzierte mich von dem Bild, das sie abgab, sodass ich in der Lage war, kalt zu bleiben.

Nemesis - Blut und Schwerter Where stories live. Discover now