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Drystan
Die Soldaten stießen uns unsanft zurück in den Wagen, verriegelten die Tür und stellten sich vor ihr auf. Ein Wache stand direkt vor den Eisenstangen, der andere bei der Tür. Beide mit dem Rücken zu uns, aber sicherlich belauschten sie jedes Wort.

Chara ließ sich müde gegen Virginias Schulter fallen. In ihrem Gesicht klebte noch Dreck und Ruß von dem Überfall. Ihr weißes Kleid war am Saum braun und auf Höhe der Knie ebenfalls. Der feine Stoff unten rissig von der Flucht durch den Wald und dem rauen Holzboden des Wagens.
Der goldene Lidschatten war verschmiert, auch wenn ich wusste, dass sie bis jetzt noch kein einziges Mal geweint hatte. Trotz der Schrecken der letzten drei Tage.

Virginia legte den Arm um die Prinzessin und sagte etwas beruhigendes auf Delerisch, was ich natürlich nicht verstand. Allerdings machte sich auch auf ihrem Gesicht Verzweiflung breit.

„Denkt Ihr, wir können Nemesis vertrauen?", fragte Virginia mich plötzlich.
Ich hob den Kopf, nahm mir aber Zeit mit der Antwort. 

Sie war die Vollstreckerin des leymalischen Königs. Ausgebildet um in seinen Namen und zu seinem Vorteil zu töten.
Sie hatte über ihre Vergangenheit ohne mit der Wimper zu zucken gelogen. Sie kam nicht aus einem Dorf am Rande von Koranée. Genauso wenig hatte sie ihr Kampfgeschick mit Turnieren erworben.

Ich musste an die nächtlichen Tanzstunden mit ihr zurück denken. In diesen Stunden hatte ich mich ihr näher gefühlt. Sie wirkte weniger kalt, wenn sie tanzte. Und als sie dann diese wunderschöne Melodie auf dem Klavier gespielt hatte...
Oder auf dem Dach, als wir Adeenas Hinrichtung von weitem beobachtet hatten.
In diesen kleinen Momenten glaubte ich einen Blick hinter ihre Maske erhaschen zu können.

Aber im nächsten Moment überlebte sie eine Infektion mit der Seuche, stand nach einem Tag sicher auf den Beinen, obwohl sie eine schwerwiegende Wunde davon getragen hatte. Obendrein konnte sie mit den Infizierten reden. Das hatte Visha berichtet und ich hatte es eben selbst erlebt, als der Infizierte Virginia gepackt und der zweite Nemesis angesprochen hatte. Es waren die gleichen, fauchenden Laute aus ihrem Mund gekommen.

Während wir nur Fauchen und Knurren gehört hatten, schien Nemesis seine Worte zu verstehen und hatte das Schwert fallen lassen.

Ich glaubte nicht länger, dass sie unwissend gewesen war, als wir den ersten Infizierten im Wald aufgefunden hatten. Sie hatte es in Leymalien bereits erlebt, war aber erst mit den Informationen herausgerückt, als sie Adeena verhört hatte. Wie auch immer so ein Verhör unter Gleichen gelaufen war.

Ich ballte die Fäuste.

Sie hätte uns mehr über die Seuche erzählen können. Vielleicht wären weniger gestorben. Vielleicht hätten wir uns besser schützen können und der Überfall von Vishas Gruppe, wo Nemesis dabei gewesen war, wäre besser verlaufen.
Yvaine könnte noch leben.

Ich stieß die Luft aus, den Kiefer angespannt.
„Sie ist auf unserer Seite."
Nach einer kurzen Pause fügte ich jedoch hinzu:
„Aber vertrauen können wir ihr nicht."

Virginia schob sich ihre gegflochtenen Zöpfe über die Schulger. Auch ihre Schminke war verwischt und Blutspritzer klebten an ihrer weißen, weiten Hose, die genauso verdreck war wie das Kleid von Chara und meine eigene blaue Kleidung.

Chara atmete zitternd aus.
„So viele Tote."
„Und noch mehr Infizierte", murmelte ich düster. Dabei schweifte mein Blick zum Wald, wo meine Landsleute verwandelt umher streiften.

Und auch wenn ich wütend war auf Nemesis, dass sie ihre Herkunft verschwiegen und sich für jemand anderes ausgegeben hatte, machte sich Sorge um sie breit. Ich hatte gesehen wie abwertend dieser Renalds sie angesehen hatte. Als wäre sie kein Mensch sondern... eine Waffe.

Nemesis - Blut und Schwerter Donde viven las historias. Descúbrelo ahora