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Nemesis
Drystan lag schlummernd, zusammengerollt im Gras, Virginia direkt daneben, das Gesicht kalkweiß. Ihr Bein machte ihr sichtlich zu schaffen.

Chara warf sich hin und her. Tränen hatte sie keine mehr, aber der Schweiß stand ihr auf der Stirn und ihre Augen zuckten hin und her. Ich bezweifelte, dass sie heute Nacht Ruhe finden würde.

Seufzend ließ ich mich neben Chara fallen.
Genauso wenig wie ich.

Der Grund warum ich uns trotz der Erschöpfung der anderen so gehetzt hatte, war, dass ich so schnell wie möglich von der Burg weg kommen wollte. So schnell und so weit es ging.

Zwar hatte ich alle anwesenden Clanmitglieder getötet, einige Soldaten und Renalds kamen noch dazu, aber unter meiner Haut kribbelte noch immer der Schrecken, den diese grauen Steinwände in mir wachriefen.
Dass ich meine Rache bekommen hatte, änderte rein gar nichts daran. In Gedanken an Allstair vermisste ich meine Handschuhe.

Unwohl ballte ich die Fäuste und öffnete sie wieder. Etwas verkrustete Blut bröselte ab. Mir fehlte die Sicherheit des Stoffes, der mich vor jeder Berührung abschirmte.
Dazu trug ich noch diesen bescheuerten Aufzug, der zu nichts weiterem diente, als männliche Blicke auf mich zu ziehen. Mich darbot wie ein Stück Fleisch.

Zwar konnte ich meine Gefühle nach außen hin zügeln, aber in meinem Inneren tobte der Sturm, den Allstair mit seinen magischen Bilder losgetreten hatte, weiter.
Alles, was ich über Jahre weggestopft, verdrängt, verleugnet hatte, raste durch mich hindurch. Mit alldem kamen blutige Bilder, schneidende Erinnerungen und tosenden Gedanken.

Ich starrte auf den Waldboden vor mir, während meine Vergangenheit mich einholte.

Ein Messer in meiner Hand. Ich führe es über eine Kehle. Über die nächste und über die nächste.

Das Gesicht der Bibliothekarin, wie sie mich anlächelt. Das Bild flackert und wird von ihrem abgetrennten Kopf eingenommen.

Schreie.

Kaltes Eisen an meiner Haut. Heiß brennende Schnitte an meinem ganzen Körper.

Feuer. Heiß an meinem Fleisch.

Schreie.

Sterne, die verblassen.
Musik, die verklingt.
Ein Tanz, der mich in harte, kalte Arme führt.
Hände, die über meinen Köper wandern.

Ich rang nach Luft. Mein Herz raste in meiner Brust. Automatisch sah ich über die Schulter und erwartete halb, dass Allstair da stand, aber alles, was ich sah, waren knorrige Bäume.

Jetzt fiel mein Blick auf Chara zurück, die erneut in den Knebel schrie. Ich sah den Schmerz, den sie durchlitt und konnte ihn fast selber spüren.
Wie ich es hasste, machtlos zu sein.

Nachdenklich rutschte ich näher an sie ran und ließ meine Augen über sie gleiten. Ich wusste nicht, wie lange so eine Infektion brauchte, bis die Prinzessin zu den Wesen mutieren würde, die sie angegriffen hatten. Bei mir war der Schmerz nach einem Tag vorbei. Allerdings hatte ich auch schon erlebt, wie die Personen nach wenigen Stunden manisch geworden waren und erste Anzeichen von veränderten Gliedmaßen gezeigt hatten.
Dass Chara immer noch unter Schmerzen litt, war also ungewöhnlich. Wie es schien kämpfte sie verbissen gegen die Infektion an, möglicherweise unterstützt von ihrer Magie.

Meine Vergangenheit rückte in den Hintergrund und ich kam wieder in der Gegenwart an, als ich meine Gedanken auf die Prinzessin vor mir richtete.

Als sie sich wiederholt aufbäumte, krallte ich meine Hände in den abgerissenen Stoff meines Rockes.
Wenn ich immun war, musste ich doch irgendwie helfen können!

Nemesis - Blut und Schwerter Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt