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Drystan
Ich saß grübelnd über der Gästeliste für den Verlobungsball, daneben eine Zusammenfassung Chri-Delerischer Etikette.
Seufzend lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und rieb mir die Augen.

Phyrros, der dabei war die Unordnung in meinem Zimmer zumindest teilweise zu beseitigen, warf mir einen belustigten Blick zu.
„Fertig mit den Nerven?"

Ich schnaubte und ließ die Hände von meinen Augen fallen.
„Zwei Mordanschläge, zwei Angriffe von Infizierten und eine arrangierte Hochzeit. Wie kommst du nur darauf?"
Seine Mundwinkel wanderten nach oben und er unterbrach seine Arbeit.
„Wir können auch eine Runde Karten spielen."
Er nickte zu dem Deck auf meinem Schreibtisch.

Kopfschüttelnd nahm ich das Papier wieder zur Hand.
„Ich muss das können, sonst macht meine Mutter mich einen Kopf kürzer."

Phyrros strich sich eine schwarze Strähne aus dem Gesicht, wandte den Blick aber nicht ab.
„Du denkst an Nemesis oder?"

Über das Blatt hinweg sah ich ihn wieder an. In der Hand hielt er das Buch, das er gerade zurück räumen wollte, die andere hatte er wissend in die Hüfte gestemmt. Ich vergaß manchmal, wie lange wir uns schon kannten und wie gut er darin war, mich zu lesen.

„Sie liegt verletzt bei Alaric. Klar denke ich an sie."
Kopfschüttelnd schob Phyrros das Buch ins Regal, eher er sich mir gegenüber auf den Stuhl setzte.
„Du kannst ihr nicht trauen."

Erneut ließ ich das Papier sinken.
„Phyr..."
Er unterbrach mich bestimmt. „Wenn das, was du erzählst, stimmt, dann ist sie einfach zu gut für eine Turnierkämpferin. Sie erzählt nichts über ihre Vergangenheit, sie weigert sich Fragen zu beantworten - ich fasse es immer noch nicht, dass du diesen Deal mir ihr eingegangen bist- und sie selbst sagt, dass du ihr nicht vertrauen sollst."
Mir verschränkten Armen kniff er die Augen zusammen.
„Wie offensichtlich soll sie es noch machen? Sie verbirgt etwas großes."

Nickend rieb ich mir die Schläfe.
„Das weiß ich alles. Mir ist klar, dass sie lügt und etwas verbirgt. Aber sie hat von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht."
Phyrros schnaubte. „Und deswegen vertraust du ihr?"
„Ich vertraue ihr", sagte ich entschieden, „Weil sie mir jetzt vier Mal das Leben gerettet hat!"
Störrisch sah mein Freund weg. „Dann hat sie dir eben deinen königlichen Arsch gerettet, aber das ist nunmal ihr Job. Dafür wird sie bezahlt."

Jeder andere wäre für so eine Wortwahl und offenem Widerspruch gegenüber dem Prinzen bereits verurteilt worden, aber ich schätzte Phyrros genau deswegen. Er hielt sich nicht zurück, mich auf meine Fehler hinzuweisen.

„Sie wäre dieses Mal beinahe gestorben. Wenn sie mir hätte schaden wollen, hatte sie schon längst Gelegenheiten."
Jetzt zog er eine schmale Augenbrauen hoch.
„Wie eure nächtlichen Tanzstunden zum Beispiel?"

Er hatte mir bereits deutlich klar gemacht, dass er nichts davon hielt, dass ich nachts mit ihr alleine Zeit verbrachte.
„Sie wird mich schon nicht abstechen."
„Kannst du das denn wissen?", fragte er herausfordernd.
Ich öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder.
Was wusste ich denn schon von Nemesis?

Ihre Lieblingsfarbe war orange, wie der Neuanfang. Sie liebte Musik, wollte irgendwann mal in ein Theater gehen. Sie war erst neunzehn und musste grausames gesehen haben, was sie so abgestumpft hatte. Und sie hatte getötet. Darin war ich mir sicher.
Wie viele?
Stellt keine Fragen für dessen Antwort ihr nicht bereit seit.

„Ich kenne sie besser als du."
Lachend schüttelte er den Kopf.
„Sie ist ja auch deine Leibwächterin."
„Trotzdem bist du derjenige, der ein Urteil fällt."

Seufzend stand er wieder auf und kehrte mir den Rücken zu, um weiter aufzuräumen. Eigentlich war es aussichtslos. Nach ein paar Tagen sah es wieder so aus, wie vorher.

Nemesis - Blut und Schwerter Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt