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Drystan
Nemesis war neben mir einfach zusammengesackt, aber ich hatte sie gerade noch auffangen können, sodass ihr Kopf jetzt auf meinen Knien ruhte und ich besorgt ihre Hand umklammerte.

Ihr Gesicht war blass, ihre Atmung zu schnell, während in der Schwärze um uns herum sich abspielte, was sie gerade durchleben musste.

Mit wachsendem Grauen sah ich dabei zu, wie sie in einem Lager aus Zelten einem Bewohner nach dem anderen umbrachte. Männer, Frauen, sogar Kinder!

Die Nemesis, die dort ihr Schwert schwang, konnte nicht älter als fünfzehn sein. Sie war selbst noch ein Kind, aber ihre Bewegungen zeugten bereits von der Eleganz und Kraft, die sie heute besaß.
Allerdings war ihr Gesicht damals noch nicht so leer wie jetzt. Auch während sie tötete wirkte sie ... menschlicher.

Ihre Augen waren noch nicht so kalt, ihre Züge noch weich und hin und wieder rührte sich etwas in ihrer Miene.
Trotzdem setzte sie ihren Weg der Zerstörung unweigerlich fort. Hinter ihr fielen Körper leblos zu Boden, Waffen knallten auf die Erde und Blut tränkte das Gras.

Ich konnte nicht anders als, bei jedem weiteren Kopf, der auf den Boden rollte, zusammenzuzucken.

Doch die Bewohner des Lagers hatten sich formiert. Bewaffnete Männer und Frauen attackierten Nemesis, die inmitten von Klingen, die sie verletzen wollten, umherwirbelte. Ihr Zopft tanzte um ihren Kopf, während sie sich so schnell bewegte, dass es an ein Wunder grenzte, dass sie so lange durchhielt. Ihre Schritte ließen sich kaum verfolgen, so gut war ihre Beinarbeit.

Doch irgendwann wurden es sogar für sie zu viele. Das Lager war groß und die Menschen setzten ihre geballte Kraft gegen sie ein. Nemesis hatte bereits viel länger durchgehalten, als eigentlich möglich sein sollte, aber schließlich schlug man ihr das Schwert aus der Hand und rang sie zu Boden.

Mir fiel nicht auf, wie ich den Atem anhielt, als man sie fesselte und auf die Beine zerrte, um sie zum Platz in der Mitte zu schleifen.
Ein bärtiger, hagerer Mann und eine rothaarige Frau mit blassen Teint warteten mit dunklen Mienen auf sie.

„Das ist die Mörderin", knurrte der Mann, der Nemesis fest am Arm gepackt hatte. Als sie sich wehrte wurde der Griff der Frau auf Nemesis' anderen Seite nur noch fester.

Mit ausdruckslosem Gesicht hörte sie sich schließlich auf zu bewegen und sah den älteren Mann vor ihr direkt ins Gesicht. Dieser strich sich nachdenklich über seinen teilweise ergrauten Bart und ließ seine grünen Augen an der blutberschmierten Nemesis hoch und runter wandern.
„Hat Allstair dich alleine geschickt?", fragte er.
Nemesis verharrte so still, dass es fast gruselig war, ohne ihm zu antworten.

Daraufhin schlug ihr der Mann, der sie festhielt, gegen den Hinterkopf.
„Na los! Antworte!"

Überraschenderweise zuckte der Arm der rothaarigen Frau vor.
„Hey! Sie ist ein Kind!"
Der Mann, der Nemesis geschlagen hatte, schnaubte: „Sie hat gut die Hälfte unserer Leute getötet!"
Unbeirrt kniete sich die Frau vor Nemesis hin.
Nemesis war schon damals kleiner gewesen, als für ihr Alter üblich.

„Du weißt, wer ich bin, oder?", fragte die Erwachsene mit ruhiger stimme.
Nemesis sah vom Mann zu ihr. Sie verzog noch immer keine Miene, aber das kannte ich auch von der Nemesis aus der Gegenwart nicht anders.

„Ja", bestätigte Nemesis leise, „Du gehörst zu Allstairs Soldaten. Du bist eine Rebellin."
Falls sie über den Verrat geschockt war, zeigte sie es nicht.

Die Frau nickte. „Weißt du vielleicht, warum ich die Seiten gewechselt habe?"
Während der ältere Mann abwartend schwieg, fragte der Mann hinter Nemesis ungläubig:
„Versuchst du sie gerade zu rekrutieren?"

Nemesis - Blut und Schwerter Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt