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Kannst du wieder zum Park kommen?
Meine Frage bleibt nicht lange unbeantwortet. Ich grinse bei dem Gedanken, dass das unser Ding werden könnte.
Unter den Eichen sitzen und ... schweigen. Reden. Wozu auch immer wir gerade bereit waren.

Auf Jaces Frage hin, was los sei, antwortete ich mit der Wahrheit.
Mein Vater will mich wieder als Vorführobjekt ausleihen.
Mir ist klar, dass ich ihm einiges erklären muss, wenn wir uns gleich gegenüberstehen.
Dieses Mal bin ich nicht so aufgeregt, wie es am Mittwoch der Fall war.

Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, die Wut aus mir zu vertreiben.
Doch spätestens als Jace über den Rasen auf mich zu geschlendert kommt, schaffe ich es auch meine Hände zu lockern.
"Hi", bringe ich hervor, lange bevor er bei mir angekommen ist.

Er wirkt unschlüssig, seine Hände verweilen an seinem Körper und sein Gesicht wurde von allen Bartstoppeln befreit. Ich mustere die glatte Haut.
Ein Windstoß erfasst mich. Heute ist es nicht mehr sonnig.
Graue Wolken verhängen den Himmel und tauchen alles in ein milchiges Licht.

Ich mache einen Schritt auf den jungen Mann zu. Dann lege ich die Arme um ihn.
Wie von selbst schlingen sich seine um meinen Körper. Die Nähe zwischen uns fühlt sich so vertraut an, dabei ist dies erst die zweite Umarmung, die wir teilen.
Meine Hände fahren kaum merklich über den Stoff einer dunkelblauen Kapuzenjacke, die ich noch nie zuvor an ihm gesehen habe.

Jace riecht nach Waschmittel und Seife, weniger nach Rauch und Wald.
Doch als ich meine Nase an die nackte Haut drücke, die vom Ausschnitt seines Shirts freigegeben wird, rieche ich die vertrauten Moschus-Noten.
"Habe ich dir etwa so gefehlt?", lacht Jace leise in mein Haar, das ich heute zu zwei Zöpfen geflochten habe.

"Das werde ich dir ganz bestimmt nicht verraten", necke ich ihn und löse mich von seinem warmen Körper.
Als sich der nächste Luftzug unter meinen dünnen Mantel fährt, wünsche ich mich zurück in seine Arme.

"Ist es dir zum Sitzen zu kalt?", fragt Jace, als hätte er den Schauder, der meinen Körper ergriffen hat, bemerkt.
Ich schüttle den Kopf, obwohl die ehrliche Antwort wahrscheinlich ein Nicken gewesen wäre.
Die Wunde an seiner Schläfe scheint verschwunden.
Ohne es verhindern zu können, hebe ich die Hand und lege sie an seine Wange, empfinde den ebenso verschwundenen Drei-Tage-Bart nach. Seine Haut ist glatt und weich unter meiner Berührung.

Jace sieht mich fragend an, doch als ich lächle, entspannt er sich.
Er muss sich heute Morgen frisch rasiert haben.
Ich habe so viele Fragen. Wie sieht sein Alltag aus? Reicht das Geld aus dem weißen Becher für den Waschsalon?

Meine Fragen eben ab, als Jace nach meiner Hand greif und sie von seinem Gesicht zieht, in seinen Augen ein unergründliches Schimmern.
"Setzen wir uns."
Er führt mich zu unserem Baum. Jedenfalls ist es für mich jetzt schon unser Baum.

"Ich will ehrlich sein", beginnt er, sobald wir uns niedergelassen haben, "die Wortwahl Vorführobjekt hat mich besorgt gemacht."
Ich lache freudlos auf.
"Ja, aber genau das bin ich für meinen Vater, wenn er Geschäftspartner einlädt."

Jaces grüne Augen betrachten mich kritisch.
"Ich bin ein Anreiz für Gespräche", erkläre ich. "Ich schmücke die Runde der viel beschäftigten Herren."
Ich wende den Blick ab und rupfe ein Büschel Gras aus.

"Es fühlt sich schrecklich an", seufze ich. "Deswegen musste ich da einfach raus."
"Und dein Vater akzeptiert nicht, wenn du ... nicht an diesen Runden teilnehmen willst?"
Ungläubig fährt sich Jace mit einem Finger über seine verletzte Unterlippe.
Ich schweige, überlege, wie ich darauf antworten könnte. Das Gras in meinem festen Griff ist nass und kühl.

"Nicht wirklich. Er akzeptiert eigentlich keine Meinung außer seine eigene. Ein Grund für das schlechte Verhältnis zwischen ihm und meiner Mutter und wahrscheinlich auch mit dafür verantwortlich, dass Ben mit den Drogen angefangen hat ... Aber das habe ich ja schon erzählt."
Meine Stimme wird mit jedem weiteren Wort dünner.

"Ja, das hast du", sagt Jace neben mir.
Ich drehe meinen Kopf nach links und sehe ihn an.
Er lächelt mir aufmunternd entgegen. Aber nicht auf die Art und Weise, wie es Menschen sonst immer tun, wenn ich traurig oder schlecht drauf bin.

Seine Augen geben mir wirklich zu verstehen, dass es okay ist.
Seine Mundwinkel laden mich dazu ein, es auch mal mit einem Lächeln zu versuchen - einem Echten, einem, dass nur Jace gebührt.
Da schwebt dieser Ausdruck auf seinem Gesicht, der nicht falsch ist.

Er sieht mich.
Er versteht mich.
Und ohne einen Gedanken daran verschwenden zu müssen, breitet sich ein kleines Lächeln auf meinem Mund aus.

Es ist eine Schande, dass jemand wie Jace als Ausgestoßener leben muss.
Ich erinnere mich an die abwertenden Blicke, die ihm am Bahnhof zugeworfen worden sind.
Dieser Mann trägt so viel in sich.
Wie kann er nach alldem, was er wahrscheinlich tagtäglich über sich ergehen lassen muss, hier vor mir sitzen und mich so ansehen?

So, als gäbe es da draußen, hinter den Parkgrenzen, keine große, böse Welt, die ihre Klauen nach uns ausstreckte und uns zerstören will.
Ich könnte ihm helfen ..., wenn er mich lassen würde.
Ich habe ein Sparkonto. Hohe Beträge, die meine Eltern für mich angelegt haben und von denen Jace eine Weile leben könnte, bis er wieder auf eigenen Beinen stehen könnte.

Ich könnte ihm eine Starthilfe geben.
Wir Rosethorns fallen immer wieder auf die Füße, wie Benno einst so schön sagte.
Jace hat diesen Luxus nicht. Er hat nur einen schwarzen Reiserucksack und eine Brieftasche mit Fotos.

Ich habe Geld, das ihm Sicherheit kaufen könnte.
"Woran denkst du jetzt schon wieder?", reißt mich Jaces Stimme aus meinen waghalsigen Überlegungen.
"An die Zukunft."
Und das ist gar nicht mal gelogen.

Dunkle Augenbrauen ziehen sich zusammen und lassen seine Augen kleiner wirken.
Kopfschüttelnd sieht er mich an und dann zu Boden.
Heute lehne ich mich nicht mit dem Kopf gegen den Baumstamm mit den tiefen Rillen. Die Rinde ist noch immer nass vom nachmittäglichen Regen.

Ich rutsche etwas näher an Jace, bilde mir ein, so seine Wärme spüren zu können.
Ich kümmere mich nicht, um die braunen und grünen Spuren, die in meinem Mantel zurückbleiben werden und auch Mirellas vorwurfsvoller Blick, der mich in Zukunft ereilen wird, wenn sie erstmal wieder meine Wäsche wäscht, ist mir egal.

"Kann ich dich was fragen?"
"Ja."
Jaces Stimme klingt mehr wie eine Frage.
Er legt den Kopf zur Seite und ich muss mich zusammenreißen, mich nicht von seinen Lippen ablenken zu lassen.

"Was für ein Tattoo hast du auf der Schulter?"

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Song: Coastline - Hallow Coves 

Hi

I have no time, sorry. we talk tomorrow, i love u all <3

Hoffe, ihr habt den Sonnenschein heute genossen!!! :)

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt