141.

506 39 75
                                    

Es hat sich nichts verändert.
Die weißen Ledersessel sind perfekt vor den Fenstern zur Auffahrt platziert. Der gläserne Couchtisch glänzt, als hätte Mirella ihn gerade frisch abgewischt und das Pendel der Wanduhr schwingt wie eh und je, betäubend und im Einklang.
Bei dem Gedanken an die gutherzige Frau mit ihren rauen Händen und warmen Augen bemerke ich, dass ich tatsächlich etwas aus meinem Elternhaus vermisse.

Die Zeit in diesen Wänden scheint stehen geblieben zu sein und erst jetzt, wo ich wieder mitten im Chaos stehe, verläuft sie weiter ihren geraden, vorgezeichneten Weg.
Jaces Fuß bleibt an der Türschwelle hängen. Sein zischender Atem zerreißt die Luft und ich sehe, wie seine linke Hand zu seinem Oberschenkel schnellt.

Ich lege ihm die Hand auf den Rücken, doch im nächsten Moment richtet er sich mit zusammengepressten Lippen auf.
"Schönes Wohnzimmer", sagt er.
In seinen Worten klingt ein Stöhnen nach.

"Georgia, unsere Gäste sind da!"
Ich komme einfach nicht darüber hinweg, dass er dieselbe Show abzieht, die er für Geschäftspartner oder alte Freunde aufzieht.
Es ist surreal, diese Worte nun plötzlich an sich selbst gerichtet zu hören.

Grüne Augen geistern durch das weiße Zimmer, bleiben am überdimensionalen Fernseher hängen.
"Sie ist in der Küche", flüstere ich zu Jace. "Und das Wohnzimmer ist schrecklich. Erinnerst du dich noch daran, als ich dir erzählt habe, dass dieses Haus keine Persönlichkeit, kein Leben hat?"
Meine Frage bleibt unbeantwortet, da wir in die Hörweite meiner Eltern kommen, aber ich weiß, dass er sich an diesen Tag erinnert, als er mir seinen Schlafplatz unter der Brücke gezeigt hat und ich die Bilder von Margret und Isabell entdeckt habe.

Es ist seltsam daran zurückzudenken und jetzt diesen Menschen hier neben mir zusehen, der noch vor ein paar Monaten mit dreckigen Fingernägeln und schwarzer Mütze auf dem Kopf neben mir gestanden und mir einen Vortrag über das Leben auf der Straße gehalten hat.
Wir betreten die Küche. Der Geruch von Curry intensiviert sich.

Nie im Leben hat meine Mutter gekocht. Sie steht mit dem Rücken zu uns an der Kochinsel.
Voller Hoffnung blicke ich mich nach Mirella um, doch die kleine Frau ist nirgends zu sehen. Ich muss schlucken, um meine Begrüßung an meine Mutter herauszubekommen.
Ihre Haare liegen in perfekten Locken streng an ihrem Hinterkopf.

Ihre Taille wird durch einen hohen Bleistiftrock betont.
Jace strafft seine Schultern, als sie sich zu uns umdreht.
Ihre braunen Augen erhellen sich.
"Ophelia, mein Schatz!"

Ihre Absätze klappern über den Boden und im nächsten Augenblick werde ich an sie gezogen. Nur kurz, wie eine alte Freundin, die man umarmt und nicht weiß, wie viel von der früheren Innigkeit der Freundschaft noch geblieben ist. Aber so hat sie mich schon immer in den Arm genommen.
Ihre Augen scannen mein Gesicht und an der winzigen Falte zwischen ihren Augenbrauen kann ich ihre Missbilligung meines Auftretens gegenüber ausmachen.

"Und du musst Jace sein", schlussfolgert sie und streckt meiner Begleitung die Hand hin.
Auch sein Hemd wird abfällig gemustert.
"Ganz richtig, freut mich Sie kennenzulernen."
Ich kann hören, dass Jace seine freundlichen Worte ernst meint, genauso wie er spüren kann, wie unwohl ich mich fühle.

Nach einem oberflächlichen Wortaustausch mit meiner Mutter greift er nach meiner Hand.
"Entspann dich, ich bin da."
In diesem Moment kommen mir fast die Tränen. Wie viele Jahre habe ich mir gewünscht, diese Worte von jemandem genau hier zu hören?

Ja, ich habe Mirella an meiner Seite gehabt, aber sie hat immer diese professionelle Distanz aufrechterhalten, wenn es darauf angekommen ist.
"Setzt euch doch schon mal", unterbricht die helle Stimme meiner Mutter unseren intimen Moment.
Seufzend entziehe ich Jace meine Hand und gehe voran in das Esszimmer.
Das hat sie mit voller Absicht gemacht.

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt