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Ich möchte die Zeit zu unserem Sklaven machen, dieser Moment soll ewig andauern.
Ich möchte für immer hier an seine Schulter gelehnt sitzen und lachen. Ich möchte ihn einfach spüren und wissen, dass er da ist, dass zwischen uns alles gut ist.
Seine Fingerspitzen sollen für immer Kreise auf meiner Haut malen.

Das hier ist alles, was ich gebraucht habe, als ich allein in meinem Zimmer lag, verloren am Esstisch oder eingeengt zwischen Sams Schulter und der B-Säule seines Sportwagens saß.
"Wir müssen früher oder später darüber reden, das weißt du, oder?"
Ich weiß sofort, was er meint und jeder meiner Muskeln versteift sich. Ich werde zu einem Brett neben Jaces entspanntem Körper, der in die Kissen versunken ist.

"O?"
Er gibt mir einen kleinen Ruck.
Ich gebe einen Laut von mir, der sich nicht gesund anhört.
Ich wollte Frieden und Ruhe. Ich bin mit der Tür ins Haus gefallen - buchstäblich. Das heißt aber nicht, dass ich gewollt habe, dass Jace das Gleiche tut.

"Ich weiß", krächze ich.
"Ich verspreche, ich will dich nicht vertreiben. Aber du musst wissen, worauf du dich hier einlässt, bevor du die da auspackst."
Er zeigt auf mein Gepäck.

"Wie kannst du so entspannt darüber sprechen?", frage ich ungläubig.
Ich kann es mir wirklich nicht erklären, wie jemand dem Tod so selbstverständlich in die Augen blicken und akzeptieren. Zumal es in mir immer noch einen lauten Teil gibt, der hofft - mehr als das; ich manifestiere Jaces Gesundheit. Immerhin war er schon lange nicht mehr beim Arzt.

"Wie kannst du mit diesem Wissen einfach zu mir zurückkommen?", antwortet Jace mir mit einer Gegenfrage.
Ich seufze.
"Das konnte ich mir nicht wirklich aussuchen", sage ich leise.

"Siehst du?"
Es dauert eine Weile, bis ich bemerke, dass ich soeben auch meine Frage beantwortet habe.
"Du darfst einfach nicht sterben. Du bist schlauer und redegewandter, als alle meine Professoren zusammen", scherze ich halbherzig.

Über diese Situation kann ich nicht lachen, auch wenn ich versuche die Stimmung aufzulockern, meine jedenfalls. Jace sieht mich an wie immer. Seine Augen haben dieses Leuchten und sein Mundwinkel zuckt leicht. Er wirkt amüsiert und glücklich. Ich hoffe, das liegt an mir.
Er richtet sich auf und mein Kopf muss mit der Sofalehne vorlieb nehmen.

"Mit der Zeit gewöhnt man sich daran", beginnt er dann meine Frage ernsthaft zu beantworten. "Ich habe genau zwei Möglichkeiten: Entweder ich hasse mein Leben und reibe das jedem unter die Nase oder ich versuche das Beste daraus zu machen und es zu genießen."
Ich lege die Stirn in Falten. Jaces Finger trommeln auf eine fein gestickte Blumenranke neben mir.

"Aber du hast auf der Straße gelebt. Wie kann man denn dort bitte sein Leben genießen? Du hast selbst gesagt, dass jeder Tag ein Kampf ist, dass es keine Sicherheit gibt! Dazu die Drogen und die Menschen, die dir den Spiegel der Gesellschaft vorgehalten haben? Wie kannst du sagen, dass du daraus das Beste machen wolltest?"

Ich gestikuliere und flehe Jace mit Blicken an, mir nicht wieder auszuweichen. Doch er lächelt nur und streicht dann über die Couch.
"Aber ich habe dich getroffen. Und das hat alles verändert und ich weiß nicht, wie ich es verdient habe, aber verdammt, es ist doch gut, dass ich durchgehalten habe und dich mit meinen Sprüchen in meinen Bann ziehen konnte."

Sein raues Lachen erfüllt den Raum und scheint so warm zu sein, wie das Sonnenlicht, das durch die hohen Scheiben dringt.
"Stell dir vor, ich wäre einfach ein Taschendieb ohne Gewissen und Anstand gewesen, weil ich einen Hass auf die Welt und ganz besonders Leute wie dich entwickelt habe. Dann wäre all das nicht passiert und du hättest ... mich nie so glücklich machen könnten."

Ich kann die brennenden Tränen beim besten Willen nicht mehr zurückhalten.
Still und heiß fallen sie auf meine Wangen und rollen zu meinem Hals.
"Hör auf so zu reden", hauche ich.
"Aber es ist wahr."

"Ich weiß, dass es wahr ist, aber es tut weh, es laut ausgesprochen zu hören."
Ich schließe die Augen und versuche die Tränen zum Halten zu bringen. Aber es ist wie nach einem bewegenden Film; egal was man versucht, egal an was für lustige Szenen man denkt, die Tränen und der dumpfe Krampf in der Brust bleiben und zwingen einen zum unerbittlichen Ergießen der Tränen.

"Ich will einfach nur, dass du das weißt und dass es nicht unausgesprochen zwischen uns steht. Ich will, dass du hörst, wie ich dir sage, dass ich dankbar bin, dir damals diese Handtasche entrissen zu haben."
Ich lächle ihn durch einen wogenden Schleier an.
"Geht mir doch genauso", schniefe ich.

"Warum hast du es mir nicht gesagt?", frage ich nach einem Moment des einvernehmlichen Schweigens.
"Weil ich dich nicht verlieren wollte. Ich weiß, das war falsch, aber ich wollte normal sein."
Er lacht auf.

"Der Fakt, dass ich obdachlos bin - war - hat ja wohl gereicht. Und als du mich dann mit der Überdosis gefunden hast ... Ich wusste, ich muss dir den wahren Grund nennen, sonst hättest du mir nie auch nur ansatzweise verzeihen können. Aber ich konnte dir einfach nicht ins Gesicht sagen, dass ich verdammt noch mal sterbe."

Ich möchte nach seiner Hand greifen, aber er wickelt gerade den weiten Saum seines T-Shirts um den linken Daumen und ist vertieft in die gleichmäßigen Bewegungen.
Seine geschwungenen Lippen stehen offen und seine Stirn ist in sanfte Falten gelegt. Er sieht unglücklich aus.

"Und dann hast du angefangen, dir Hoffnungen auf Heilung zu machen."
Seine Augen treffen auf meine.
Es fühlt sich an, als würde jemand nach meinem Herz greifen, es ganz fest umschließen und daran reißen.

Ich ringe nach Luft, um etwas zu sagen. Etwas wie: 'Aber ich wäre geblieben', 'Es tut mir leid' oder 'Ich wollte dich nie in die Enge drängen'.
Doch Jace schüttelt den Kopf.
"Ich konnte es nicht, vielleicht hätte ich es dir nie gesagt und wäre eines Tages einfach abgehauen ..."

"Hör auf so zu reden!"
Jetzt greife ich doch nach seiner ins T-Shirt gewickelten Hand.
"Ich will so etwas nie wieder hören. Jetzt, wo ich Bescheid weiß, darfst du an so etwas nie wieder denken! Hörst du?"

Eine schwere Hand legt sich an meine heiße Wange, schiebt sich dann in mein Haar und krallt sich dort fest.
"Abgemacht", sagt Jace andächtig.
Sein Schlüsselbein ist sichtbar und ich betrachte die Jahreszahl darunter. So alt soll er werden. Tausendneunhundertfünfundsechzig Jahre. Aber ich weiß, dass das lächerlich ist.

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Song: Soon You'll Get Better - Taylor Swift

Ich muss meinen Arbeitsplatz räumen, no time left, also wünsche ich euch allen einfach einen schönen, entspannten Abend & hoffe, dass ihr dieses Kapitel genießen konntet <3

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now