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Die Augen meiner Mutter sind vorwurfsvoll auf mich gerichtet.
Ihre sonst perfekt aufgedrehten Locken hängen müde um ihr Gesicht und lassen ihr Haar so viel länger wirken als sonst.
"Da bist du ja wieder", sagt sie leise.

Sie lehnt wie eine Invalide im Türrahmen zum Wohnzimmer. Die Wände hinter ihr werden von grellen Grüntönen eines auf dem Fernseher laufenden Golfspiels illuminiert.
Auf den ersten Blick wirkt sie gefasst und mag den Eindruck erwecken, dass sie das hier jeden Tag macht; auf mich warten, um dann ein paar Worte mit mir zu wechseln, bevor ich die Treppe nach oben verschwinde.

Wie sehr ich doch wünschte, sie hätte es jeden Tag getan.
"Ich bin nur gekommen, um ein paar Sachen zu holen", stelle ich klar.
Ich blicke kühl auf sie herunter. Sie soll sich ja nicht einbilden, dass ich eingeknickt bin.
"Kommst du mal in die Küche?"

Ich will mit dem Kopf schütteln, doch meine Füße treten wie von selbst den Rückweg an.
Im Stillen versuche ich mich daran zu erinnern, dass es Dad ist, auf den ich gerade den meisten Hass projiziere und nicht meine Mutter, die noch alle Möglichkeit hat, ihre Unschuld zu beweisen. Immerhin habe ich noch nicht herausgefunden, ob sie an dieser Intrige gegen mich beteiligt war.

Meine Schritte hallen in der Eingangshalle wieder. Auf dem kleinen Tisch in der Mitte des hohen Raums stehen keine Blumen mehr, nur noch die antike Vase mit blasen Gelb- und Blautönen.
Wie oft habe ich neben diesem Ding gestanden und gehofft, dass die aktuelle abendliche Veranstaltung meines Vaters endlich ein Ende nahm?
Mein ganzes Leben lang.

"Hast du davon gewusst?", frage ich, als die Küche betrete.
Meine Mutter wischt gedankenverloren Krümel von der Anrichte. Doch hinter ihren perfekt geschminkten Partien wird sie überlegen, wie sie meine Frage am besten und mit möglichst wenig Demaskierung beantworten kann.

Mein Blick fällt auf einen Stapel Geschirr, der sich unabgewaschen neben der Spüle auftürmt. Noch nie in meinem Leben hat unsere Küche so ausgesehen.
Ich muss so perplex auf die Teller und Tassen starren, dass sich meine Mutter zu einer Erklärung genötigt fühlt.

"Jennifer ist wieder abgereist und ich habe Mirella ein paar Tage freigegeben."
"Dann bist du ganz alleine hier?"
"Benedikt ist oben."
Ich seufze entnervt. Natürlich. Der Sozialphobiker in seinem Zimmer hat seinen Platz in ihrem Herzen noch nicht verloren.

"Und Mirella soll das ganze Geschirr abwaschen, wenn sie wiederkommt, oder wie sieht dein Plan aus?"
Ich kann den schnippischen Unterton in meiner Stimme nicht verhindern.
Meine Mutter massiert ihren Hals und räuspert sich anschließend.
"Nein, das wollte ich nachher machen."

"Nachher", wiederhole ich ihre leeren Worte.
Seitdem sie von Ben in dieses Loch gestoßen wurde, hat sie grob gesagt nicht viel auf die Reihe gekriegt.
Ihr schon Make-up - ja. Immer.

Aber ansonsten sieht die Bilanz eher mau aus.
"Du könntest mir kurz helfen, mein Schatz."
Mir entfährt ein empörter Laut. Daraufhin nickt Mom ergeben.
"Ich möchte gerne eine Antwort von dir. Wusstest du davon, dass Dad mich wegen meiner Konten belogen hat?"

Ich lehne mich in einigem Abstand neben sie an die Anrichte.
Eine lange Weile sagt die Frau neben mir gar nichts. Ihre Finger wischen unrhythmisch über die Arbeitsfläche.
"Nein. Ich hatte keine Ahnung, das musst du mir glauben."

Ich gebe keine Regung von mir, will mehr hören, als das.
Ich werfe einen flüchtigen Blick auf die Uhr, um sie unter Druck zu setzen, meinen bevorstehenden, unausweichlichen Aufbruch anzukündigen.
11.41 Uhr.

Ein Seufzen dementiert meine Aufmerksamkeit zurück zu Perlmutt schimmernden Lippen, die sich mehr und mehr zu einem Strich verziehen.
"Dein Vater hat mir immer gesagt, dass er sich um deine Finanzen kümmert. Und ihr wart immer so ein eingespieltes Team, da habe ich mich nicht einmischen wollen. Aber was er getan hat, wird er aus gutem Gewissen getan haben, Ophelia. Sieh doch mal ... Wir haben so viel Jahre lang hart gearbeitet, dein Vater hat kaum einen Tag im Jahr frei und du willst dein ganzes Geld in einen Fremden investieren?"

"Investieren? Hörst du dir eigentlich noch selbst zu? Was ich mit meinem Geld mache, geht euch nichts an und er hatte eben kein Recht, mich so hinters Licht zu führen. Weißt du eigentlich, wie es sich anfühlt, so vorgeführt zu werden? Wie dumm ich mir vorkomme? Ich gehe studieren und wusste bis vor ein paar Tagen nicht mal, wer eigentlich wirklich über meine Konten verfügt!"

Meine Mutter überrascht mich, indem sie nickt.
"Wie? Du weißt, wie ich mich fühle?", schleudere ich ihr spöttisch entgegen.
"Glaube es oder glaube es nicht. Aber ich lebe seit Jahren in diesem Schatten."
Dem Schatten der Unwissenheit? Aber ich frage nicht nach. Ich will es nicht wissen.

Meine Mutter ist eine erwachsene Frau. Wenn sie hier ausbrechen will, dann soll sie es tun. Sie braucht dafür nicht den Alkohol und auch nicht die Erlaubnis ihres Ehemanns.
Unwissenheit ist manchmal ein Geschenk, geistern Jaces Worte durch meinen Kopf.
Ja, Jace. Aber auch nur manchmal.

"Und du hast nichts geahnt? Oder es für nötig gehalten, mich mal auf Jace und die ganze Situation anzusprechen? Immerhin warst du in den letzten Wochen erstaunlicherweise hier und nicht in diesem Hotel."
Bei dieser Erwähnung zuckt sie zusammen.

"Es ging mir nicht gut, Ophelia. Ich konnte hier nicht mehr atmen, ich -"
"Und hast du dich vielleicht einmal - einmal nur - gefragt, wie es mir dabei geht, ob ich hier atmen kann? Denn die Antwortet lautete Nein, die ganze Zeit über! Du hast immer nur an dich oder Ben gedacht. Und jetzt, wo ich endlich mal an mich denke und mir nicht mehr von euch vorschreiben lasse, was ich zu tun und zu lassen habe, da stehe ich plötzlich im Zentrum eures Interesse."

Ich lasse entkräftet meine Arme fallen und sehe meine Mutter für einen Moment der Ungläubigkeit an. Sie steht einfach nur da und sieht mich an wie ein ausgestopftes Kaninchen, ausdruckslos und ahnungslos.
Ich schüttele den Kopf.

"Was hätte ich denn sagen sollen, zu diesem Jace? Jennifer hat mir von ihm und der Wohnung erzählt. Wenn er deine erste große Liebe ist, ist das toll, großartig, aber denk bitte mit klarem Kopf nach. Vielleicht nutzt er dich nur aus, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Du bist behütet aufgewachsen, aber da draußen sieht es anders aus. Die Menschen verhalten sich mitunter wie Tiere."

Ich entspanne meine Kiefer, da sich durch die Spannung in meinem Gesicht schon ein Ohrenrauschen entwickelt hat. Warum halten mich alle immer für ein naives Kind?
"Keine Sorge, ich denke mit klarem Kopf und in meinem Interesse. Zu ersten Mal vielleicht. Und ich kann nicht mit dem Gewissen leben, ihn sich selbst zu überlassen. Außerdem kennst du ihn nicht, du weißt nicht, was er durchgemacht hat. Du weißt überhaupt nichts! Wie es aussieht, kannst du ja noch nicht mal Geschirr abwaschen!"

Verächtlich lasse ich meine Augen hinter sie und zu den dreckigen Tellern wandern.
"Dann hilf ihm, in Gottes Namen. Aber komm doch wieder zurück nach Hause. Er kann in der Wohnung deiner Tante bleiben und du fährst ihn besuchen. Das ist doch alles nur eine überstürzte Idee gewesen, die du gar nicht so meinst, das weiß ich, Liebling."

"Nein."
Meine Stimme ist kalt und undurchdringlich.
"Überlegt es dir noch mal. Dein Vater hat überreagiert, als er dir jede zukünftige Hilfe abgeschrieben hat, das meinte er nicht so."
"Nein. Es ist besser so."

Es ist besser so.
Dieses Haus gleicht einem Atomreaktor.
Desto länger man hier bleibt, desto kontaminierter kommt man zurück in die echte Welt.
Ich hoffe nur, mein Absprung war nicht zu spät.

Ich werfe meiner Mutter noch einen kurzen Blick zu und wende mich ab.
Ich betrete ein letztes Mal mein Zimmer, sammle ein paar persönliche Sachen zusammen und verlasse das Anwesen mit schnellen Schritten.

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Song: Robbers - The 1975

Moin ^^
Die Sonne scheint, der Himmel ist blau und es fühlt sich noch mal wie Sommer an, yay :)

Eure Kommentare werde ich heute endlich beantworten!

Hört hier jemand The 1975?

UND HAT HIER JEMAND VOM NEUEN "TEEN WOLF"-FILM GEHÖRT UND IST VIELLEICHT AUCH SO EXCITED DARÜBER WIE ICH?!?!?!!! Diese Serie ist einfach... meine Teenhood. omg. okay. have to go now.
love u all!

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now