103.

558 51 72
                                    

Wie kann man Hoffnungen für etwas hegen, das hoffnungslos ist?
Fast jeden Morgen wache ich auf und werfe einen Blick auf mein Handy, in betäubter Hoffnung auf eine Nachricht von Jace.
Er wird sich nicht ändern. Er kann nicht, das verstehe ich.
Ich verstehe auch, dass ich ihn mit dieser Einstellung aufgegeben habe. Im Moment ist mir das recht.

Ich stoße einen tiefen Seufzer aus und klappe meinen Laptop zu.
Ich bin gerade dabei Fotos zu sortieren, damit ich sie in den nächsten Tagen ausdrucken kann.
Mein Zimmer braucht dringend eine Veränderung. Wenn ich auch nur einen Tag länger die glücklichen Familienfotos vom Strand angucke, werde ich wahnsinnig.

Ich will mich nicht mehr neben Benno stehen sehen, Arm in Arm und grinsend, so als ob alles in bester Ordnung ist.
Und ich kann auch Mom nicht mehr ertragen, wie sich mich vom Schreibtisch aus anstrahlt, mit so viel Zuneigung in ihren Augen. Dabei war es Benno, der dieses Bild geschlossen hat und für den dieser Blick bestimmt war.

Ich raufe mir die Haare und überlege, ob ich die alten Bilder, die meine Wände schmückten, symbolisch verbrennen soll. Mir wäre danach. Es hätte etwas Rebellisches, etwas Verruchtes, etwas, dass die neue Ophelia tun würde.
"Ophelia!", höre ich meinen Bruder durch das Haus rufen.

Augenblicklich spannen sich sämtlich Muskeln in meinem Körper an.
"Jetzt nicht", murmle ich als unhörbare Antwort und drehe mich auf die Seite.
Was auch immer er von mir will, ich habe nicht das geringste Interesse, mich damit auseinander zu setzten.
Sein Ruf erklingt erneut. Ich seufze auf.

"Hier ist jemand für dich!", dringt es an meine Ohren und plötzlich sitze ich kerzengerade im Bett.
"Was?", brülle ich zurück, meine Stimme überschlägt sich.
"Was hast du gesagt?", wiederhole ich und bekomme auch dieses Mal keine Antwort. Eben konnte er doch noch so schön schreien.

Ich stehe langsam auf und schlurfe zur Tür.
Meine graue Schlafhose schleift dabei auf dem Boden.
Meine nackten Füße kommen auf dem weißen Marmor auf und meine Schritte hallen ganz leise von den hohen Wänden wieder, als ich die Treppe herunterschleiche. Dabei recke ich immer wieder meinen Hals, obwohl ich weiß, dass man von hier aus die Haustür nicht einsehen kann.

Es sind keine Stimmen zu hören. Die übliche surrende Stille meines Zuhauses ist allgegenwärtig.
Doch nach weiteren Schritten, die meine Fußsohlen kühlen, höre ich das Schloss an der Tür leise knacken. Mein Bruder drück kontinuierlich die Klinge herunter und füllt somit die Stille des Eingangsbereiches.

Meine Augen fallen auf schwarze, ausgetretene Stiefel.
Sie sind von tiefen Schrammen überzogen und haben an den Spitzen schon etwas Farbe gelassen. Der Linke hat einen Riss. Mein Herz beginnt zu rasen.
Meine Augen wandern höher. Schwarze Hose mit ausgebeulten Taschen, die für diese Temperaturen eigentlich viel zu warm ist.

Das Einzige, was zu der Wärme vor den weißen Mauern passt, ist das T-Shirt, das locker um die schmalen Schultern schwingt.
Erschrocken blicke ich in das angespannte Gesicht der Person, die die Frechheit besitzt, hier aufzutauchen.
Ich spüre, wie sich meine Lippen teilen. Meine Zunge klebt am Gaumen fest und ich vergesse einzuatmen.

"Na sag bloß, unser Mauerblümchen hat einen Freund, der nicht von Papi abgesegnet wurde?"
Bens heimtückisches Lachen erklingt.
Er mustert Jace einmal von oben bis unten - wer weiß, wie oft er das in den letzten Minuten schon getan hat - und dreht sich dann langsam und mit einem verzogenen Grinsen zu mir um.

Seine braunen Augen leuchten vor Belustigung und ich kann beinahe dabei zusehen, wie sich die Worte für seinen nächsten bissigen Kommentar formen.
Jace steht hinter ihm und sieht mich überrumpelt an, so hatte er sich das Ganze wahrscheinlich nicht ausgemalt.
Seine Lippen sind zu einem schmalen Strich zusammengepresst und er hält meinem Blick kaum länger als eine Sekunde stand.

Ich will sauer auf ihn sein, doch ich bin einfach nur froh, dass er von selbst aufrecht stehen kann und dass seine Pupillen eine normale Größe haben.
Jedenfalls wirken seine Augen aus dieser Entfernung nicht mehr wie die schwarzen Wurmlöcher von vor knapp einer Woche.
Ich presse meine schwitzigen Handflächen gegen meine Oberschenkel und versuche ihn nicht anzustarren.

"Er sieht ein bisschen ... ramponiert aus. Hast du ein ausrangiertes Model genommen?", werde ich gefragt.
Ich treffe mit einem ausdruckslosen Blick auf Bens Gesicht.
Eigentlich will ich nicht auf seine Provokationen anspringen, aber die abgeflaute Wut baut sich wieder in mir auf und lässt mich mit den Zähnen knirschen.

"Sieht wohl so aus", sage ich und an Jace gerichtet: "Komm rein."
Ich nicke mit dem Kopf nach hinten und verschränke schützend die Arme vor der Brust.
Jace zögert sichtlich. Seine Hände sind in den ausgebeulten Taschen verschwunden und seine unruhigen Augen huschen durch unseren Vorraum.

So habe ich mir unser nächstes Aufeinandertreffen nicht vorgestellt. Ich wollte mehr Zeit, ich bin immerhin noch nicht dazu gekommen, meine Tränen zu trocknen oder mir meine Haare zu kämmen. Ich wollte ihm stark gegenüber stehen, mit einem Plan, mit schlauen Worten auf der Zunge, die ich vorher auswendig gelernt habe. Aber stattdessen stehe ich planlos vor ihm und ziehe eine Show für meinen Bruder ab.

Jetzt komm schon, sage ich stumm.
Einer der Boots trifft auf Marmor. Ich mag das Geräusch, das er erzeugt.
Es erinnert mich an die Nachmittage, an denen wir gemeinsam aus dem Park und in Tante Jennifers Wohnung gekommen sind.

Ich will doch nicht daran denken! Ich beiße auf meine Lippe und verdränge die brennenden Tränen.
Jace kommt näher und bei Herz beginnt noch mehr zu rasen. Das Schlucken fällt mir schwer und ich habe Angst, dass er meinen zitternden Atem bemerkt.
Ich kann ihn riechen, seinen waldigen, herben Geruch.
Seine Haare fallen weich und voluminös in die Stirn. Meine Augen gleiten über seine Locken.

Ben lacht im Hintergrund auf, doch er kann meine Aufmerksamkeit nicht zu sich dirigieren.
Jaces Haut ist eingefallen, die Augen rot mit tiefen Ringen darunter.
Beinahe strecke ich meine Hand nach ihm aus.
Beinahe.

Doch ich klemme sie stattdessen noch fester unter meine Achsel und weiche einen Schritt zurück, als Jace einen weiteren nach vorne macht.
"Kein Kommentar, eure Hoheit?"
Ich visiere Ben an. Seine schmalen Augenbrauen erheben sich langsam und er rümpft die Nase.
Jace bleibt vor mir stehen, betrachtet mich beinahe so abwartend wie mein Bruder.

"Nein. Und jetzt mach die Tür zu, du lässt die ganze Hitze ins Haus."
Ich mache kehrt und gehe voran, steuere mit durchgestrecktem Kreuz die Treppe an.
Jace folgt mir.
Als ich mich kurz zu ihm umdrehe, huschen seine Augen über die weißen Wände, den Marmorboden und die bis zur Decke reichenden Fenster der Eingangshalle.

Innerlich schreie ich gegen mich an.
Wie konnte ich nur?
Am liebsten würde ich wieder umdrehen und ihn rausschmeißen.
Wie konnte ich ihn nach alldem ins Haus lassen?
Mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb, als wäre ich gerade dabei einen Marathon zu laufen.

Er hat mir eine solche Angst eingejagt und mir Drogen angeboten - ob er selbst high war, zählt für mich kaum. Er wusste, was er da tat.
Ich bin vor ihm zu Boden gegangen und davon gekrochen, wie ein getretener Hund.
Und jetzt öffne ich ihm die Tür zu meinem Zimmer.

__________________________________
Song: Hard Feelings - Lorde

Hello!
Na, wer von euch hat auf meine Empfehlung hin Young Royals angefangen?! :) Ich werde die Serie heute zum zweiten Mal beenden. And I'm crying.

Der August ist irgendwie nur so dahingeflogen. (Makes me think of August and I could throw up, he is such an ass!)
Ich kann es gar nicht glauben, dass dieses Wochenende das Reading Festival in England ist und ich nicht dabei bin.
Ich komme mir manchmal wie im falschen Film vor, wenn ich hier so am Tisch im Wohnzimmer sitze und über sowas schreibe. Zeit.

Wie ist es euch denn allen so in den letzten Tagen ergangen?
Ich habe ordentlich in die Tasten gehauen und werde das auch weiterhin tun, denn nach dem August ... kommt die dunkel Zeit, in der die Schule wieder beginnt...
Und dreimal dürft ihr raten, wer sein Ziel, in den Ferien Französisch zu lernen, nicht verfolgt hat.
Richtig. Ik.

Gleiches Spiel wie beim letzten Mal: Nächstes Update erst wieder Übermorgen.

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now