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Die Nachtluft streicht meine Wangen und ich renne.
Ich renne die kleine Straße zu Jaces Wohnung entlang, mit nur einem Ziel; seinen Armen.
Meine Gesichtshaut spannt von all den vergossenen Tränen der letzten halben Stunde. Aber das interessiert mich nicht mehr.

Als ich vor dem erleuchteten Haus mit all seinen scheinheiligen Gästen in meinen Mini gestiegen bin, wollte ich einfach nur weg.
Doch bereits als ich den Rückwärtsgang eingelegt hatte, wusste ich, wo ich ihn wollte.
Ich habe ihm nicht geschrieben, ihn nicht vorgewarnt und dennoch drücke ich die Klingel zu seiner Wohnung. Einmal, zweimal, ein drittes Mal.

Ich richte den dünnen Träger meines Kleids, der permanent über meine rechte Schulter rutscht, als endlich das verheißungsvolle Surren des Türöffners erklingt.
Ich entere das Treppenhaus und renne mit wehenden Röcken die Treppen empor.
Jace steht in der Tür, seine Augen gegen das helle Licht zusammengekniffen.

Die Haut seiner Brust glänzt in dem Licht des Treppenhauses und ich entschleunige mein Tempo, nehme seinen Anblick in mich auf, beinahe betrunken von seiner schlanken Statur, die sich gegen die Schatten seiner Wohnung abzeichnet.
Seine langen Beine stehen fest auf dem Boden, barfuß.
Seine Brust hebt und senkt sich gleichmäßig und ich sehe nicht die Krankheit unter seiner Haut. Ich sehe ein Wunder.

Ein breites Lächeln bricht die von Tränen ausgetrockneten Wangen, ich klammere mich an das hellblaue Geländer.
Feiner, glänzender Stoff bedeckt nur einen Teil seines vollkommenen Körpers und ich kann sehen, wie sich dieser Teil gegen den dünnen, schwarzen Stoff abzeichnet.

Ich bin definitiv betrunken, schießt es mir durch den Kopf. Aber nicht von Alkohol.
Ich räuspere mich.
"Darf ich reinkommen?"
Unsere Blicke treffen sich und ich sehe, wie er schluckt, beobachte seine Halsmuskulatur dabei, wie sie arbeitet.

"Uhm, klar. Ja."
Ich erklimme die letzte Stufe und er tritt zur Seite.
In diesem Moment geht das Licht im Treppenhaus aus und hüllt uns in verheißungsvolle Dunkelheit.
Ich beiße auf meine Unterlippe und schiebe mich an Jaces heißem Oberkörper vorbei. Buchstäblich heiß - er strahlt eine unglaubliche Wärme aus.

Doch obwohl mir von meinem kleinen Lauf bereits Schweißperlen die Wirbelsäule herunterlaufen, scheue ich seine Wärme nicht. Im Gegenteil, ich begehre sie.
Aber ich traue mich nicht, mich einfach so in seine Arme zu werfen. Deswegen verflechte ich meine Finger ineinander und lehne mich gegen die kühle Steinwand, die den Durchbruch zum Wohnzimmer bildet.

"Ist alles in Ordnung?"
Jace baut sich vor mir auf, ich fülle meine Lungen mit seinem waldigen Geruch.
Wenn ich die Augen schließe, kann ich mir uns Zwei jetzt auf einer Mondschein getränkten Waldlichtung vorstellen, zwischen Bäumen, die die gleiche Farbe wie seine Augen haben.

Ich blicke auf, finde aber kein Grün, nur ein schwarzes Gesicht aus dem sich ausgeprägte Züge aus noch dunkleren und helleren Schatten hervorheben.
Verdammt, selbst im Dunkeln sieht er unglaublich gut aus.
Ich öffne meinen Mund, ohne das ein Laut entkommt.

"Ophelia?"
Sorge wiegt schwer in seiner Stimme und mit zwei Schritten ist er bei der Stehlampe neben der Couch angekommen und der Raum vor mir erstrahlt in weichem Licht.
"Was zur Hölle ist passiert? Hast du geweint?"

"Ja, nein, also ... Ja, aber das ist jetzt nicht mehr wichtig."
Ich strecke meine Schultern nach hinten und bemerke, wie dabei mein Träger erneut rutscht. Dieses Mal mache ich mir nicht die Mühe ihn zu richten. Denn ich sehe wie Jaces Augen zu dem zarten Stoffband fliegen.
Ein Flattern macht sich in meinem Magen bemerkbar.

"Ich bin von meiner Party abgehauen", gebe ich zu.
Seine Augen suchen die große Uhr an der Wand.
"Stimmt", murmelt er, "es ist ja immer noch dein Geburtstag."
Ich folge seinem Blick. Tatsächlich, es ist noch vor Mitternacht.

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt