125.

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Ich möchte nicht behaupten, dass es das Morgengrauen ist, dass das kleine gelbe Schlafzimmer etwas heller erscheinen lässt, als Jace und ich uns endlich unter den Laken einrollen und versuchen Schlaf zu finden.
Aber es wird das Morgengrauen sein, denn nach wenigen Sekunden gesellt sich Vogelgezwitscher zu der friedlichen Atmosphäre.

Seufzen rolle ich mich zur Seite und ziehe die Schublade des Nachttisches auf. Hier drinnen muss sich ein alter Wecker befinden.
"Was machst du?", will eine tiefe Stimme neben mir wissen.
"Ich will wissen, wie spät es ist."
Ich kann das Grinsen in meinem Unterton nicht verbergen.

Blind taste ich in der Schublade herum und erstarre dann.
Ich stoße auf das Gehäuse des Weckers, aber etwas fehlt. Die Schublade ist leerer als sonst.
Ich setze mich ganz auf. Eine Gänsehaut zieht an meiner Seite herunter, als kühle Luft auf nackte Haut trifft.

"Jace? Wo ist ..."
Meine Finger fassen ins Leere. Ich weiß, dass er sie immer hier reingelegt hat.
Seitdem es kein Geheimnis mehr war, war das hier der angestammte Platz für sie.
Das kleine Täschchen mit den Heroinspitzen.

"Sie sind weg, ich brauche sie nicht mehr", formt Jaces Zunge langsam und träge die Worte, die ich nicht glauben kann.
"Was?"
Ich beuge mich vor und werfe einen Blick in die Holzwände. Tatsächlich. Sie ist weg.

Eine Erleichterung durchflutet mich, die sich berauschend und beängstigend zugleich anfühlt.
"Aber ..."
Ich drehe mich zum halb schlafenden Jace um. Als er meinen Blick bemerkt, legt er seinen Arm über die Augen, wie er es so oft tut, wenn ich ihn störe.

"Ophelia", stöhnt er.
"Ich verstehe das nicht, du brauchst die Drogen doch."
Ich lege die Stirn in Falten und versuche herauszufinden, ob die Person neben mir gerade starke Schmerzen empfindet.

"Ich bin phasenweise immer ohne das Heroin ausgekommen. Es war immer nur für ganz schlimme Schübe und manchmal habe ich einen ganzen Monat ohne ausgehalten."
"Aber nicht in der letzten Zeit", weise ich auf die Tatsachen hin.
"Nein, nicht in der letzten Zeit", seufzt er.

Ich blicke zur Zimmertür, an der mein rosa Bademantel hängt.
Langsam ziehe ich das Laken wieder über meinen Körper, bleibe aber sitzen. An Schlaf ist für ich gerade nicht mehr zu denken.
Jace wendet mir schlaftrunken den Kopf zu.

"Das ständige Wippen mit deinem Bein", schlussfolgere ich und ringe nach Luft. "Oh, Jace."
Dieser zuckt lediglich mit den Achseln.
Er hat bereits Entzugserscheinungen. In den letzten Tagen ist mir diese Bewegung immer wieder aufgefallen. Beim Fernsehe gucken, beim Essen, selbst beim Leute beobachten auf der Parkbank.
"Ich habe sie weggeschmissen, nachdem du vor mir ... geflohen bist. Ich habe mich so schrecklich geschämt, da wäre ich lieber an den Schmerzen krepiert, anstatt nach unserer Konfrontation einfach schamlos weiter zu machen."

Ich verziehe bei dieser unschönen Erinnerung das Gesicht. Jace richtet sich ächzend auf und lehnt sich neben mich ans Kopfteil des Bettes.
Eine Locke fällt in sein Sichtfeld und verbirgt ein Auge vor mir.
Ich lege den Kopf schief und versuche ein Lächeln.
"Aber was ist mit deinen Schmerzen? Du hast die Spritzen schließlich aus einem guten Grund genommen."

Jace beißt in seine Unterlippe und zieht die Knie an, stützt seine Unterarme darauf.
"Versteh mich nicht falsch", sage ich in die Stille. "Ich finde es fantastisch, dass du aufhören willst. Das ist die beste Nachricht seit langem."
"Ich will nicht aufhören. Ich habe bereits aufgehört, so einfach ist das."

Seinem Trotz alle Ehre, aber es ist ihm anzumerken, dass er seinen Worten leider selbst nicht sonderlich viel Glauben schenken kann. Da ist diese große Unsicherheit, diese Unbekannte, die nicht bestimmt werden kann. Noch nicht. Mit der Zeit werden wir sehen, wie abhängig er ist.
Sanft lege ich meine Hand auf seinen Arm.
"Ich bin für dich da."

Grüne Augen treffen auf mich und ziehen mich in ihre unendliche Tiefe.
"Danke."
"Ich bin gerade wirklich froh."
Tränen kribbeln in meinen Augen, doch ich blinzle sie weg, was nicht unbemerkt bleibt.

Jace stupst mich mit seinem Fuß an. Zuversichtlich.
"Ich habe vor knapp einem Monat das letzte Mal was genommen. Vielleicht bleibt es bei dem nervösen Zucken ... Wenn nicht ..."
Ich halte die Luft an, bis er weiterspricht.

"Wenn nicht, muss ich einen kalten Entzug machen", sagt er zögerlich und sieht mich an. "Das bedeutet starke Phantomschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Kreislaufstörungen und vielleicht ein bisschen Schwitzen." 
Ich bleibe strak und wende den Blick nicht von ihm ab, versuche Halt in seinem ironischen Grinsen zu finden.
Seine geschwungenen Lippen können mir manchmal solch grausame Dinge erzählen und dabei dennoch so schön aussehen.

Seine grünen Augen wandern über mein Gesicht, während er mir noch weitere potenzielle Entzugserscheinungen aufzählt.
Plötzlich muss ich an meine Mutter denken. Ob sie auch solche Qualen durchmachen musste?
Doch ich verbanne sie genauso schnell aus meinem Kopf, wie sie in ihn eingedrungen ist.

Ich lege mein Kinn auf meiner Schulter ab und höre Jace weiter zu.
Er hat seinen herben Geruch auf einigen Stellen meiner Haut deutlich hinterlassen. Ich drücke meine Nase etwas näher an meine Schulter und genieße seinen Duft an mir.
Lange Wimpern streifen seine blasse Haut, wenn er blinzelt oder den Blick auf meine Hände senkt.

Der Schmetterling an seiner Brust bewegt sich mit jedem schwerfälligen Einatmen, weil Jace über etwas mit mir reden muss, das er lieber verschwiegen hätte.
Ich lasse ihm Zeit, frage nicht mehr nach, lasse ihn erklären und versuche mitzukommen, nachzuvollziehen.

"Kann ich dir etwas sagen?", frage ich dann doch nach ein paar Minuten, die Jace und ich mit wohligem Schweigen gefüllt haben.
"Ja?"
"Ich bin unglaublich stolz auf dich."

Ich weiß nicht, ob es angebracht war, das zu sagen. Aber ich musste es loswerden.
Jace sieht mich eine Weile an und dann umarmen wir uns.
Ich breite als Erste die Arme aus, er zieht mich als Erster an seinen Körper.
"Wir schaffen das", sage ich mit gebrochener Stimmer gegen seine weiche Haut und küsse sie danach.

"Ja, wir schaffen das", wiederholt er meine Worte. Nur aus seinem Mund klingen sie so anders. Er verleiht ihnen eine andere, beinahe schwermütige Bedeutung und ich weiß nicht, ob mir diese gefällt.
Ich halte mich an ihm fest, bohre meine Finger in seine Schulterblätter und atme seinen Geruch tief ein, schließe die Augen.

Seine Haut wird nass und trägt schon bald kleine Rinnsale aus meinen Tränen.
Und seine sammeln sich in meiner Halsbeuge und in meinem Ellenbogen.
Das hier ist heilsam und es sagt mehr aus, als tausend Worte.
Wir haben uns und halten uns aneinander fest, egal, was da noch kommen mag.

Vor dem Fenster geht die Sonne über der schmalen Fußgängerzone auf. Die Vögel werden immer lauter und stimmen zu einem harmonischen Durcheinander an, das immer lauter und lauter wird, bis wir es nicht mehr hören, weil wir uns daran gewöhnt haben.
Ich presse meine Nase gegen seine Brust und spüre einfach nur seine warme Haut, male Buchstaben einer geheimen Sprache auf seinen Rücken, während er meine Haare zu unsichtbaren Locken aufdreht.

Ich spüre seinen Atem an meinem Hals, seine Finger an meiner Wirbelsäule und seine starken Waden an meinen.
Wir umarmen uns lang und innig, bis wir einschlafen.

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Song: You - Oscar Lang

Hi my loves!
Jetzt habe ich die Kommentare endlich alle beantworte, hehe
Ich freue mich immer so über eure Worte, egal zu was :)

Kleine Anekdote aus meinem Leben: Meine Mutter hat mich gestern Abend (nach dem Abendbrot) so zum Lachen gebracht, dass ich fast gekotzt hätte (ich weiß ... nicht so lecker xD).
Anekdote ende.

Wann habt ihr das letzte Mal so richtig, richtig gelacht?

Und damit jetzt alle gemeinsam was zu lachen haben, lasst hier bitte einen guten Witz! :) (meistens sind die Schlechten ja bekanntlich die Guten)

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now