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Nach diesem Zwischenfall wechselt meine Mutter kaum noch ein Wort mit mir.
Sie starrt abwesend auf die flackernden Kerzen, blickt nur auf, wenn man ihre Aufmerksamkeit mehr als zweimal anwirbt.
"Wie geht es eigentlich Samuel?", spricht mein Vater das eine Thema an, von dem er besser die Finger gelassen hätte.

"Sehr gut."
Ich scheine ihn mit meiner Antwort zu überraschen.
"Ach, du hast also doch wieder mit ihm geredet? Wie schön."
"Ja, wir haben uns getroffen."

Ich lehne mich vor, platziere die Füße unter den Stuhl. Da ist plötzlich Hoffnung in den blauen Augen, die mich mustern. Er scheint ernsthaft zu glauben, dass die Sache zwischen mir und Sam noch nicht endgültig vom Tisch ist.
Dieser Nachmittag zieht sich schon viel zu lange in die Länge. Ich bin müde von all dem umsichtigen Reden und merke, wie auch Jace zu schwächeln beginnt.
In seinem Elternhaus haben wir wenigstens die Möglichkeit, uns zu entspannen.

Jaces Augen blicken auf die Schokoladenspuren auf seinem Teller. Die letzten Überreste des köstlichen Nachtisches.
"Aber sagt doch mal, wie geht es Jennifer?", frage ich mit einem freudlosen Lächeln, das meine Augen nicht erreicht.

Plötzlich räuspert sich Mom und trinkt den letzten Schluck Wasser aus.
"Jennifer war schon eine Weile nicht mehr hier", meldet sich mein Vater nach einiger Zeit zu Wort. "Aber wenn sie wieder nach Fitchburg kommt, möchte sie sicherlich gerne zurück in ihre Wohnung ..."

Ich verdrehe die Augen und starre auf die unruhigen Farben über seinem Kopf. Das Gemälde an der Wand passt nicht in diesen Raum, es ist zu wild. Der Maler muss beinahe leidenschaftlich den Pinsel in die Leinwand gedrückt haben.
Nichts hier wird von Leidenschaft erfüllt. Diese Emotion, dieses Gefühl ist lange ausgestorben.

Über uns rumort es. Wahrscheinlich geht Ben gerade ins Bad. Ob er sich wohl manchmal fragt, wie es mir geht?
Die Augen meines Vaters liegen immer noch auf mir, als ich den Blick wieder auf ihn senke. Sie erinnern mich daran, dass mein Teil des Gespräches noch nicht erfüllt ist , er will und wartet eine Antwort.

Jaces Lunge füllen sich mühsam mit Luft, doch ich unterbreche seinen kläglichen Versuch, etwas zu sagen.
"Das lass mal unsere Sorge sein, Dad. Wir brauchen dich zum Glück nicht als Vermittler."
Mein Gesicht zuckt bei seinem Lachen.

Seine markanten Gesichtszüge haben etwas Angespanntes, etwas, das zu Beginn dieses Essens noch nicht dagewesen ist.
Ich lehne mich zurück, spüre die weiche und doch harte Lehne in meinem Rücken, wende Jace den Kopf zu.

"Ich glaube, es ist Zeit für uns zu gehen."
Ich blicke wieder zu meinen Eltern.
"Danke für die Einladung."
Jetzt befinden sie sich auf der anderen Seite. Die Floskeln, die sie sonst von bekannten Fremden zu hören bekommen, kommen jetzt aus dem Mund ihrer eigenen Tochter.
So weit sind wir also schon.

"Ja und das Essen war wirklich köstlich", pflichtet Jace bei, schaut meiner Mutter dabei in ihre umrandeten Augen, obwohl sie keinen Handschlag in der Küche getan hat.
Wir erheben uns beinahe gleichzeitig, nicht nur Jace und ich, nein, auch Paul und Georgia Rosethorn, die stolzen Besitzer dieses Anwesens und sorgenvollen Eltern von einem Mädchen mit eigenem Kopf.

"Nun, wenn selbst unsere Ophelia sagt, dass wir gute Gastgeber sind, muss ja etwas dran sein", schmunzelt mein Vater, seine Wangen werden zu prallen Wölbungen.
Ich habe Angst, dass meine Mutter wieder mit dem Trinken anfängt, weil ich sie enttäuscht habe. Ich befürchte, dass Dad sie für dieses miserable Essen verantwortlich machen wird.
Ich kann Benno schon vor mir sehen, wie er den beiden Vorwürfe macht und einen wunden Punkt nach dem anderen angreifen wird, mit seinem losen, rücksichtslosen Mundwerk.

Aber ich wende mich trotzdem von meinen Eltern ab und verlasse mit Jace das Esszimmer.
Ich werfe nicht viel mehr als einen flüchtigen Blick Richtung Küche, suche Mirellas schmalen Rücken vor der Spüle, ohne sie wirklich finden zu wollen.
Ich will mich nicht von ihr verabschieden.

Es soll lieber so bleiben, wie nach meinem Auszug, eine Grauzone in der wir uns bewegen.
Es kann einfach so scheinen, als würde ich jeden Moment durch die Tür kommen. Aus der Uni oder von einem Nachmittag bei Jess.
Wenn ich mich nicht endgültig von ihr verabschiede, wird unter unsere Beziehung nie ein finaler, endgültiger Strich gezogen werden.

Ich habe früher ganze Tage verlebt, ohne ihre warmen Augen zu sehen und ihr freundliches Lächeln zu spüren.
Sie lief mir irgendwann einfach im Flur über den Weg und grüßte mich. Wie immer.
Oder ich begab mich nach Tagen in die Küche und da war sie dann. Wie immer.

Und jetzt gehe ich aus dem Haus, ohne mich von ihr zu verabschieden. Wie immer.
Denn sie wird ja immer hier sein. Ohne Abschied wird sie das immer für mich sein.
Jace öffnet die Tür, drückt mir dabei die Autoschlüssel in die Hand. Ich habe schon damit gerechnet, dass er nicht mehr zurückfahren kann, auch wenn es nicht länger als zwanzig Minuten dauern wird.

Mom bleibt zurück, lehnt sich gegen die Wand in der Eingangshalle. Unsere Blicke streifen sich nur kurz. Ein kleines Lächeln erhellt ihre Züge.
"Kriegt dein alter Vater noch eine Umarmung?"
Mit Widerwillen schließe ich die Lücke zwischen uns, lasse sie jedoch gleich wieder entstehen, indem ich mich aus seinen steifen Armen winde.

Etwas unbeholfen steht er da, die dunkelblonden Haare perfekt gekämmt, die Brust herausgedrückt.
Er verabschiedet seine Gäste.
"Macht's gut", sage ich leise.
"Es war sehr schön, Sie kennenzulernen. Schönen Tag noch."
Jace beugt sich leicht vor, folgt mir dann nach draußen.

Dad blickt uns durch einen schmalen Spalt in der Tür nach, bevor er sie endgültig zuzieht.
So fühlt es sich also an, wenn man sich auf der anderen Seite befindet und dieses Haus nach einer schrecklich öden Veranstaltung in unbequemen Kleidern verlassen darf.
Jace greift meine Hand und gemeinsam laufen wir die Ausfahrt hinunter.

Ich betrachte den jungen Mann neben mir, nur für einen kurzen Augenblick.
Die Nachmittagssonne lässt sein Haar glänzen. Seine Augen sind konzentriert auf die abertausenden Steine vor uns gerichtet.
Ein verstohlenes Grinsen auf den geschwungenen Lippen. Ich kann sehen, dass er sich auf die Wange beißt, um es zurückzuhalten.

Kopfschüttelnd wende ich den Blick ab.
Ich drehe mich nicht noch einmal zu dem geschrumpften Haus hinter uns um, auch wenn mir danach ist.
Es würde diesen Moment noch melodramatischer machen, als er ohnehin schon ist.

Zum ersten Mal in meinem Leben fühlt es sich so an, als würde ich ein Kapitel abschließen.

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Song: haunted house - holly humberstone (ohne diesen Song wäre das Kapitel nicht das, was es ist)

happy monday y'all!!

Was sagt ihr: Melodramatischer Moment?
Es ist traurig über Paul und Georgia zu schreiben. Ich habe immer das Gefühl, sie wollen aus sich herauskommen, Liebe zeigen, aber sie können nicht. Und dann wollen sie auch wieder nicht, aus Stolz und Vorurteilen.
god i sound like a crazy person now xD

Moving on, was habt ihr heute noch so vor?

Ich habe leider noch etwas Trauriges zu berichten. Ich habe eine kleine goldene Uhr, ein Erbstück, und meine Oma hat diese Uhr zu unserem Uhrmacher gebracht, weil sie nicht mehr ging. Das hat mich auch überhaupt nicht gestört. Sie war wunderschön, darauf kam es mir an.

Ihr merkt schon, past tense sie WAR wunderschön.

Denn dieser Pfuscher von Uhrmacher hat ein neues "Innenleben" (ich weiß nicht, wie das heißt) eingebaut. Plastik statt Glas über dem Ziffernblatt. Die Rückseite besteht jetzt grauem Edelstahl und an der Seite ist ein größeres Rädchen zum Zeit einstellen.

Meine schöne Uhr ist also nicht nur entwertet, sondern auch noch unansehnlich geworden. Und dieses "Innengehäuse" ist auch noch schief in der Fassung drin! 
Das macht mich echt traurig, weil diese Uhr hat mir wirklich was bedeutet :(
Und sie ist winzig, deswegen fallen all diese Dinge auf. Durchmesser ca. 1,5 cm.

Tja... Das wollte ich nur gerade mal loswerden...

Bis morgen. Gebt nicht einfach irgendwelchen Leuten eure Lieblingsstücke zum "Reparieren" mit!

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt