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Auch wenn ich Jace nie wirklich verstehen werde, weil ich nicht in seiner Haut stecke, will ich es dennoch versuchen.
Und ich versuche es so sehr.
Ich versuche mir vorzustellen, wie es sich anfühlen muss, in einem Treppenhaus zu schlafen, mit dem ständigen Gedanken im Hinterkopf dabei erwischt zu werden.

Ich versuche mir die schlimmsten Schmerzen meines Lebens vorzustellen.
Aber ich kann nicht. Solche Dinge bleiben für einen Außenstehenden immer verschlossen, unzugänglich.
In einem Punkt aber verstehe ich ihn. Einsamkeit.
Ich weiß, wie sie sich anfühlt und was sie bedeutet, wirklich bedeutet.

Als Jace mir über die Typen erzählt, die ihm das Heroin regelmäßig verkaufen, kann ich fast nicht mehr zuhören.
Der Gedanke an sie und an das, was sie diesem Menschen neben mir angetan haben, ist unerträglich.
Die Schlägerei hat es damals nur gegeben, weil Jace sie völlig verzweifelt und in Schmerzen aufgesucht hat, aber kein Geld hatte. Die Schlägerei nach der ich ihn verarztet habe.

Ich lerne über Drogen - Wissen, das ich ganz bestimmt nicht erlangen wollte, aber dieses Thema gehört zu seiner Geschichte.
Und wenigstens redet er mit mir darüber.
"Das Gefährliche ist, dass alles verwendet wird, um die Substanzen zu strecken. Alles", erklärt er ernst und sieht mich unter seinen dunkeln Augenbrauen erzürnt an.

"Von Dünger über Putzmittel bis Blei ist deswegen sicherlich schon mal alles durch meine Blutbahnen gekreist. Und das macht das ganze nochmal schädlicher, als es ohnehin schon ist. Menschen wie ich, die mit sehr starken Schmerzen kämpfen, brauchen nur das Heroin. Aber den Dünger brachen die Dealer, damit sie ordentlich Gewinn machen können."

In seiner Stimme schwingt Wut mit. So unglaublich viel Wut.
Stellenweise klingt es so, als würde er jemandem drohen, der sich in den Schatten des Wohnzimmers zusammengekauert hat und uns belauscht.
Er redet sich in Rage, aber ich lasse ihn.

Nur meine Hand auf seinem angespannten Unterarm erinnert ihn an das Hier und Jetzt.
All diese Wut, Verzweiflung und die Trauer müssen aus ihm herausbrechen. Und deswegen halte ich seine Emotionen nicht auf, sie sollen auch von mir Besitz ergreifen. Jace muss es jemandem erzählen und ich bin froh, dass ich diejenige bin, der er sich öffnet.
Seine Augen wirken dunkel und bedrohlich, wenn er mir ab und an einen Blick zuwirft und weiterredet.

Ansonsten starrt er meistens gegen die Wand oder den Fernseher und erzählt mir, wie erniedrigend es ist, um Geld für Drogen zu betteln.
"Wenn ich mir wenigstens überwiegend Essen von dem erstandenen Geld gekauft hätte. Aber nein; ich habe mehr Mahlzeiten ausfallen lassen, als das ich sie wahrnahm. Es fühlt sich verdammt scheiße an, dass Klischee zu erfüllen."

Ich umklammere seinen Arm und leite seine Augen damit zu mir. In ihnen schimmern Tränen und Verbitterung. Mein Atem stockt, als ich meinen Mund öffne, um nach langer Zeit wieder etwas zu sagen.
"Ich versuche mir das alles vorzustellen, Jace, wirklich. Aber dazu werde ich nie ganz in der Lage sein. Es tut mir nur alles so unendlich leid. Denn ich bin immer noch ein Teil dieser Gesellschaft gewesen, die an Menschen wie dir einfach vorbeigegangen ist. Ich habe eine Krankenversicherung. Ich habe Geld auf meinem Konto. Ich habe jeden Morgen Essen auf meinem Teller und ich habe -"

Ich unterbreche mich selbst und senke den Kopf.
Und ich habe es nie wertgeschätzt.
Es brauchte einen Obdachlosen, um mir die Augen zu öffnen.
"Aber du bist immer noch die beste Version von dieser Gesellschaft, die mir je begegnet ist, Ophelia."
Ich blicke zu ihm herüber, ohne meinen Kopf zu heben.
"Es tut mir leid", flüstere ich und finde mich in zwei starken Armen wieder, die mich fest an seinen Thorax drücken.

Ich atme tief ein und schließe die Augen.
Er ist jetzt hier. Ich bin hier.
Wir haben uns und auch, wenn es da noch so viel gibt, dass ich nicht weiß, nicht verstehe, nie verstehen werde ... es gibt auch vieles, was ich nachvollziehen und verstehen kann.
Es gibt etwas zwischen uns.

"Trink deinen Wein", grummelt mir seine raue Stimme ins Ohr und entlockt mir ein Lachen.
Nachdem jeder von uns zwei Gläsern getrunken hat, ist die Flasche leer.
Und wir, wir reden über die guten alten Zeiten, als die Welt noch nicht so aussah wie heute.
Über unbeschwerte Kindertage, den ersten Schultag und den ersten besten Freund, der unser Leben ohne ein Wort der Begründung einfach so verlassen hat, ohne zurückzublicken und an den wir noch heute denken müssen, mit der Frage nach dem Warum. Wir alle haben so einen Freund.

Spätestens als mein Magen laut zu knurren beginnt, merken wir, wie viel Zeit vergangen ist und planen unser Abendessen.
Die Sonne malt den Himmel knallrot und pink, während wir gegen die Arbeitsfläche gelehnt in der kleinen Küche stehen und unsere Sandwiches verschlingen.

Ich grinse Jace mit vollem Mund an und beobachte ihn dabei, wie er eine ganze Scheibe Käse in seinem Mund verschwinden lässt.
Er zwinkert mir zu und holt sich eine neue aus der Packung hinter ihm.
Das hier ist so anders, als jedes Abendessen, das in der Küche meines Elternhauses stattgefunden hat.

Immerhin verschlucke ich mich beinahe zweimal vor lachen. Etwas, dass Zuhause sicherlich nie passiert wäre.
"Wollen wir noch einen Film gucken?", fragt Jace, nachdem wir aufgegessen haben und er die letzten Zutaten zurück in den Kühlschrank räumt.

"Aber keinen Actionfilm", sage ich schnell.
"Gut, ein Horrorfilm also."
Als er den Blick von mir bekommt, den er sich anscheinend erhofft hat, lacht er zufrieden und schiebt mich zurück ins Wohnzimmer.

Wir nehmen uns eine große Decke und kuscheln uns zwischen die bunten Kissen von Tante Jennifer.
Nach kurzem Vergleichen der Auswahl entscheiden wir uns, für eine romantische Komödie aus dem vergangenen Jahrzehnt.
Und so sitzen wir da, während die Sonne am Horizont verschwindet und mit ihr meine Gedanken an das große, stille Haus und all seine Bewohner.

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Song: Delicate - Damien Rice

Olla, 

heute ist so ein richtiger scheiß Tag für mich :( 

Ich habe schulisch nichts! hinbekommen und wie man sieht im Schreiben auch nicht so wirklich. Bin mega unzufrieden today ... idk :(

Deswegen werde ich mich erst Übermorgen - am Samstag - wieder bei euch melden. Weil jetzt gehe ich ins Bett! xD (mit null Wörtern für Morgen so yeah... xD)

Kommentare beantworte ich morgen <3 love u all

sendet mir mal bitte positive vibes :/ danke <3

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now