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Und einfach so ist der letzte Tag des Semesters Geschichte.
Jessica hackt sich bei mir unter und gemeinsam gehen wir auf den Ausgang des Edgewood Colleges zu, so wie hundert andere Studenten.
"Der Sommer gehört uns!", sagt sie feierlich und grinst mich an.

"Hm", ist alles, was ich von mir gebe.
"Was soll das denn heißen? Hallo? Du hast einen Freund und so gut wie keine Aufgaben über die Ferien, gibt es was Besseres?"
"Du kommst hier immerhin raus. Ich muss hier versauern, schon vergessen?"
Ich werfe ihr einen gespielt vorwurfsvollen Blick zu und sehe gerade noch, wie ein Erdbeerkaugummi in ihrem Mund verschwindet.

"Ich kann nichts dafür, dass deine Eltern keinen Familienurlaub mehr vorschreiben. Wir können gerne tauschen."
Ich verziehe den Mund, wenn ich an Jessicas hoch emotionale Mutter denke, die großen Wert auf perfekte Familienfotos am Strand legt.
"Lass mal stecken, da nehme ich doch die Idylle von Fitchburg", gebe ich trocken zurück.

In diesem Moment schiebt sich AJ an uns vorbei.
Er wünscht Jess einen schönen Sommer und viel Spaß an der Côut d'Azur. Mich würdigt er keines Blickes.
"Es sieht so aus, als könntest du hier auf jeden Fall erstmal nicht auf die Gesellschaft von AJ zählen", schlussfolgert sie, als der blonde Junge außer Hörweite ist.
Endlich kommen auch wir den Türen und damit der süßen Freiheit näher.
Ich seufze nur.

Ich habe mir diesen Sommer ganz anders vorgestellt.
Sicher, ich freue mich auf mehr Zeit mit Jace, in der ich dann auch nicht mehr lernen muss.
Die Lektüre, die ich über den Sommer lesen muss, ist wirklich vertretbar, ebenso wie die Aufsätze, die ich schreiben muss.
Aber dennoch. Jess wird die ganze Zeit über in der Sonne verbringen und AJ wird sicherlich nicht von heute auf morgen aufhören, mir die kalte Schulter zu zeigen.

Seine Worte lassen mich immer noch nicht los.
Ich verdiene etwas Besseres. Was denn?
Wen denn?
Auch wenn er mein bester Freund ist, gibt ihm das noch lange nicht das Recht, so über mich zu urteilen. Oder über die Menschen, mit denen ich meine Zeit verbringe.
Über Jess und mir tut sich endlich der freie Himmel auf und Wind weht unsere Haare zurück.

"Hey, jetzt zieh nicht so ein Gesicht, Ophelia. Du und Jace, ihr werdet bestimmt ganz viel Spaß haben."
Sie wackelt anzüglich mit den Augenbrauen.
Wenn ich nicht die Schulter von einem Kommilitonen gegen den Rücken geknallt bekomme hätte, hätte ich mich über Jessicas Verhalten beschwert.

Es hat keinen Sinn so kurz vor ihrer Abreise damit anzufangen, dass Jace krank ist und wir mehr Probleme haben, als ich es anfangs zugeben habe.
"Versprich mir nur, dass ihr immer brav verhütet. So süß wie die Vorstellung einer kleinen Ophelia auch ist, ich glaube nicht, dass du sie mit deinem Zeitplan vereinbaren kannst."
"Jess!"

Meine Freundin lacht nur laut auf und wirft ihre feuerfarbenen Haare zurück.
"Ich mache doch nur Spaß."
Mein Augenverdrehen sieht sie nicht, weil sie plötzlich ihr Handy zückt und vor uns in die Höhe hält.
"Lächeln! Ich brauche doch eine Erinnerung an dich, wenn ich so viele Meilen von dir entfernt bin."

Ich grinse brav in die Kamera und schmiegen meine Wange an ihre.
Jessicas Haut sieht auf dem Display so golden und gebräunt aus.
Auch ich bin braun, aber meine Bräune ist nicht unter den Wangenknochen zentriert und verleiht mir dadurch nicht dieses schmale Gesichtsform.
Dafür fallen meine Sommersprossen auf der Nase deutlich auf.

Jess inspiziert ihr Werk kritisch, bevor sie zufrieden lächelte.
"Das wird gleich gepostet", lässt sie mich wissen.
"Ich werde dich echt vermissen", sage ich leise.
Ein liebevoller Blick wird auf mich gerichtet. Dann zieht sie mich in ihre Arme.

"Ich dich auch, Süße. Aber hey", ein trauriges Lachen unterbricht sie. "Ein Jahr haben wir nach diesem Sommer noch zusammen."
Wo ist die Zeit nur hin verschwunden?
Es kommt mir vor wie gestern, dass ich zum ersten Mal einen Fuß in das Edgewood College gesetzt und Jess uns AJ kennengelernt habe.
Dabei ist es drei Jahre her.

"Hab einen schönen Sommer", flüstert sie in mein Ohr und löst sich dann von mir.
Als sie meinen traurigen Blick sieht, zwinket sie mir schnell zu.
"Keine Sorge, ich werde die heißen Kerle am Strand für dich mit abschleppen."
Sie wusste schon immer, wie sie mich zum Lachen bringen kann.

"Da bin ich ja beruhigt."
Wir schauen uns eine Weile an und lassen den Strom aus Menschen seinen Weg um uns herum finden.
Dann läuft Jess zum Auto ihres Vaters, der sie der Tradition willen, immer nach dem letzten Vorlesungstag abholt.
Ich winke den beiden nach und gehe dann allein zu meinem Mini.

Der Sommer liegt vor mir.
Der Sommer gehört mir.

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Song: Bonfire Heart - James Blunt

Ferienanfang, wenn man noch in der Schule ist, ist doch das beste Gefühl der Welt!

Ich drücke euch & bis Dienstag <3

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now