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Jaces schwarze Jacke ist verschwunden.
Er steht in seinem dunkelbraunen Shirt am Bahnhof und schaut meinem Zug beim Einfahren zu.
Die Maisonne gibt an diesem Tag wirklich alles. Meine Skinny Jeans ist mir schon auf meinem Fensterplatz viel zu warm geworden.

Ich springe aus dem Zug und laufe auf Jace zu.
Unschlüssig bleibe ich vor ihm stehen. Wäre eine Umarmung zu stürmisch? Zu übermütig?
Doch ein Funkeln lässt Jaces Augen erstrahlen und ich lege meine Arme um seinen sehnigen Körper.
Das Shirt ist dünn, ich kann die Konturen seines Oberkörpers spüren.

Meine nackten Arme schmiegen sich an den weichen Stoff.
"Hey", sage ich an seinen Nacken und streife mit meiner Nasenspitze über den kastanienbraunen Stoff. Er riecht nach ihm.
Jace brummt nur, reibt einmal über meinen Rücken.
Ich wollte ihn schon so lange umarmen.

Mit einem breiten Lächeln sehe ich zu ihm auf.
"Wo hast du denn deine Jacke gelassen?"
Jaces schmunzelt und schiebt die Hände in seine schwarzen Hosentaschen.
"Ich lasse mein Zeug meistens am Schlafplatz, wenn ich es nicht brauche. Jedenfalls mache ich das so."

Wir laufen durch die Unterführung.
Im Dämmerlicht wirken seine Gesichtszüge gefährlich, scharf. Bedrohlich.
Seine Locken wirken wie eine schwarze Wolke, die diese teuflischen Gesichtszüge umhüllt.
Doch sobald das goldene Sonnenlicht auf seine gebräunte Haut fällt, läuft da wieder dieser griechische Gott neben mir.

Ich wende den Blick ab, lege meine Jeansjacke erneut ordentlich über meinen linken Arm, streiche sie glatt, nur damit meine Finger etwas zu tun haben.
"Frag einen anderen Obdachlosen und er wird dir etwas völlig anderes erzählen", fährt er fort.
Ich blicke auf, aber nur kurz.

Das Grün seiner Augen wirkt intensiver, seitdem wir uns umarmt haben.
"Hast du denn keine Angst, dass ... na ja ... dass dir jemand etwas klaut?", frage ich zögerlich.
Jaces Augen fahren über mein Gesicht, zu meinen Lippen und zurück zu meinen Augen.
Ein Kribbeln breitet sich in meiner Magengegend aus.

Ich beiße auf meine Lippe, als er auflacht.
"Ehrlich gesagt, wäre es mir zu lächerlich, einen Einkaufswagen vor mir herzuschieben."
Über dieses Klischee kann ich nur den Kopf schütteln.
"Dann bist du aber ein ziemlich schlechter Obdachloser", scherze ich.

Das Funkeln in seinen Augen ist zurück.
"Der Schlechteste von allen! Ich bin risikoreich."
"Wenn du so risikoreich bist, dann musst du mir jetzt auch auf meine Frage antworten: Wie geht es dir?"

Dieses Mal muss ich die Augen zusammenkneifen, als ich zu Jace aufsehe.
Die Sonne verwandelt seine Haarspitzen wieder in ein Mahagonibraun.
"Jetzt geht es mir besser als gut und da ich nicht über Vergangenes rede, ist das die einzige Antwort, die zählt."

Ich verdrehe die Augen.
"Ich sollte deine schlauen Antworten aufschreiben und sie an eine Glückskeksfabrik verkaufen."
Empört öffnet Jace seinen Mund.
Ich kann nicht anders; seine schmalen, geschwungenen Lippen ziehen meine Aufmerksamkeit an, wie eine Honigwabe die Bienen.

"An eine Glückskeksfabrik? Dazu sind meine Worte zu wertvoll!"
Ich bringe nicht mehr, als ein Lächeln zustande.
Jaces lange Wimpern schlagen sich wie in Zeitlupe nieder und mein Mund wird trocken.
Sonne steht ihm verdammt gut.

Er unterbricht unser Schweigen nicht, blickt mich nur an, während meine Augen zu seiner Schulter wandern, an der sich unter dem dünnen Stoff ein Tattoo verbirgt.
Auch wenn Jace ein schmales Kreuz hat, seine Schultern sind muskulös, genau wie seine Arme.
Am liebsten würde ich meine Hand ausstrecken und ihn berühren.

Ich kann diese unsichtbare, unerträgliche Anziehungskraft, die von ihm ausgeht, nicht erklären.
Ich weiß nur, dass sie mich halb verrückt macht und dass ich mich noch nie so in der Gegenwart eines anderen Menschen gefühlt habe.
"Sorry", sage ich schnell, als sich unsere Augen wieder begegnen und blicke zu Boden.

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now