2.

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Ich stehe im Flur, eine Hand presst das Handy meiner Freundin Jessica gegen mein Ohr, die andere krallt sich in den Stoff meines Pullovers.
Mein Vater am anderen Ende der Leitung regt sich schrecklich über unsere gemeingefährliche Gesellschaft auf.

Ich unterbreche seinen Monolog nicht, starre nur gegen die Wand und auf das Poster der Schulband, die nächste Woche einen Auftritt hat.
Jessica steht mir gegenüber und macht Blasen mit ihrem Kaugummi.
Ich wende den Blick von ihr ab. Ich hasse es, wenn sie Kaugummi kaut.

Nach einer Weile verabschiedet sich mein Vater mit wieder gefasster Stimme und sagt, dass er all meine Karten sperren lassen wird.
"Pass beim nächsten Mal aber trotzdem ein bisschen besser auf, ja Spätzchen?"
"Aber -"
Er legt auf.

Ich seufze entnervt, aber vielleicht hat er recht und ich bin ein zu leichtes Opfer gewesen ...
Dankend reiche ich Jessica ihr Handy.
Sie schiebt eine rote Haarsträhne hinter ihr Ohr und sieht mich mitleidig an.
"Ich kann es immer noch nicht glauben, dass dir das passiert ist", sagt sie, legt ihre Stirn in Falten und kaut gleichzeitig auf ihrem Kaugummi herum.
"Wir leben in einer unsicheren Welt", wiederhole ich die Worte meines Vaters mit einem sarkastischen Unterton. 

Jess lacht auf und schultert ihren Rucksack. Wie gerne würde ich jetzt ebenfalls meine Tasche über die Schulter schwingen.
Jess und ich kennen uns schon seit der Mittelstufe und auch, wenn sie einer dieser Menschen ist, die einem den letzten Nerv rauben können, möchte ich sie nicht mehr missen.
Unter ihren strahlend blauen Augen befinden sich an diesem Morgen tiefe Ringe, die auf eine lange Nacht schließen lassen.

"Jetzt schau mich nicht so an", zischt sie und dreht den Kopf zur Seite.
Ich muss an den zugigen Bahnsteig denken und an den Typen mit seiner schwarzen Jacke und wie die Regentropfen daran abperlten.
"Erde an Ophelia. Was ist denn los mit dir? Hat dir dieser Penner etwa deinen Verstand entwendet?"
Jessica wedelt mit einer Hand vor meinem Gesicht herum.

"Nein, ich, im Gegensatz zu dir, kenne die Fachlektüre für die Klausur wie meine rechte Jackentasche."
Herausfordernd sehe ich meine Freundin an und recke das Kinn.
"Streu nicht noch Salz in die Wunde, Ophelia."
Sie grinst mich an und hakt sich bei mir unter.

Ich versuche ein fröhliches Gesicht zu machen, normalerweise funktioniert das wie auf Knopfdruck, nur heute nicht.
Mein Kopf ist wie leergefegt, in ihm nur Platz für einen Gedanken. Der Gedanke an Regentropfen auf einer Regenjacke und grüne Augen, die mir entgegenblitzen.

"Hey Ladys, warte mal!"
Jessica und ich halten inne, damit AJ zu uns aufschließen kann.
"Na?", fragt er, als er neben mir zum Stehen kommt.
Sein krautiges Aftershave kriecht mir in die Nase und ich rümpfe sie, um das Kribbeln zu unterdrücken.

"Nicht so stürmisch, Ophelia hat heute einen harten Tag", merkt Jess an.
Ich werfe ihr einen Blick zu, der ihr hoffentlich vermittelt, dass diese Information gerade völlig unangebracht gewesen ist.
"Was ist passiert?", will AJ sogleich besorgt wissen.

Ich schüttele ihn ab.
"Ach nichts Wildes. Meine Handtasche wurde mir heute Morgen geklaut, das ist alles."
"Das ist eben nicht alles", schaltet sich Jessica ein und wirft ihr Haar über die Schulter. "An allem ist nämlich Ben schuld, der Ophelias Auto geschrottet hat. Nur deswegen musste sie mit der Bahn fahren, wo sie dann von diesem Zwei-Meter-Typen überfallen wurde."

Aufgeregt deutet sie auf mich, als wäre ich ein kleines, traumatisiertes Kind und lässt eine Kaugummiblase zerplatzen.
"Zwei-Meter-Typ?"
AJs wachsame, braune Augen liegen auf mir.
"Hast du sein Gesicht gesehen? Meinst du, du kannst ein Phantombild erstellen lassen? Ich könnte meinen Vater anrufen, der wird das regeln und wir könnten gleich -"

"AJ, alles gut", unterbreche ich seinen Redefluss und fasse ihn behutsam an den Unterarm.
Ich spüre, wie angespannt seine Muskeln unter der rauen Haut sind.
Meine Finger streifen über sein Lederarmband, bevor ich ihn wieder loslasse.
"Es war ja nur meine Handtasche."
"Das sagst du jetzt!", funkt Jessica dazwischen.

Ich ignoriere sie.
"Du brauchst deinen Vater nicht einzuschalten. Meiner hat schon alle Kreditkarten sperren lassen und damit hat sich die Sache erledigt. Ich muss nur zusehen, dass ich mir morgen ein neues Handy kaufe."
Jess stimmt mir zu und hängt sich an meinen Arm.
"Wem soll ich denn heute Nacht schreiben, wenn ich nicht einschlafen kann?", quengelt sie.

Ich klopfe auf AJs breite Schulter.
"Ich glaube, da hält dann dieser Gentleman mal für mich hin."
AJs angewiderter Gesichtsausdruck sagt alles.
Seine Eltern sind Anwälte, zwar nicht die einflussreichsten, aber sie gewinnen grundsätzlich jeden ihrer Prozesse.

Sie wären also die letzten Personen, die ich in dieser Situation noch hinzuziehen will.
Außerdem hasse ich es, wenn AJ mich so besorgt ansieht.
Er fasst mich zu oft mit Samthandschuhen an. Aber ihm das verständlich zu machen und ihn darum zu bitten, dies zu unterlassen, ist vergeblich.
AJ ist nun mal AJ.

"So gerne ich auch noch bei euch bleiben würde, hier trennen sich unsere Wege."
Bei diesen Worten deutet er in den Gang, der sich zu unserer Linken abzweigt.
"Aber soll ich dich nach der Klausur nach Hause fahren?"
Verwirrt sehe ich ihn an.
"Hast du nicht noch Sozialwissenschaften, wenn ich Schluss habe?"

Er zuckt mit den Schultern.
Manchmal ist er echt unglaublich. Ich schüttele den Kopf und ziehe Jessica weiter Richtung Klassenraum.
Auf dem Weg versuche ich ihr so viel wie möglich über den Roman zu vermitteln, den wir lesen sollten.

Doch es hilft alles nichts und nach der Klausur befindet sich Jess' Laune im Keller, aber ich habe selbst keine richtige Kraft, sie aufzumuntern.
Und so trennen sich unsere Wege in erdrückter Stimmung.
Es ist so ungewohnt durch die Stadt zu laufen und nicht direkt hinter dem großen Backsteingebäude in meinen geliebten Mini zusteigen. 

Dank Jessicas finanzieller Unterstützung, kann ich mir dieses Mal eine Fahrkarte am Bahnhof kaufen.
Ich bin zwar heilfroh, als ich das Ticket in den kalten Händen halte, aber gleichzeitig mir ist nicht wohl bei der Sache, Jess um Geld gebeten zu haben.
Das musste ich noch nie tun und ich fühle mich merkwürdig schuldig, als ich auf das weiße Stück Papier herunterblicke.

Aber ich habe kaum Zeit mir darüber den Kopf zu zerbrechen.
Auf dem Bahnsteig werfe ich ständig prüfende Blicke über meine Schulter und suche die Umgebung  nach schwarz gekleideten Menschen ab.
Natürlich tragen viele der Fahrgäste schwarze Jacken und Hosen und sobald jemand von ihnen auch noch größer als der Durchschnitt ist, bleibt mein Herz fast stehen.

Der Schock scheint mir doch noch zu tief in den Knochen zu stecken.
Ich habe das Bild von dem Fremden deutlich vor Augen und kann seinen heißen Atem in meinem Gesicht spüren, wenn ich mich aus dem Wind drehe.

Ich sehne mich danach, mich in einem der muffigen Zugsitze zurückzulehnen, wie es schon hunderte Menschen vor mir getan haben, als meine Zehen in den Stiefeln immer kälter und kälter werden.
Zuhause angekommen, werde ich mich einfach in mein Bett kuscheln, eine Serie gucken und diesen ganzen Tag einfach vergessen.
Ich werde ihn vergessen.

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Song: hideous - mehro

Hello my loves! :)

Jetzt habt ihr schon mal Jess und AJ kennengelernt :) 
Was sagt ihr zu den beiden?

Wisst ihr, wie ich diese Story zurzeit überarbeite? Ich lese mir das Kapitel einmal kurz durch, ziehe Sätze raus, die mir gefallen & den Rest schreibe ich komplett neu, weil sich mein Stil in den letzten 2 1/2 Jahren einfach sooo geändert (verbessert - ich hoffe doch, haha) hat! xD

Anyways, kurze Frage an euch: Wenn ich jetzt update, kriegt ihr dann eine Benachrichtigung??? cuz if not, i'm fucked xD

Ich hoffe, ihr hattet einen tollen Sonntag so far <3

See ya tomorrow,

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now