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Die Haustür, wie sie ins Schloss fällt.
Die Vögel, wie sie fröhlich weiter zwitschern, als wäre nichts gewesen.
Die Stille, die wie immer einkehrt, bis Ben seine Stereoanlage aufdreht, weil es nichts mehr zu lauschen gibt.

Das alles klingt noch lange in mir nach, obwohl Jace nicht mehr hier ist, obwohl er schon seit mehreren Tagen gegangen ist.
Alles ist wie immer. So, als wäre nie ein Jace hier gewesen. Nur das Gefühl in meiner Brust bleibt.
Und das Wissen, dass wir einander verletzt haben.
Ich höre immer noch seine Schritte hinter mir.

Die langsame Melodie in meinen Ohren lullt mich seit Stunden in diesen unbeschreiblichen Trancezustand, den ich eigentlich nicht vorhatte in nächster Zeit zu unterbrechen. Doch mein Vater hat andere Pläne.
Ich weiß nicht, ob er angeklopft hat, ich will es hoffen, aber nach dem bitteren Gesichtsausdruck, kann es auch gut sein, dass er einfach so in meine Privatsphäre geplatzt ist.

"Du liegst noch im Bett?", fragt er missbilligend.
"Ich bin angezogen."
Ich deute auf mein verwaschenes T-Shirt aus High-School-Zeiten, das ich wieder hervorgekramt habe.
"Es sind Ferien und du hast nichts Besseres zu tun, als in deinem Bett zu liegen und ... was genau zu tun?"

Ungläubig blickt er von mir zu meinem Handy, in dem meine Kopfhörer eingestöpselt sind.
"Die Sonne scheint", schiebt er hinterher.
Ich zucke nur mit den Schultern. Ich habe wirklich keine Lust, jetzt dieses Gespräch mit ihm zu führen.

"Ophelia."
Ich ziehe meine Kopfhörer widerwillig aus den Ohren.
"Ja, Dad?"
Ich beiße auf meine Zunge, um nicht noch mehr zu sagen, um nicht meinen Frieden zu deklarieren.

"Hattest du nicht sowieso noch einige Verabredungen diesen Monat?"
Es ist offensichtlich, worauf er anspielt. Es ist eigentlich schon fast traurig, dass er eine solche Masche aufzieht.
"Das ist richtig. Nur nicht jetzt", antworte ich zuckersüß, verziehe dabei allerdings keine Miene.

"Gut. Darüber wollte ich nämlich mit dir reden. Kommst du mal mit?"
Er zitiert mich ins Büro.
"Können wir das nicht hier klären?"
"Mein Büro. Jetzt", sagt er mit Nachdruck und hebt seine Augenbrauen.

Was passt ihm jetzt wieder nicht? Welche Veranstaltung, bei der ich seinen Rücken freihalten soll, kommt auf mich zu? Soll ich mich Mom besser annehmen, damit sie nicht den ganzen Tag lethargisch im Wohnzimmer sitzt?
Seit Tante Jennifer abgereist ist, scheint auch Moms Lachen mit ihren Koffern verschwunden zu sein.
Ich fühle mich schon ein wenig schuldig, immerhin zeige ich ihr die kalte Schulter, aber es ist nicht ihre Tochter, die sie sehen will. Georgia Rosthorn will ihren Sohn. Und auf den habe ich keinen Einfluss.

Es kommt mir vor wie ein Déjà-vu wieder in Dads akribisch aufgeräumten Arbeitszimmer zu stehen.
Was Jace jetzt wohl gerade macht?
"Es geht - wie du es dir sicherlich denken kannst - um Samuel", setzt mein Vater in diplomatischer Tonlage an.

Ich wette, er hatte noch nie einen seiner Mitarbeiter im Schlabberlook vor sich sitzen.
Ich kratze an meiner Nagelhaut herum und unterdrücke das nervöse Wippen meines Beines. Mein Gehirn hat keine Kapazität, Dads Worte aufzunehmen. Ich will einfach nur zurück ins Bett.
Als ich die Augen zum Fenster hebe, stelle ich fest, dass er tatsächlich den Ast davor hat entfernen lassen.

Ich schmunzle verkniffen.
"Ich möchte, dass du mehr Zeit in die Beziehung mit Sam investierst, anstatt dich um die Häuser zu treiben und mit wer-weiß-wem rumzuhängen. Wir waren da doch eigentlich schon auf einem ganz guten Weg ..."
"Bitte?"

Jetzt hebe ich die Augenbrauen.
Ungläubig betrachte ich meinen Vater, der in gerader Pose vor mir sitzt, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, das Haar streng zurückgekämmt und die blauen Augen erbarmungslos auf mich gerichtet.
Sein Hemd ist faltenfrei und puderfarben. Bestimmt hat Mom es für ihn ausgesucht. Sie liebt diese Farbe.

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now