24.

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Jace redete nicht über seine Nacht.
Und ich redete nicht über meine Familie.
Ich betrachtete lediglich unauffällig sein blaues Auge und wunderte mich.
Und er beobachtete mich.
Und ich wunderte mich.

Und ich wundere mich immer noch.
Über ihn. Über das, was zwischen uns ist. Diese ... Verbindung.
Ich spucke die Zahnpasta aus und wasche mir den Mund.
Ich höre mich immer lächerlicher an.

An der Tür klopft es.
"Spätzchen, kommst du runter?", fragt mein Vater durch das weiße Holz.
"Ja", rufe ich und wische mir den Mund ab.
Aus dem Spiegel sieht mich ein verschlafenes Mädchen mit leicht geschwollenen Augen und den ersten Sommersprossen auf der Nase an.

Ich bin müde. Und ich würde mich lieber weiter über Jace wundern, als jetzt gleich die Marmortreppe herabzusteigen und gemeinsam mit meinen Eltern auf Ben zu warten.
Er wird schon heute entlassen.
Ich bin nicht einmal bei ihm am Krankenbett gewesen. Aber Mom und Dad waren auch nicht da. Jedenfalls nicht, dass sie es mir gesagt hätten.

Ich schließe die Augen und lasse meinen Kopf hängen, entspanne meinen Nacken.
Dann öffne ich die Tür und gehe runter zu meinen Eltern.
Ich rechne mit einem abschätzenden Blick seitens meiner Mutter, wenn sie meinen Aufzug sehen wird, doch sie blickt nur flüchtig auf, als ich das Wohnzimmer betrete.

Meine schwarze Leggins und den oversized Sweater scheint sie entweder nicht zu bemerken oder ignoriert sie mit Wohlwollen.
Vielleicht ist es ihre Art sich für Mittwochabend zu bedanken.
Wobei ich fast glaube, dass dieser Abend für sie und ihr eiskaltes Gewissen gar nicht mehr existent ist.

Mit meinen Kuschelsocken an den Füßen laufe ich durch den Raum und lasse mich in einigem Abstand zu ihr auf das Sofa sinken.
Es herrscht eine unangenehme Stille. Dads Schritte hallen in der Eingangshalle, als er zu uns kommt.
Meine Mutter drückt ihren Rücken noch weiter durch, als er näher kommt.

Ich werfe ihr einen unauffälligen Seitenblick zu und betrachte ihren perfekt gezogenen Eyeliner und die natürlich schimmernden Lippen, die sie in einem Roséton geschminkt hat.
Ihre perfekte Fassade.
Da ist nichts mehr, was mich an die weinende Frau am Küchentisch erinnert. Es hat sie nie gegeben.

Unsicher berühre ich meine Wange.
Meine Haut ist nackt. Ich habe kein Make-up aufgetragen, bevor ich heruntergekommen bin.
Ein Zustand, den ich schon ewig nicht mehr zugelassen habe.
Ich rutsche auf dem weißen Leder herum und drehe mich zu meinem Vater.

In seiner feinen Anzughose und dem luftigen Leinenhemd sieht er fast aus, als würde er den Bürgermeister höchstpersönlich in Empfang nehmen und nicht seinen eigenen Sohn.
Ich bemerke seinen kritischen Blick und wie er über meine Kleidung gleitet und drehe mich um.
"Schön, das du es auch geschafft hast, Spätzchen."

Ich weiß, dass er mich dazu auffordern möchte, mir etwas anderes anzuziehen.
Ich schaue aus dem Fenster und kralle meine Fingernägel in die Couch.
Mein Blick gleitet vom blauen Himmel über die Einfahrt.
Der Kies ist perfekt geharkt. Nur ein paar Laubblätter wehen über den Rasen.

Das Gras sieht feucht aus.
Hat es in der Nacht geregnet? Wo hat Jace geschlafen?
Jedes Mal, wenn sich unsere Wege vor der Einfahrt trennen, überkommt mich ein schlechtes Gewissen, weil ich in ein warmes, sicheres Haus gehe. Und Jace auf der Straße lasse.

Das Aufröhren eines Motors reißt mich aus meinen Gedanken, ich recke den Hals und entdecke einen weißen Kleinbus, der soeben um die Ecke gebogen ist.
Ein sehr dezenter Krankentransport.
An der selbstsicheren Haltung meines Vaters interpretiere ich, dass er dem Krankenhaus eine fette Spende hierfür überwiesen hat.

Ich richte mich auf und habe schnell die Füße auf dem Boden, breit zur Tür zu gehen.
Doch mein Vater hält mich zurück.
"Nein, bleib sitzen. Ich gehe."
Empört blicke ich zu meiner Mutter.

Doch sie schaut anteilnahmslos auf ihre Fingernägel und plötzlich sehe ich doch wieder die weinende Frau aus der Küche neben mir sitzen.
Sie ist immer da.
Meine Mutter ist diese Frau.

Ich höre, wie Dad die Haustür öffnet und seinem üblichen, überschwänglichen Geschäftsmann-Ton anschlägt, seinen Dank ausspricht.
Ich beiße auf meine Lippe. Warum sollte ich auf ihn hören?
Ich sollte viel mehr versuchen, ihn besser zu lesen.

Leise schleiche ich bis in den Flur und lehne mich dann dort an den Türrahmen, beobachte die langen, steifen Schritte meines Vaters und wie er sich vom Eingang entfernt, als zwei medizinische Pflegeassistenten eintreten.
Sie tragen blaue Kleidung. Einer davon ist heller gekleidet als der andere.

Ich entdecke Ben, der über die Türschwelle geführt wird.
Sein Gesicht kann ich nicht einsehen, da es wie immer hinter seinen langen Haaren verborgen ist.
"Meine Herren, danke für das Bringen meines Sohnemannes."
Dad klingt so falsch.

Er kontrolliert die Situation und alle Spielfiguren in ihr.
Dad verschwindet aus meinem Sichtfeld, weil er wieder einen Schritt vor macht, aber ich kann das Gesicht von einem der Männer sehen.
Und dieses leuchtet gerade überrascht auf.

Die Schultern im Leinenhemd bewegen sich, rotieren. Er überreicht etwas.
Ich schlucke. Selbst die Fahrer muss er anscheinend schmieren.
Ich ducke mich weg, als die Tür ins Schloss fällt und eile zurück zu meiner Mutter.
Doch setze ich mich nicht, sondern stelle mich ans Fenster, umklammere meine Oberarme und schaue zur Tür.

Dad tritt ein, gefolgt von Benno, dessen Gesicht immer noch verborgen ist.
Mom richtet sich auf, dreht sich zu ihrem Sohn um.
Hoffnungsvoll sieht sie zu ihm auf. Ich kann darüber nur die Hände zu Fäusten ballen.
Sie sollte ihn nicht liebevoll begrüßen, sie sollte außer sich sein.

Sie steht auf, geht zu Ben und legt ihm seine Hand auf die schlaffe Schulter.
Es sieht beinahe lächerlich aus, wie sie neben ihm steht.
Eine Frau voller Haltung, Härte und Disziplin neben einem Jungen, der sich hält wie ein Sack Kartoffeln.

Über seiner Schulter trägt er eine Tasche, die ihm sogleich abgenommen wird.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass ihm die ganze Sache peinlich und unangenehm ist, so wie er da steht, den Kopf gesenkt.
Kein Wort des Grußes kommt über seine Lippen.

Aber ich kenne ihn besser, erkenne an seinem mahlenden Kiefer, wie wütend er ist.
Sein rechter Arm steckt in einem Gips, der mit einer Schlinge um den Hals in einer konstanten Position gehalten wird.

"Setzten, junger Mann."
Mein Vater gibt Ben einen leichten Stoß und er taumelt zum Sofa.
Ich stehe immer noch am Fenster und betrachte die drei wie ein schlechtes Theaterspiel.
Ben hat mir nicht einmal in die Augen geblickt.
Ich beiße die Zähne zusammen und schaue Ben dabei zu, wie er sich widerwillig auf die Couch setzt.

Seine schwarzen Haare fallen dabei erneut über seine Augen, aber er macht sich nicht die Mühe, sie wegzustreichen.
Er versteckt sich, wie der bockige, kleine Junge, der er nun mal ist.
Trotzig schaut er durch seinen schwarzen Vorhang starr an die Wand.

In dieser Haltung sieht er wirklich wie ein kleiner Schuljunge aus, der seine Schwester im Spiel ein bisschen zu doll gehauen hat, sodass sie sich weinend zu ihrer Mutter flüchtete, sich bei ihr ausweinte und er - der kleine unschuldige Junge -, wollte sich nicht bei seiner Schwester entschuldigen.
Nur mit dem Unterschied, dass Ben weitaus Schlimmeres getan hat.

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Song: On The Ground - ROSÉ

Hi Loves :)

Ich habe nicht viel Zeit - noch viel zu tun!!

Zum Song: Hab ihn bei Schreiben & heute beim Backen gehört :) Ich muss sagen, dass ich 0 Blackpink höre, aber all ich dieses Solo-Projekt auf BBC gehört habe... I was hooked!

anyways:

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now