10.

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"Hi Ophelia."
James sieht mich prüfend an, während er sich vor mir aufbaut. Ich wünschte, er wäre schon genauso betrunken wie Jess, die gerade torkelnd neben mir zum Stehen kommt und aufstößt.
"James", kommt es kühl über meine Lippen.

"Sieh mal einer an. Das prüde Hühnchen ist auch hier? Hast du sie etwa eingeladen, James?!"
Dieser unliebsame Kommentar kommt von niemand geringerem als Carlos.
James kleinem Handlanger, wie ich ihn immer gerne nenne.

Ich werfe Carlos einen eiskalten Blick zu und stelle mir innerlich vor, wie sein blonder Kopf explodiert.
"Lass gut sein, Mann", kommandiert James, und an mich gewandt: "Ich freue mich, dich mal wieder hier zusehen."
Carlos pfeift zwischen den Zähnen hindurch.

Ich presse meine Kiefer aufeinander und betrachte lieber den roten Becher in James' Hand, als ihm in die eisblauen Augen zu sehen.
Auch er trägt eine Lederjacke, seine ist allerdings wesentlich älter als meine und am Kragen schon ganz speckig - auf die coole Art und Weise.

"Wir müssen nicht reden, wenn du nicht willst, aber ich würde gerne ..."
Er lässt das Ende des Satzes im Sand verlaufen und neigt den Kopf.
Seine berühmte einzelne Haarsträhne, die ihm immer in der Stirn hängt, zieht meine Aufmerksamkeit auf sich.
Ich ziehe die Schultern hoch, schaue zu den Familienfotos auf dem Kamin.

Ein neuer Song erklingt und die tiefe, markante Stimme eines Rappers schallt durch den Raum, der seit James' Anwesenheit irgendwie geschrumpft ist.
"Ich glaube, sie bleibt lieber hier", meldet sich Jessica zu Wort.
Doch sie klingt wenig authentisch und bricht den Blickkontakt zu James nach wenigen Sekunden ab.

"Ist schon okay."
Höre ich mich sagen.
AJ greift nach meinem Arm.
"Ich glaube, nicht -", setz er an, ein kläglicher Versuch mich zu retten.

"Du hast sie gehört, Mann", fährt James ihn von der Seite an.
AJs fragende Augen bohren sich in meine. Ich nicke kaum merklich.
Er lässt mich los und ich folge James, der sich bereits in Bewegung gesetzt hat.
Selbstsicher wie eh und je schreitet er durch die feiernden Menschen und macht mir damit den Weg frei.

Als ich Carlos passiere, kann ich deutlich seine brennenden Blicke auf meiner Haut spüren.
Doch ich ignoriere ihn, hebe mein Kinn ein Stück höher und beobachte James dabei, wie er seinen halbleeren Becher einfach irgendeinem Partygast in die Hand drückt und sich weiter durch die Menge drängt.

Seine muskulösen Schultern spannen und entspannen sich unter seinem Sweatshirt.
Ich starre die ganze Zeit über auf seinen Hinterkopf und der Weg aus dem Wohnzimmer kommt mir bei all den Blicken, die uns zu geworfen werden, endlos lang vor.
Es ist ewig her, dass James Marison und Ophelia Rosethorn zusammen gesehen wurden.
Das Tuscheln und die großen Augen, die unseren schmalen Pfad säumen, lassen mich dies schmerzlich wissen.

Ohne sich auch nur ein einziges Mal nach mir umzudrehen, geht James die Treppe hoch.
Er weiß, dass ich hinter ihm bin, ihm brav folge.
Ich könnte diese Treppe mit ihren honigbraunen Stufen im Schlaf hoch- und runterrennen - so oft bin ich auf ihr gelaufen.

Dieses Haus war mal so etwas wie mein zweites Zuhause.
Im oberen Stockwerk sind nur noch vereinzelte Jungen und Mädchen.
Es liegt in der Luft, warum sie hier sind. Ich kann es in ihren rot unterlaufenen Augen sehen.
Doch das interessiert mich nicht. Ich sehe nur, dass die Wände neu gestrichen wurden.

James öffnet die schwere, braune Tür zu seinem Zimmer, hält sie für mich auf.
Er fährt sich durch sein glänzendes Haar, als ich an ihm vorbeihusche.
Hier drin hat sich nichts verändert.
Ich halte in der Mitte des Raumes inne. Sein blauer persischer Teppich wie in den guten alten Zeiten unter meinen Füßen.

Früher, als unsere Eltern noch befreundet waren, haben wir auf diesem Teppich immer mit unseren Polizeiautos gespielt.
Seine Gitarrensammlung steht noch an Ort und Stelle.
Rechts neben der Tür ist das schwarze Bücherregal, gefüllt mit all den Büchern, die seine Eltern ihm geschenkt haben, er aber nie gelesen hat.
Ich drehe mich um, versuche den schwarzhaarigen Jungen nicht böse anzufunkeln.

Doch vor mir steht ein Monster, das mir so viel angetan hat. Ich kann nicht anders, als ihn verbissen anzublicken.
"Ich wollte dich mal für mich alleine."
Langsam durchquert er den Raum.

Mein Blick huscht zur Tür. Sie ist verschlossen.
"Du hast gesagt, du willst reden", erinnere ich ihn an seinen Wortlaut.
Schmerz flammt in seinen Augen auf, aber ich bekomme kein bisschen Mitleid.
"James, wenn du nicht gleich den Mund aufmachst, bin ich wieder weg. Ich lechze nicht gerade nach deiner Gesellschaft."

Ich verschränke die Arme vor der Brust. Das Leder spannt über meinen Schultern.
Fast fühlt es sich an, als würden Hände versuchen, mich zurückzuhalten.
"Aber ... du bist mitgekommen."
Ich beiße auf meine Zunge. Es war eine verdammt schlechte Idee gewesen, hierherzukommen.

Ja. Ich bin mitgekommen, weil ich ihn vermisse und tief in mir drinnen doch die verdammte, naive Träumerin bin.
Meine Stille scheint er als Aufforderung zum Weitersprechen zu interpretieren.
"Ich finde, Ophelia und James sollten sich langsam wieder vereinen, meinst du nicht auch?", fragt er leise.

"Spinnst du?"
Heiße Wut schießt durch meine Adern.
"Nach allem, was passiert ist, besitzt du die Frechheit, sowas zu äußern?"
Ungläubig sehe ich ihn an. Meine Finger krallen sich in meine Oberarme.

Ich möchte ihm am liebsten die Augen auskratzen.
"Ich versuche wirklich tagtäglich meinen Frieden mit der Sache zu schließen und das Geschehene als geschehen abzustempeln. Aber ... ich kann dir trotzdem nie verzeihen."
Meine Stimme wird leiser, schwächer.

"Du hast mir einfach zu viel genommen."
Ich schaue zu Boden, seine Schuhe erscheinen in meinem Blickfeld.
"Schade", ist alles, was er dazu zu sagen hat.
Ein verschmitztes Lächeln huscht über seine Lippen.

"Weißt du, was ich mir manchmal gerne vorstelle?", fragt er und kommt noch näher.
"Was?"
Ich lege meine Hände auf seine Brust, halte ihn auf Abstand und versuche ihn entschieden wegzuschieben.

"Das es uns in einem Paralleluniversum gibt und das dort alles noch so wie früher ist. So wie vor ..."
Ich blicke in seine schmalen Augen, suche nach Ironie, einem Witz. Doch er scheint sich nicht über mich lustig zu machen.
"So etwas wie ein Paralleluniversum gibt es aber nicht", spucke ich ihm ins Gesicht.

Ich stoße ihm vor die Brust und machen einen schnellen Schritt zur Seite.
An der Tür angekommen, atme ich einmal tief durch.
Ich schaue mich nicht um.

Ich lasse James, meinen ehemaligen besten Freund, einfach in seinem Zimmer zurück und hoffe, dass ich irgendwann all die unliebsamen Erinnerungen auf gleiche Weise zurücklassen kann, wie diesen Jungen mit den eisblauen Augen in diesem Zimmer voller Gitarren.

Vom Fuße der Treppe aus entdecke ich AJ und Jess lachend in der Mitte des Wohnzimmers.
Sie haben hier wirklich Spaß. Und ich fühle mich wie eine Aussätzige.
Ertappt reiße ich meinen Blick los, wische mir die heißen Tränen aus dem Gesicht und verlasse die Party.

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Song: You Don't Own Me - Grace

Hi friends :)

Das Wetter will uns doch echt verarschen! Ich bin heute morgen aufgewacht und vor meinem Fenster war alles weiß!

Ich. Will. Sommer. :/

Wie geht es euch? Wie war euer Tag? <3

Ich werde jetzt weiter Poetry lesen und danach noch schreiben/überarbeiten :)

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now