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Jaces Gesicht sieht so unglaublich friedlich aus. Das Mondlicht, das zum Fenster hereinfällt, erhellt seine glatte Haut und lässt sie fast unnatürlich ebenmäßig erscheinen.
Ich habe bis eben den Wolken am Himmel dabei zugesehen, wie sie an uns vorbeiziehen. Einige von ihnen wirken blau, angestrahlt von einem Scheinwerfer.

Mein rechter Arm beginnt bereits zu prickeln, aber das ist mir egal. Er muss mein Gewicht noch eine Weile tragen, ich kann mich noch nicht von Jaces Anblick abwenden.
Ich streiche mir die langen Haare auf eine Seite meines Nackens und lege meinen Kopf schief.

Das dünne Bettlaken, das meinen Körper einhüllt, fühlt sich angenehm kühl und frisch an. Jace hat seins fast vollständig von sich gestrampelt. Sein Oberkörper ist entblößt und die Schatten seiner Bauchmuskeln bewegen sich mit jedem seiner tiefen Atemzüge.
Man würde nicht vermuten, dass dieses Monster in ihm schlummert. Er sieht so vollkommen aus und nicht todkrank.

Bei diesem Gedanken sammeln sich kristallklare Tränen in meinen Augenwinkeln. Aus dem rechten fallen sie auch tatsächlich auf das weiße Laken herab.
Ich wünschte, ich könnte die Krankheit aus ihm heraussaugen und ihn heilen.
Meine Finger gleiten durch sein leicht verschwitztes Haar. Ich spüre seine Kopfhaut, die feinen Knoten am Ende einer Locke.

Seine Lippen stehen leicht offen.
Das Mondlicht lässt diesen Jungen fast aussehen wie einen Heiligen. Er leuchtet. Fast so hell und strahlend, wie das Leuchten, das er vor nicht allzu langer Zeit in mir entfacht hat.
Meine Lippen pressen sich auf seine zarte, warme Haut.

"Ich liebe dich", flüstere ich in die Nacht.
Vielleicht kann er mich ja in seinem Schlaf hören. Vielleicht kann er es akzeptieren, dass hier draußen in der realen Welt jemand auf ihn wartet, der bedingungslos alles für ihn tun würde.
Eine Wolke muss sich vor den Mond geschoben haben, das Zimmer verdunkelt sich.
Als wir nach unserem Spaziergang ins Bett gefallen sind, haben wir es nicht geschafft, die Vorhänge zuzuziehen.

Ich hätte Jace gerne auf mir gespürt, ich hätte ihn gerne geliebt, aber er war zu müde. Und so haben wir geschlafen, in den Armen des anderen.
Mein letzter Mittagsschlaf muss zu Grundschulzeiten gewesen sein. Es ist komisch darüber nachzudenken, wie viel Zeit meines Lebens schon vergangen ist und dass ich jetzt hier neben diesem jungen Mann liege, der mir vier Jahre voraus ist.

Eigentlich wollte ich nicht einschlafen, als wir uns auf die Laken gelegt haben. Doch die warmen Sonnenstrahlen auf meinem Bauch und meiner Nasenspitze haben mich schläfrig werden lassen, so schläfrig, dass ich meine Atmung an Jaces angepasst habe.
In der Luft liegt immer noch der Geruch von geschmolzener Butter und Käse von den Broten, die ich für uns zum Abendessen gemacht habe.

Jace und ich redeten über irgendwas. Alles, was uns einfiel.
Meine Liebe für das Meer und seinem Traum von einer Europareise.
Ich werde alles dafür tun, dass dieser Junge einen Rucksack packen und sich in ein Flugzeug setzen kann, um über den Atlantik zu fliegen.

Ich wickle eine braune Locke um meinen Finger. Er soll nicht nur von solchen Dingen träumen.
Sein irgendwas darf nicht nur in der Vergangenheit oder seinem Kopf existieren.
Ich fahre sein ausgeprägtes Lippenherz mit den Augen nach.
Er ist so schön.

Das kühle Mondlicht erobert zuerst den Fußboden unter dem Fenster zurück, dann Stück für Stück das Bett und unsere Körper.
Jaces Brust hebt und senkt sich. Sein Körper tut das, was er tun soll.
Ich ziehe meine Hand zurück, mache keine schnelle Bewegung, aus Angst ihn zu wecken.

So will ich jede Nach daliegen. Neben ihm. Ihm beim Schlafen zu sehen. Ihn bewachen und aufpassen, dass seine Lungen nicht aufgeben.
Ich wende meinen Blick zum Fenster.
Die weißen Vorhänge an beiden Seiten des Fensters bauschen sich in der leichten Brise der Sommernacht auf. Fast wie zwei tanzende Frauen, die sich im Mondlicht wiegen.

Jace mit seiner ebenmäßigen Haut könnte sich zu ihnen gesellen.
Dieser Gedanke treibt mir ein Schmunzeln auf die Lippen.
Jace tanzend.
Ich würde alles dafür geben, um das einmal zu sehen.

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Song: Roslyn - Bon Iver & St. Vincent (this song rips my heart out, in the best way possible)

Hi, it's Lisa from the past :)

Die ersten 200 Wörter dieses Kapitels sind ohne Witz 2 Jahre alt. Ich habe sie geschrieben, als sich die grobe Idee von Ophelia & Jace in meinem Kopf geformt hat :)

Bis Samstag! <3

All my Love,

Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now