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Lange Zeit in einem Krankenhaus zuzubringen, macht einen mürbe.
Ich habe die letzte Nacht neben Jace auf dieser viel zu dünnen, unbequemen Matratze verbracht, kein Wunder, dass er über Rückenschmerzen klagt. Aber er kann nicht mehr lange auf den Beinen sein, schafft es gerade noch, den Flur vor den Krankenzimmern zwei- bis dreimal auf und ab zu laufen.

Das alles ging so schnell.
Am Mittwoch konnte er noch die Treppen zur Wohnung hochlaufen. Aber ging es wirklich schnell?
Am Mittwoch musste er nach den ersten zehn Stufen stehen bleiben und nach Luft ringen.
Ich habe die Augen vor der Realität nicht verschlossen, aber ich habe sie mir schön geredet. Solange er noch die Treppe laufen konnte, war alles in Ordnung und wir würden auch den nächsten Tag gemeinsam meistern.

Ihn jetzt hier vor mir liegen zu sehen, fügt sich nicht Nahtlos in meine Wahrnehmung ein.
"Was guckst du denn so?", fragt Jace.
Im Moment sind wir die einzigen im Raum. Seine Mutter und Schwester sind vor einer Stunde zum Bungalow gefahren.
Jaces Stimme zur Abwechslung mal wieder deutlich und klar zu hören, ist eine Wohltat. Die Beatmungsmaske hat er vor einiger Zeit neben das Bett gehangen.

Mein Magen knurrt. Ich habe heute Morgen nur ein Käsebrötchen gegessen.
"Ich hätte dich nicht alleine lassen dürfen", sage ich gedämpft.
Jace schüttelt entnervt den Kopf.
"Ich will es nicht mehr hören, ernsthaft."

Seine Augen bohren sich in meine. Er kann sie wieder richtig öffnen und befindet sich nicht mehr in dem Dämmerschlaf von den Medikamenten wie am gestrigen Tag.
Ihre Farbe wirkt in dem künstlichen Licht der Neonröhre über uns allerdings getrübt.
"Du darfst dir keine Vorwürfe machen. Ich habe eine Entscheidung getroffen. In der Wohnung war es einfach nicht mehr sicher."

"Das sagst du jetzt bloß für mich. Deine Sicherheit ist dir doch völlig egal, du wolltest nie im Krankenhaus landen, an diesen ... diesen Maschinen."
Ich blicke auf den Bildschirm rechts neben dem Bett, der Jaces Herzschlag zeigt. Ein grüner Graph, der allen Anwesenden im Raum mitteilt, dass der Patient noch am Leben ist.

"Du wolltest nur keine Belastung mehr für mich sein und mir die Verantwortung abnehmen", fahre ich fort, als ich wieder in sein Gesicht blicke.
Seine Locken sind am Hinterkopf ganz platt gelegen und die kühle Farbe des Krankenhaushemdes lässt ihn noch blasser aussehen.

Er schaut mich offen an, verbirgt die Wahrheit nicht hinter seinen Augen.
"Ja, das stimmt, aber ich hatte früher auch gar nicht erst vor, je wieder in einem Haus zu wohnen. Du hast eben einiges geändert, O."
Ich wende den Blick ab.

"Jetzt fühle ich mich noch schlechter", bringe ich verlegen hervor.
"Tust du nicht", neckt er mich.
Im selben Moment geht die Tür auf und Margret und Isabell kommen ins Zimmer gefolgt von einem Arzt mit einem Klemmbrett in der Hand.

Isabell geht stumm zu ihrem Stammplatz am Fenster und Maggy setzt sich mit einem verhaltenen Lächeln an den runden Tisch, der davor steht. Ich bin den beiden wirklich dankbar, dass sie uns ab und an Zeit zu zweit lassen.
Der Mann kommt mit einem Zahnpastawerbelächeln auf uns zu, nachdem er die Tür mit behutsamer Krafteinwirkung geschlossen hat.

"Wie fühlen Sie sich heute, Mr. Brighton?", fragt er.
Jaces Grinsen von eben ist wie aus seinem Gesicht gewischt.
Ich überlege nach seiner Hand zu greifen, entscheide mich aber dagegen. Das hier ist nicht der richtige Moment zum Händchenhalten.

"Ich glaube, unter den gegebenen Umständen, können Sie mich ruhig beim Vornamen nennen", gibt er gefasst von sich.
"Gut, Jace", setzt der Mitte Dreißigjährige an, ohne noch einmal auf sein Klemmbrett schauen zu müssen, "Wie geht es dir heute?"

"Gut."
"Geht das etwas genauer?"
Wieder ein breites Lächeln.
"Mein Rücken tut weh, ich würde mir gerne den Fuß kratzen, aber ich komme nicht dran, weil bei dem Ding hier die Bremsen angezogen sind."
Demonstrativ ruckt er an seinem Tropf.

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now