36.

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"Kommst du heute Abend auch?"
Jess streicht sich feine Strähnen, die sich aus ihrem Dutt gelöst haben, hinter die Ohren.
Fragende blaue Augen sehen mich an.
Ich lege meine Gabel beiseite, mit der ich bis eben lustlos in meiner Pasta herumgestochert habe, anstatt zu essen.

Ich hebe die Augenbrauen.
"Carlos Party?", beantwortet die Rothaarige meine stumme Frage, nach dem Anliegen.
Ich schaue sie ungläubig an.

"Jess, dein Ernst? Dieser Junge hasst mich, seitdem wir uns praktisch das erste Mal begegnet sind. Das beruht übrigens auf Gegenseitigkeit", grummele ich und schiebe nun doch eine Nudel in meinem Mund, um nicht mehr reden zu müssen.
Zumal ich diesen Freitagabend mit lernen verbringen wollte; einer Tätigkeit, die ich unter der Woche habe schleifen lassen.

Doch Jess rutscht näher zu mir.
Ihr Oberschenkel streift meinen und sie legt einen Arm um meine verspannten Schultern.
"Dann komm eben einfach zu mir. Wir könnten deine Lieblingsserie gucken, die mit dem heißen Hexenmeister."
Sie legt den Kopf schief und ich schenke ihr ein ehrliches Lächeln.

"Warum nicht. Aber", ich hebe meine Gabel, "keine Partys mehr!"
"Was ich nicht alles für dich tue", seufzt sie und drückt mir einen nach Erdbeer riechenden Kuss auf die Wange.
Ein Mädchen, das buchstäblich an AJs Lippen hängt, schaut zu mir herüber und kichert.

An unserem Tisch in der Cafeteria sitzen andauernd andere Menschen. Ich kenne die meisten nur vom Sehen und in den letzten Wochen hat mein Interesse an ihnen noch mal drastisch abgenommen.
"Du kannst auch zu mir kommen, wenn du willst. Ich habe das Wochenende über sturmfrei. Dad ist bis Sonntag auf einer Geschäftsreise. "

"Klingt verlockend. Ihr habt den besseren Fernseher! Da kann ich jeden Muskel vom Hexenmeister bewundern."
Wenn sie das so sagt, erweckt sie den Eindruck, dass mehr Haut gezeigt wird, als es in Wirklichkeit der Fall ist. Ich strecke mich - so gut es geht, darauf bedacht dabei niemandem an den Kopf zu hauen - und versuche meinen schmerzenden Nacken zu entspannen.
Gestern Nacht habe ich kaum ein Auge zugemacht.

"Hey", sagt Jessica nun leiser und senkt ihr Kinn fast so tief wie ihre Stimme.
"Ich mache mir nur Sorgen um dich. Ich bin deine Freundin - deine Beste verdammt. Ich sehe doch das etwas nicht stimmt."
"Es ist Ben", antworte ich schnell.

Es ist die halbe Wahrheit oder nur noch ein Viertel.
Ich wünschte, ich könnte zu einhundert Prozent anwesend und eine gute Freundin sein.
Aber wenn ich unser Essen auf den Porzellantellern sehe, denke ich an Menschen, die auf der Straße um ein paar Dollar betteln, damit die sich ein Sandwich kaufen können.

Wenn ich mir die Haare wasche, frage ich mich, wo Jace sich wäscht, wo er die nötigen Hygieneartikel herbekommt.
Wenn ich Jess auf ihre zahlreichen Nachrichten antworten will, erstarren meine Finger über dem Display.
Ich sehe nur Jaces Finger, die seine Nummer eingeben.

Und ich sitze ewige Minuten lang da, starre auf seinen Namen, der sich immer schärfer von dem weißen Hintergrund abhebt und debattiere mit mir selbst, ob ich ihm schreiben oder ihn anrufen oder ihn in Ruhe lassen soll.

AJs Schatten fällt über mich.
Sein Gesicht ist angespannt. Die Frage, was mit ihm los ist, liegt mir schon auf der Zunge, da zieht er meinen Teller zu sich.
"Das kann man ja nicht mit ansehen. Das schöne Essen."

Kopfschüttelnd rollt er mindestens fünf Nudeln auf und kaut kurz darauf genüsslich.
Ich lege den Kopf zur Seite und beobachte meine Freunde.
Ich vermisse sie. Auf eine merkwürdige Art und Weise. Ich bin hier, aber ich habe mich verändert und sie haben es noch nicht bemerkt.

Sie wissen noch nicht, dass ich gerade dabei bin, mich wirklich zu wandeln, meine Einstellungen zu überdenken.
"Was, wenn ich jetzt verhungere?", frage ich an AJ.
Ungerührt schiebt er sich die nächste Gabel in den Mund.

"Das glaube ich nicht."
Jess und ich lachen auf, als ein Stück Nudel zurück auf den Teller fällt.
"Beim Essen redet man nicht", tadelt Jess ihn mit verstellter Stimme und streckt ihm danach die Zunge raus.

Ich halte mir die Hand vor den Mund.
AJ droht, mit Essen um sich zu werfen. Ich höre nur noch mit halbem Ohr zu.
Unter dem Tisch leuchtet mich Jaces Name an.
Soll ich Jace Brighton eine Nachricht schreiben?

Ich gehe weiter, als an den Tagen zuvor.
Ich tippe auf unseren leeren Chat.
Was soll ich schreiben?
'Hi'?
'Ich langweile mich'?

'Ich vermisse dich.'?
Die ersten drei Buchstaben erscheinen. Danach schwebt mein Daumen nutzlos in der Luft.
"Erde an die Träumerin!"
AJ wedelt mit der Hand vor meinem Gesicht.

"Was?"
"Was machst du da?"
Sein - mein - Teller ist leer und er schaut auf meine Hände unter dem Tisch.
"Nichts."

Er verdreht die Augen und steht auf.
Seine ausgebeulte Jeans sieht aus, als hätte sie seit Wochen keine Waschmaschine von innen gesehen.
"Wir sehen uns, Träumerin."
Ich hebe die Hand. Mit der anderen sperre ich mein Handy und stecke es in meine Hosentasche.

"Wann hast du heute Schluss?", fragt meine Freundin.
Sie lehnt sich einmal zur Seite und fischt ein neues Kaugummi aus ihrer Tasche.
Dankend lehne ich ein pinkfarbenes ab.
"Gleich. Nur noch eine Stunde Management", entgegne ich.

"Unfair."
Sie schiebt ihre Unterlippe vor.
Ich will sie gerade aufmuntern, da vibriert mein Handy.
'Ich?'

Verdammt!
Ich muss die Nachricht versehentlich abgesendet haben!
Panisch blicke ich auf, aber Jess ist gerade dabei Fotos von einem blonden Mädchen, das neben ihr sitzt, zu inspizieren.

'... wollte fragen, wie es dir geht.'
Ich sende die Nachricht, bevor ich lange darüber nachdenken kann.
Jace schreibt. Er schreibt. Er hört auf.
Ich starre auf den Bildschirm und kaue an meinem Nagel herum.

'Gut.'
Da weiß ich, dass er mehr geschrieben hat. Nur hat er es wieder gelöscht.
'Und jetzt die Wahrheit bitte.'
Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen.

Wenn er nicht vor mir steht und mich mit seinen wissenden Blicken einschüchtern kann, kann ich auch mal die dominante, selbstsichere Rolle einnehmen.
'Die Wahrheit ist nur eine schöne Lüge.'
'Spar dir das für einen Poesieband. Wie geht es dir?'

Manchmal regen mich seine Glückskeks-Sprüche auf.
'Wann bist du am Bahnhof?', antwortet Jace stattdessen.
'In eineinhalb Stunden.'
'Okay.'

Mein Spiegelbild blickt mir entgegen, als das kleine weiße Feld vor mir schwarz wird.
Selbst in der kleinen Reflektion kann ich meine roten Wangen sehen, ich kann sie spüren.
Ich beiße auf meine Lippe und stehe auf, schultere meine Tasche.
"Du haust schon ab?"

Jessicas vorwurfsvolle Worte treffen auf mein Trommelfell.
"Ja, ich will meine Notizen vor der Vorlesung noch einmal durchgehen", sage ich und lege ihr eine Hand auf den Rücken.
Sie ergreift diese und drückt einmal kurz zu.

"Okay. Bis dann."
Ich muss meine Notizen durchgehen, weil ich letzten Samstag unter einer Brücke stand, anstatt meine Lernzettel zu studieren, füge ich in Gedanken hinzu und gehe mit eiligen Schritten davon.

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Song: Weather - Novo Amor

Hello!

Gute Nachricht: Die Blumen sind angekommen & sie sind toll! Wenn ich es nicht vergesse, zeige ich euch morgen mal ein Bild :)

Der UPS-Fahrer guckt mich so an, geht die Treppe halb runter, sagt so "Wow". Und nein. Es war kein cuter Boy. Es war ein ca. 50-jähriger Mann. I cringed!

Anywayyss ... let's try to forget that and take it as a compliment xD

Ich freue mich schon 'den Samstag' für wahrscheinlich Kapi 38 zu schreiben ;P

Hoffe, bei euch scheint gerade die Sonne! Es ist einfach zu kalt für Mai! BAH. 

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now