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Jace drosselt den Wagen vor einem beigen Bungalow mit rotem Dach und Rhododendronbüschen.
"Sicher und ohne einen Kratzer im Lack angekommen", grinst er zu mir herüber und zeigt mir sein Grübchen.
Ich schlucke, kann meinen Blick nicht lange auf seinen Zügen halten, da der Flachbau meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Die gesamte Straße ist mit ausschließlich dieser Art Haustyp bebaut.
Einige sehen gepflegter, andere heruntergekommen aus.
"Hey, jetzt sei nicht so nervös."
Eine warme Hand umschließt meinen Nacken, dirigiert meinen Blick wieder zu der grünen Tiefsee, die mich sofort beruhigen kann.

Ich nehme einen tiefen Atemzug und nicke.
"Tut mir -"
Ich beiße auf meine Zunge und ernte ein noch breiteres Grinsen von Jace.
"Na, immerhin lernst du dazu", sagt er und öffnet die Wagentür. "Und jetzt komm, sie wird uns sicher schon gesehen haben."

Ich gebe mir zwei Sekunden der Isolation im Autoinneren. Jace gibt sie mir. Dann steige auch ich aus.
Die Luft ist warm und feucht, der Wind kaum spürbar.
Jace steht hinter meinem Mini und streckt mir die Hand entgegen. Dankbar ergreife ich sie. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich einmal so aufgeregt sein würde, die Mutter meines Freundes kennenzulernen.

Der gepflasterte Weg zum Haus ist an den Seiten von Unkraut und Moos eingenommen, aber das macht das Grundstück seltsam gemütlich.
Einige Steine sind gesprungen und ich konzentriere mich auf die Verläufe der Risse, um mein rasendes Herz zu beruhigen. Natürlich funktioniert das nicht.

Neben der Haustür steht eine riesige, halb verblühte Hortensie, ein rundes Schilf heißt uns Willkommen. Jace ist nervös, ich bemerke es an der Weise, wie er meine Hand umklammert und immer wieder tief durchatmet.
Brighton steht in handgeschrieben Buchstaben auf einem schmalen Zettel neben der Klingel, der mit Tesafilm befestig wurde.

Jace hat keine Sekunde gezögert, die Grenzen seines Zuhauses zu überschreiten. Die Art wie er über den schmalen Weg auf die braune Tür zuläuft, zeigt mir, wie oft er dies in seinem Leben getan hat.
Das alles hier kennt er in- und auswendig. Wahrscheinlich gibt es Geschichten, in denen er und seine Schwester Fangen spielen und sich einer von beiden auf diesen roten Steinen die Knie aufschlägt.

Er inspiziert die Fußmatte eine Sekunde zu lang, ich vermute also, dass sie neu ist.
In der unteren rechten Ecke sitzt eine schwarze Katze, die ihre kleinen Pfotenabdrücke über die gesamte restliche Matte verteilt hat.
Ich trete näher an Jaces Seite und stoße mit dem Kopf beinahe gegen einen Blumentopf, der an der Hauswand angebracht ist.

Durch seine langen Wimpern visiert er die Türklinke an, dann die Klingel. Ich habe keinen Herzschlag Zeit, da erklingt schon ein heller Glockenton.
"Sie wird dich lieben", haucht er an mein Ohr und drückt einen flüchtigen Kuss auf mein Haar.
Ich will es hoffen, denke ich und streiche meine Haare glatt.

Die Tür schwingt auf und das runde, braungebrannte Gesicht einer Mitte fünfzigjährigen Frau taucht auf. Sie sieht ganz genauso aus wie auf den Fotos in Jaces Brieftasche, nur dass sie über die Jahre mehr Lachfalten um die Augen bekommen hat und ihre Haare von einem bunten Tuch zurückgehalten werden.
Ihre Augen leuchten, als sie auf uns fallen, doch als sie Jace anblickt, scheint gar eine Leuchtpistole in ihnen gezündet worden zu sein.
"Jace!", stößt sie aus und fällt ihrem Sohn um den Hals.

Befangen stehe ich daneben und weiß nicht, ob ich zuschauen oder den Blick abwenden soll.
Letzten Endes kann ich den Blick nicht von ihnen wenden. Von außen ist es schwer zu sagen, wer wen am stärksten festhält, aber ich tippe auf Margret.
"Ich bin so froh, so froh dich wiederzusehen, Jacey."

Jacey?
Jacey schielt zu mir herüber, warnt mich im Stillen, diesen Namen nie in den Mund zunehmen.
Ich unterdrücke ein Kichern.
Margret reibt duzende Mal über seinen Rücken, bevor sie sich beinahe wehmütig von ihm löst. Diese Frau hat ihren Sohn gerade nach knapp fünf Jahren ohne ein Lebenszeichen zum ersten Mal wieder in den Armen gehalten.

"Wie rüpelhaft von mir", sagt sie an mich gewandt.
Keine Träne glitzert in ihren Augenwinkeln. Sie wirkt einfach nur unglaublich glücklich, sprüht gerade zu vor Lebensfreude.
"Man begrüßt den weiblichen Gast doch immer zuerst! Ich bin Margret."

Ich erwarte ein Händeschütteln, stattdessen werde ich fast genauso herzlich in ihre Arme geschlossen wie Jace. Dieser grinst mich über die Schulter seiner Mutter an.
"Nenn mich Maggy, wenn du magst", bietet sie an, als wir uns wieder in die Augen sehen.
Ihre haben wirklich eine außergewöhnliche Farbe. Sie sind so grün wie der Wald im Frühling und so intensiv wie geschliffene Saphire.

"Ich freue mich wahnsinnig, dich kennenzulernen. Mein Name ist Ophelia."
"Aber das weiß ich doch. Und jetzt kommt rein, ihr beiden. Ich habe uns schon einen Kaffee aufgesetzt."
Stirnrunzelnd sehe ich Jace an. Ich dachte, sie wusste nicht, wann wir kommen?
Er zuckt mit den Schultern und legt einen Arm um meine Taille.

Der Geruch von Kräutern und Kaffee schlägt mir entgegen, mischt sich zu einem angenehmen Duft und lässt einen Großteil meiner Anspannung von mir abfallen.
"Du hast eine Katze?", rufe ich begeistert aus, als das schwarz-weiße Tier um eine Flur Ecke linst.
"Ja. Jasper."

Margret dreht sich zu Jasper um und Zärtlichkeit erfüllt ihre Stimme.
"Er ist mir vor vier Jahren zugelaufen. Welch Ironie, oder?"
Es ist seltsam, aber da ist kein nachtragender Unterton oder Vorwurf, der sich hinter diesen Worten verbirgt.

Margret hat nur Augen für ihren Sohn, es wirkt beinahe so, als würde sie von innen strahlen.
Ich lasse Jace den Vortritt, die beiden gehen in die Küche und ich höre, wie Jace etwas über seine Schwester fragt.
Ich versuche Jasper anzulocken, doch nach einem skeptischen Blick dreht er sich um und läuft in den hinteren Teil des Hauses.

Als ich die kleine Einbauküche betrete, erhasche ich einen besseren Blick auf Margret.
Ein silberner Armreif erregt meine Aufmerksamkeit.
Sie trägt eine weite Stoffhose, die zu ihrem lilafarbenen Oberteil und dem gleichfarbigen Tuch in ihren Haaren passt.
Graue Strähnen durchziehen ihre pechschwarzen Haare und geben ihr etwas Weises.

Ihr Lächeln wird noch breiter, wenn das überhaupt noch möglich ist, während ich näher komme.
"Ich bin ein totaler Fan von deinen Pflanzen", sage ich, weil es das Erste und Einzige ist, was mir in den Sinn kommt.
Margret lacht und reicht mir eine blaue Tasse. Ich sehe, dass ihre bereits einen angeschlagenen Rand hat.

"Danke, die Dinger machen eine Menge Arbeit, aber so habe ich wenigstens immer etwas zu tun."
Sie sieht mich einen Augenblick mit ihren durchdringenden grünen Augen an.
"Ich danke dir", sagt sie andächtig.
Mir ist bewusst, dass wir nicht mehr über die Pflanzen neben der Spüle reden. Also nicke ich verlegen.

"Ich will gar nicht sentimental werden, wollen wir rausgehen? Hier drinnen ist es schrecklich stickig. Jace, holst du noch die Kekse?"
Ich werde aufgefordert, Maggy zu folgen und werfe Jace noch einen schnellen Blick über die Schulter zu.

Er hat einen Schrank geöffnet und eine geblümte Dose herausgezogen. Alles steht also noch an Ort und Stelle, alles hat auf seine Wiederkunft gewartet.
Mit einem Lächeln auf den Lippen folge ich seiner Mutter in den kleinen Garten.

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Song: The Reason - Hoobastank

Hello my loves, a happy chapter today! yay ^^
Ich kann nicht versprechen, dass morgen ein Kapi kommt, nur damit ihr Bescheid wisst, falls nix kommt.
Hab morgen nen Termin and idk how busy things will get...

Funfact zum Song: Ich habe fast vergessen, dass es ihn gibt & als er im Radio kam, wusste ich einfach, dass ist der nächste Kapi-Song, er ist einfach perfekt :)

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt