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"Dann erkläre es mir." 
"Was genau?", fragt er langsam, ich kann seine Zunge beim Formen der Worte beobachten.
"Alles", flüstere ich.

Entgeistert blickt mich der junge Mann zwischen seinen nassen Locken hindurch an.
Meine Worte wiegen schwer zwischen uns.
"Ich glaube, dass kann ich nicht", sagt er dann.
"Das glaube ich nicht. Du willst es vielleicht nicht, aber du könntest."

Ich versuche, gleichmäßig zu atmen und Jace dabei einfach nur in die Augen zu schauen, aber mein Blick landet auf seinem Hals, seinem Adamsapfel, der aus seiner dünnen Haut hervortritt, als er schluckt.
Ich betrachte erneut seine Schultern, den schwarzen Stoff, der ein Tattoo vor mir verbirgt.

Meine Augen huschen so lange über seinen Oberkörper, bis ich bei seinen Händen ankomme, die entspannt vor seiner Körpermitte verschränkt sind.
Der Verband an seinem Handgelenk ist trocken.
Verwundert ziehe ich die Augenbrauen zusammen.

"Ich habe ihn vorher abgelegt", murmelt Jace.
"Oh."
Mein Mund bleibt offen stehen, als ich wieder zu ihm aufblicke.
Er hat den Kopf schief gelegt und betrachtet mich mindestens genauso eingehen, wie ich ihn.

"Willst du noch was essen?", kommt es über meine Lippen.
Ich hoffe inständig, dass er Ja sagt.
"Nein."
Das enttäuschte Seufzen kann ich nicht unterdrücken.

"Wann hast du zuletzt etwas Richtiges gegessen?"
Ich verschränke die Arme vor der Brust.
"Heute Nachmittag."
Ich hebe fragend die Augenbrauen. Ist das so Jace Brighton?

"Ja", grinst er - so gut das eben mit einer aufgeplatzten Lippe geht. "Es gibt nämlich sowas wie die Armenfürsorge. Und wenn man sich gut anstellt, bekommt man ein Teller mit warmem Essen. Außerdem habe ich deine Freundlichkeit schon zu sehr ausgenutzt - keine Widerrede."
Bei den letzten beiden Worten hebt er den Finger und zwingt damit erfolgreich meine Worte zurück in meinen Hals.

"Ich danke dir, Ophelia. So etwas Hilfsbereites hat noch nie jemand für mich getan", fährt er anschließend fort. Dieses Mal ist seine Stimme leiser und weicher.
"Wenn du es zu lassen würdest, dass Menschen dir helfen, dann hättest du diese Erfahrung vielleicht schon früher machen können", antworte ich.
Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.

Doch Jace nimmt meiner Bissigkeit allen Wind aus den Segeln, als er sagt: "Dann bin ich froh, dass ich es zuvor nicht zugelassen habe und so diese Erfahrung mit dir machen konnte."
Ich erstarre.
Dann wende ich verlegen den Blick ab und betrachte seine Füße.

Wenn ich nur einen kleinen Schritt nach vorne mache, würden wir uns berühren.
So als würde er meine Gedanken lesen, unterbricht er die vor Intensität surrende Situation und spricht die alles vernichtenden Worte aus.
"Ich sollte gehen."

Meine Augen schnellen zu seinem Gesicht, dessen Wangenknochen danke der Faustschläge optisch noch weiter hervorstechen als sonst.
"Du musst nicht, also ..."
"Doch."

Er senkt den Kopf und schaut mir damit noch tiefer in die Augen, als ich es bis dahin für möglich gehalten habe.
"Dein Bruder könnte jeden Moment diese Tür da aufmachen. Ich sehe doch deine panischen Blicke", sagt er leise und deutet hinter sich zur verschlossenen Tür.

"Es ist okay", fügt er dann noch hinzu und ich weiß nicht genau, was er damit meint.
Ist es okay, dass ich ihn wieder alleine in die Nacht gehen lasse - mit diesen Verletzungen?
Ist es okay, dass ich Angst davor habe, dass Ben uns sehen könnte?
Ist es okay, dass ich ihn nicht gehen lassen will, es mich aber nicht traue dies auszusprechen?

Der Raum dreht sich vor meinen Augen und ich kann nichts Sinnvolles über meine Lippen bringe.
Also geht Jace. Er wendet sich ab und öffnet leise und beinahe wie in Zeitlupe die Zimmertür.
Mein Mund teilt sich zu einem stummen Protest.

Ich kann nicht mehr tun, als ihm bei der Treppe zu helfen und aufzupassen, dass wenn er seine demolierte Hüfte belastet, nicht zur Seite kippt.
Unten vor der Haustür lege ich meine Hand an seinen Oberarm.
Langsam dreht sich Jace zu mir zurück.

"Was wenn sowas noch mal passiert?", frage ich leise, besorgt.
"Das lässt sich nicht ausschließen. Aber ich werde okay sein", fügt er hinzu.
Ich schlucke hart.
Für einen kurzen Moment nehmen mich seine Augen gefangen und schalten alle Muskeln in meinem Körper aus.

"Wenn so etwas wieder passiert ... Komm bitte wieder hierher - oder geh in ein verdammtes Krankenhaus. Und ich würde mit deiner Schläfe aufpassen, es kann sein, dass die Wunde wieder aufgeht. Ich glaube, sie hätte genäht werden müssen."
Verlegen blicke ich auf meine Finger, versuche mich wieder zufassen.

"Und versuch dir Eis zu besorgen. Kannst du das?"
Ich sehe auf, nur um Jaces amüsierte Augen auf mir zu finden.
Wie kann er so verletzt und elend aussehen und gleichzeitig dieses neckische Leuchten in den Augen haben?

Es ist nicht mal zwei Stunden her, dass ich ihn durch die Eingangshalle schleifen musste.
Ich habe das Gefühl, dass er Schmerzen sehr viel besser wegstecken und verstecken kann, als die meisten Menschen.
Vielleicht liegt es am Leben auf der Straße.

Ich betrachte seine bandagierte Hand, als er sie hebt und mir kurz an die heiße Wange legt.
"Danke. Schlaf gut, Ophelia."
"Du ... auch."
Ich lächle zu ihm hoch, unfähig etwas anderes zu tun.

Sein warmer Atem streicht mein Gesicht und ich bekomme eine Gänsehaut.
Ich kann sehen, wie sich seine Pupillen im Takt seines Herzens weiten und zusammenziehen. Würde ich nur ein kleines Stückchen näher an ihn herantreten, würde ich es vielleicht sogar schlagen hören.

Mir fällt ein leichter Gelbton in seinem linken Auge auf.
Plötzlich senken sich seine Augenlider und versperren mir den Einblick.
Er schaut auf meine Lippen.
Die Gänsehaut, die sich über meine Arme und Beine ausbreite, fühlt sich an wie ein Eisregen, der versuchen will, mich abzukühlen.

Jace fast an das kleine Pflaster an seiner Schläfe und dreht sich dann zur Haustür, öffnet und schließt sie in hypnotisch ruhiger Weise.
Die Tür bewegte sich mit der Geschwindigkeit eines herabfallenden Herbstblattes.
Und dann war ich wieder allein.

Eine gefühlte Ewigkeit stehe ich mit den Armen um meinen Körper geschlungen in der Eingangshalle. Die Kälte der Fliesen unter mir kriecht in meine Beine, doch ich bemerke es kaum.
Er ist in die dunkle Nacht verschwunden, die nur von unserer Einfahrtsbeleuchtung erhellt wird.
Ich habe ihn gehen lassen.

Das Haus um mich herum hüllt mich in die altbekannte, surrende Stille.
Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Also bleibe ich noch ein bisschen länger vor der geschlossenen Haustür stehen und warte, dass es wieder klingelt, weil er es sich anders überlegt hat.
Weil er mich zum Abschied umarmen will.

Weil er -
Ich schüttele den Kopf und steige im Dunkeln die Treppe empor.

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Song: The Scientist - Coldplay

Annnnddd I'm baaaack! Woop!

Ich war fleißig für euch! 6 fertige Kapitel! Und wann habe ich 5 davon geschrieben? Richtig. Gestern. Weil ich ja so konsequent bin & mich immer an meinen Zeitplan halte. ha.ha.

Na ja, ich bin soweit echt zufrieden & ich hoffe, dass euch die kommenden Kapitel, Offenbarungen & Wendungen gefallen / schocken / emotional machen werden. hrhrhrr

Zurzeit mobbt mich ein Schuhschrank, der sich nicht wirklich zusammenbauen lässt, weil er instabil ist... i hate it uff

Hope u all are good & that u all had a few nice days :)

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now