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Es war in der letzten Sonntagnacht des Augusts, als ich mich im Dunkeln aus dem Bett schlich und an den vom Mondlicht erhellten Esstisch im Wohnzimmer setzte.
Vor mir auf dem glatten Holz Jaces Brieftasche mit den Fotos seiner Familie.
Ich konnte sie lange Zeit nicht öffnen, starrte einfach nur auf das abgenutzte Leder.

Doch nachdem ich die Fotos endlich hervorgezogen und die freundlichen, vertrauten Gesichter zum zweiten Mal in meinem Leben sah, wusste ich, dass ich etwas ändern muss.
Ich muss ihre Geschichte ändern.
Und genau dieser Gedanke geht mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf.

"Was machst du denn für ein Gesicht?", fragt Jace mit geschlossenen Augen, das makellose Gesicht zur Sonne gerichtet.
Ich sehe ihn an. Eine leichte Rötet ziert seine Wangenknochen, die Lippen zu einem seligen Lächeln erhoben, tiefe Augenringe stören das erhabene Bild.
Die letzten Tage waren hart.

Jace hat ganz plötzlich auf den Drogenentzug reagiert. Die unzähligen Artikel, die ich darüber gelesen, die Videos, die ich gesehen habe, konnten mich nicht auf seinen jähen Zusammenbruch vorbereiten.
Wir haben ein paar schlaflose Nächte hinter uns, in denen Jace entweder schlotternd auf der Couch lag oder sich ohne Unterlass übergeben hat.

"Ich denke gerade an ein paar Menschen, die ich ... vermisse", sage ich nachdenklich und lege eine Hand ins kühle Gras.
Und es stimmt. Irgendwie fehlen mir Jaces Mutter und seine Schwester. Auch, wenn ich sie in meinem ganzen Leben noch nie getroffen habe.
Ich kenne Jace und die Handvoll Geschichten, die er über die beiden Frauen mit mir geteilt hat. Und allein daraus kann ich schließen, dass sie in meinem Leben fehlen.

Aber es geht nicht um mein Leben. Es geht um das von Jace. Sie fehlen in seinem Leben.
Gerade die letzten Tage haben mir deutlich gezeigt, dass Jace und ich diesen Weg nicht allein gehen sollten.
Ich habe Todesängste durchlitten, wusste nicht, ob ich einen Krankenwagen rufen sollte. Ich war allein und wusste nicht, ob es das Ende war.

"Dann solltest du zu ihnen gehen", lautet die prägnante Antwort.
"Vielleicht sollte ich das ..."
Ich lehne mich wieder neben ihn gegen den Baumstamm der Eiche und blicke nach oben in die weit ausladende Baumkrone.
Ich bin ausgelaugt, dennoch irgendwie glücklich. Immerhin geht es Jace soweit gut, dass wir die Wohnung verlassen konnten. Wir können unter unserer Eiche sitzen und der Geräuschkulisse des Parks lauschen.

Er hat seine körperliche Abhängigkeit überwunden. Wie es um seine psychische steht, kann ich nicht beurteilen. Jace lässt mich einfach nicht in seinen Kopf blicken.
Ich weiß, dass er mir vorherige Entzugserscheinungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit und leichte Schwächeanfälle verheimlicht hat.
Ich betrachte sein Profil, die dunklen Bartstoppeln an seinem Kinn.

Mit einem Mal habe ich einen Knoten im Hals - nein, im ganzen Körper - und ein Schluchzen entweicht mir.
Jace schlägt die Augen auf, richtet sich auf, sieht mich mit diesem undurchdringlichen Blick an.
"Es tut mir leid."
Mein Atem geht stockend, ich versuche mich zu fangen und kann seinem Blick nicht standhalten. Ich fühle mich mit einem Mal schrecklich schuldig.

Jace legt einen Arm um mich und zieht mich an seine Brust, tätschelt meinen Rücken.
Er weiß, was los ist.
"Ich weiß, ich habe es dir versprochen, aber ich kann es nicht durchhalten. So oft ... wenn ich dich ansehe, muss ich daran denken ... Es tut mir leid."

Zu diesem Zeitpunkt hat sich auf seinem T-Shirt bereits ein kleiner, dunkler Fleck gebildet.
"Es muss dir nicht leid tun, O."
"Doch", widerspreche ich und wische hastig über meine heißen Wangen. "Ich habe dir gesagt, dass ich einfach so weitermachen werde, wie bisher. Und das schaffe ich nicht."

"Aber ich bin dir nicht böse", sagt er ruhig.
Doch alles, was ich gerade denken kann, ist, wie falsch das hier ist, wie falsch mein Verhalten ist.
Er hält mich gerade fest. Er gibt mir Halt, dabei sollte das doch meine Aufgabe sein. Er will normal sein, wir wollen das hier genießen und jetzt liege ich weinend in seinen Armen.

"Solltest du aber", murmele ich und schlucke meine Tränen.
"Es war aber nie ein wirkliches Versprechen, weil ich von Anfang an wusste, dass du es nicht halten kannst. Aber das ist okay, ich habe nie in dem Glauben gelebt, dass es sich irgendwie anders entwickeln würde. Das ist ein Kompromiss, den ich eingegangen bin."
Seine Finger streichen über meinen Arm und über meinen Kopf.

Diese Worte bedeuteten mir unglaublich viel, mehr als alles andere.
Ich weiß, was dieser Kompromiss ihm bedeutet, weiß, dass er ihn zuvor nicht bereit war einzugehen.
Ich bin sein unbedingter Kompromiss. All die Zeit hat er gewusst, dass ich ihm ins Gesicht gelogen und so getan habe, als wäre alles gut.

"In diesem Glauben musste ich dich lassen, denn das machst du für dich und das ist gut so", brummt seine Stimme neben meinem Ohr.
"Was?"
"Das Grübeln, das Trauern, obwohl ich neben dir sitze. Das machst du für dich. Nicht für mich."

Die Tränen, die gerade erfolgreich versiegt sind, brechen wieder aus mir hervor und rollen langsam zu meinem Mund.
Ein "Schhhh" ist alles, was ich höre.
"Es tut mir leid, Jace."
"Hör auf. Dadurch, dass du versuchst dich für irgendetwas zusammenzureißen, machst du es doch nur noch schlimmer."

Er hat recht. Und ich kann trotzdem nicht aufhören still und heimlich an seine Brust zu weinen. Ich habe mir das alles hier so anders vorgestellt. Ich wollte stärker sein und wieder wird mir in meinem Leben bewiesen, dass ich es nicht bin.
"Du bist eben nicht so gefühlskalt wie deine Eltern. Also versuche nicht so zu werden und Dinge zu verdrängen, nur weil du ihre Kälte mit Stärke verwechselst."
Seine Stimme kitzelt mein Ohr und ich drücke mein Gesicht fester an ihn.

Manchmal frage ich mich, ob ich einige Gedanken nicht doch einfach laut ausspreche, ohne es zu bemerken.
"Ich liebe dich, unendlich. Sonst hätte ich doch nicht einfach all meine Pläne an diesem einen Morgen am Bahnhof über den Haufen geworfen."

Jaces Lachen ist rau und ein wohliges Kribbeln breitet sich an meinem Hals aus, an den Stellen, wo sein Atem mich berührt.
"Aber ich habe das Gefühl, dass ich die ganze Zeit alles kaputt mache", gebe ich leise zu und kralle mich an ihm fest.

Wir liegen stumm unter dem Baum und genießen die Sommerwärme an unseren nackten Beinen.
Als meine Tränen endlich endgültig versiegt sind und ich Jace aus verquollenen Augen anblicke, muss ich beinahe lachen.
"So etwas hätte ich früher nie gemacht." Ich blicke mich um. "Weinen in der Öffentlichkeit? Wie peinlich."

Jace schüttelt den Kopf, dass seine Haare hin und herfliegen. Sein grüner Blick durchbohrt mich dabei.
Der Wind fängt sich hoch über uns zwischen den Blättern, es riecht nach gemähtem Gras und heißer Luft. Und nach Jace. Ich drücke meine Nase in den dunklen Stoff an seiner Schulter.

"Ich möchte deine Familie kennenlernen, Jace", sage ich nach einer Weile.
Ich lasse keinen Zweifel daran, dass ich dieses Mal nicht mehr klein beigeben werde. Der Junge neben mir kennt mich mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass ich es todernst meine.
Wahrscheinlich ist das der Grund, warum er schweigt.

"Ich habe sehr lange darüber nachgedacht und ich möchte sie wirklich kennenlernen. Ich weiß nicht, wie ich dich davon überzeugen kann ... Deswegen bitte ich dich einfach."
Ich tauche in seine Tiefsee ein und hoffe darin die Antwort zu finden, nach der ich suche.

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Song: Nowhere - Black Match

Hello and happy Saturday to y'all :)
In den letzten Tag was echt viel Arbeit im Garten, heute auch noch mal ...
Es ist eben (leider) Herbst. Aber ich freu mich ja auch ein bisschen über die kuschlige Jahreszeit. Wenn ich sie denn mal nutzen könnte & es mir ab und an mal gemütlich machen könnte... das wäre schön. Tja.

Ich bin gerade dabei meinen Style ein bisschen ... "umzugestalten".
Ich bin ein "warmer Frühlingstyp" & danach will ich zukünftig präziser Einkaufen und! endlich mal Outfits zusammenstellen xD
I wanna step up ma game, ya feel me?

Frage des Tages: Wen vermisst du?

Ich glaube, ich vermisse den Typen, den ich nie kennengelernt habe.

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now