o99. Eiskalter Hauch des Todes

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Plötzlich spürte ich eine Hand auf meinem Arm. Sie war warm und ich wusste augenblicklich, wem sie gehörte.

Obwohl ich böse gucken wollte, konnte ich nicht. Mir stand wahrscheinlich die pure Verzweiflung ins Gesicht geschrieben, als ich mich zu Thane umdrehte.

Sein Gesicht war vor Schmerzen verzerrt. Er war blass und verlor Blut und doch wirkte er in dieser unfassbaren Kälte wie derjenige, der am unversehrtesten war. Er schob mich zu Seite, legte Hand an den Rubin.

Ich starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Ich verstand ihn nicht und ich wollte ihn auch nicht verstehen. Aber eins wusste ich genau: Ich hasste ihn. Wegen ihm war alles gleich doppelt und dreifach aus dem Ruder gelaufen. Wegen ihm war Warrin tot. Er hätte es nie darauf anlegen dürfen. Ich würde ihn für immer hassen. Aber noch mehr würde ich ihn hassen, wenn er jetzt nichts tat.

Ein Zischen ertönte. Er stöhnte heftig und brachte sich weiterhin dazu, zu versuchen den Stein aus seiner Einlassung zu ziehen. Ich war schon so tief in meinem Zustand der Kälte, dass ich die Wärme nicht einmal wahrgenommen hatte.

Jeder seiner Muskeln spannte sich an. Er zog und zog, aber es passierte nichts. Die Verzweiflung in mir wuchs. Die Kälte wurde stärker.

Sofort drückte ich ihn weg. Ich wurde ungeduldiger. »Es ist deine schuld!«, gab ich zischend von mir und versuchte es selbst wieder.

»Nein, ist es nicht. Ich habe mich nur an den Deal gehalten«, erwiderte Thane brummend und drückte nun mich wieder weg.

Ich schnaubte auf. »Dein scheiß Deal, der Warrin das Leben gekostet hat!«, die letzten Worte brachte ich heiser hervor. Die Kälte in mir tobte heftiger auf.

Thane packte mich am Arm. Sein Kiefer spannte sich an und er unterdrückte die Schmerzen so gekonnt, dass ich erneut erschauderte. »Hör mir zu«, knurrte er, »Ich habe dir ganz genau gesagt, dass ich kein guter Mensch bin. Leb damit!«

Wut kroch in mir hoch. Siedend heiße Wut. Ich stieß seinen Arm weg und verpasste ihm einen Stoß. »Ich hab's verstanden!«, schrie ich ihn an, »Du bist ein Arsch und du wirst immer eins bleiben! Du brauchst es mir nicht immer unter die Nase zu reiben. Ich bin fertig mit dir!« 

Ich starrte ihn einen Moment noch an, dann wandte ich mich wieder dem Diamanten zu. Ich war so wütend, dass ich Thane am liebsten erwürgen wollte. So unfassbar sauer... so unfassbar traurig. Meine Gefühle stiegen ins Unermessliche und dann konnte ich mich vor Hass, Wut und Trauer nicht mehr beherrschen.

Alles schrie danach den Diamanten loszulassen, aber ich zerrte an ihm. So fest, dass meine Finger schmerzten. Dass sie aufgeben wollten.

Scharf zog ich die Luft ein, als ich bemerkte, dass ich mich nicht mehr von Ort und Stelle bewegen konnte. Erschrocken blickte ich an mir herab. Eis wandte sich um meine Beine und suchte genauso wie bei Reva den Weg nach oben.

Ich hatte nicht mehr viel Zeit. Fest presste ich die Zähne zusammen und brachte meine letzte Kraft auf. Ich würde freiwillig mein Leben dafür geben, nur noch diesen Diamanten aus seiner Einlassung zu kriegen.

Der Tod sollte so lange warten, bis ich es geschafft hatte. Nur einen Moment länger. Obwohl ich mir in meinem Leben schon so oft den Tod gewünscht hatte, wollte ich in dieser Sekunde nicht mehr, als nur einen klitzekleinen Moment länger leben. 

Kälte beherrschte meine Beine und meinen Brustkorb. Ich versuchte Luft in meinen Körper zu kriegen, aber sie schien meine Lungen nicht einmal mehr erreichen zu wollen. Verbittert hielt ich den Diamanten umklammert und sah nur noch Eiseskälte. Überall um mich herum. Alles war ein Sturm aus Schnee und Frost. Aus einer Kälte, die aus dem tiefsten Inneren meines kaputten Herzens kroch.

Verbittert presste ich die Lippen zusammen und weinte Tränen aus Eis. Ich wollte nicht, dass die Menschen da draußen starben. Ich wollte nicht, dass all die Opfer umsonst waren. Ich wollte nicht, dass Warrin für nichts gestorben war und das Böse mit seinem Plan durchkam...

Ich wollte das Gute sehen, daran glauben, es berühren. Genauso warm wie Mutter es mir in meinem Traum gezeigt hatte. Ich wollte Licht sehen, Hitze spüren. Ich wollte eine Sonne umarmen und mich in ihrer Wärme wiegen. Wissen, dass alles gut war. Wissen, dass niemand mehr sterben musste.

Mein Wunsch ging in dem Moment in Erfüllung, als meine Brust, meine Schultern, Arme und letztendlich meine Finger zu Eis gefroren. Das Eis war so kalt, dass selbst der Diamant keinen Widerstand halten konnte. Meine Kräfte waren in dem Moment kurz vor dem Tod so mächtig, dass sie ihn zum Zerbersten brachten. Noch in meinen Fingern fiel er wie Glas in Scherben. Das Leuchten erlosch. Die Splitter gruben sich in das Kabel, von dem Thane gesprochen hatte, und alle Lichter erloschen gleichzeitig.

Ich hatte es geschafft.

Mein Wunsch war erhört worden. Ich hatte mein Ziel erreicht. Ich spürte, wie mir das aufsteigende Eis die Kehle zuschnürte. Ich bekam keine Luft mehr, aber das war okay. Mit verschwommener Sicht blickte ich auf die zerstörte Maschine und wusste, dass es in Ordnung war. Ich hatte die Menschen da draußen vor noch mehr Toden bewahrt. Meine Aufgabe war erledigt.

Ein eiskalter Windhauch verließ meinen Mund. Dieses Mal fürchtete ich mich nicht vor dem Tod, sondern sah ihm entgegen. Ich hatte alles getan, was ich für diese Welt tun konnte und jetzt war meine Zeit vorbei.

Für einen Moment war es so, als würde mein Leben an mir vorbeilaufen. Ich hatte erkannt, dass ich schon immer geliebt wurde. Dass Liebe etwas Wunderbares war. Dass Warrin und ich ein Team gewesen waren. Dass ich ihn liebte. Dass er mich so sehr geliebt hatte, dass er sein Leben für mich gegeben hatte.

Ich hatte die Worte meiner Mutter erkannt. Ich wurde schon immer geliebt und genau an dieser Liebe sollten wir festhalten. Denn in einer Welt voller Zerstörung und rachsüchtiger Menschen war Liebe das Einzige, was uns zusammenhielt. Liebe war das Einzige, für das es sich lohnte zu kämpfen. Liebe war kostbar und wir mussten sie um jeden Preis wertschätzen. Auch wenn wir blind vor Verbitterung waren, da draußen gab es immer einen Menschen, der sich um einen sorgte. Auch wenn man es vielleicht nicht sah. Man wird immer geliebt. Jeder Einzelne von uns. Meine Augen schlossen sich.

Auch ich wurde geliebt. Ich atmete den letzten Atemzug. Schon immer.


Blazing HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt