o60. Halloween und eine Deadline

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Die nächsten Tage verbrachte ich ausschließlich in meinem Apartment. Immer, wenn jemand an meine Tür klopfte, tat ich so, als wäre ich nicht zu Hause. Hanson hatte es mehrere Male versucht. Genauso wie Caitlyn und Maisie. Den Akku meines Handys hatte ich rausgenommen. Niemand konnte mich anrufen.

Niemand außer Warrin. Meine Uhr war mein einziger Kontakt. Aber selbst Warrin schien mich nicht zu brauchen. Er war dabei wieder gesund zu werden und wenn etwas war, dann würde er mir schreiben. Das Police Department war direkt um die Ecke. Von der Kanzlei aus hatte er es perfekt im Blick. Falls Reva oder Thane also aufkreuzen sollten, merkte er es.

Andere Verbrechen schienen sich in der Zeit nicht abzuspielen. Ich spürte nichts. Vielleicht lag das daran, dass alle von Halloween abgelenkt wurden. Ich blickte aus dem Fenster und sah, wie die ersten Kinder loszogen, um sich auf Süßigkeitenjagd zu begeben.

Dann wanderte mein Blick zu meinem Kalender. Heute war der 31. Oktober. Um Mitternacht war die Frist für meine Designs vorbei. Dann wäre der Traum, aus dem sowieso nie etwas geworden wäre, geplatzt.

Ich seufzte auf und machte mir einen Tee. Mir war so kalt, dass ich als Leiche durchgehen könnte. Ich hatte das Gefühl, dass die Temperatur in den letzten Tagen gesunken war. Außerdem fühlte ich mich nicht so besonders. War das eine Art von umgekehrtem Fieber? Ich tippte auf ja, wenn ich daran dachte, dass ich letzten Montag ohne Schuhe aus dem Haus geflüchtet war. Das war nicht besonders klug gewesen.

Es klingelte an der Tür.

Ich setzte meinen Tee ab und blickte durch den Spion. Drei kleine Spukgestalten standen draußen vor der Tür und warteten auf Süßigkeiten. Ich wandte mich ab und ging in die Küche, um nach etwas Essbarem zu schauen. Sonst hatten Dad und ich immer etwas im Haus gehabt, aber seit seinem Tod war mir die Freude an Halloween vergangen. Diesen Tag hatten wir immer besonders gefeiert, aber ohne ihn war es nicht mehr, was es mal war.

Ich fand in der letzten Schublade eine Packung Bonbons. Ich warf einen Blick auf das Haltbarkeitsdatum. Noch zwei Wochen, bis sie abliefen. Da hatten die Kinder wohl nochmal Glück gehabt.

Ich ging zurück zur Tür und machte sie zum ersten Mal nach sieben Tagen wieder auf. Ein Pirat, eine Prinzessin und eine Biene grinsten mich gierig an. »Süßes oder Saures!«, sagten sie ihm Einklang.

Mir schmolz das Herz bei dem Anblick. Ich liebte Kindern. Sofort musste ich grinsen. »Hier. Etwas Süßes für jeden von euch«, lächelte ich und warf in jede Tüte drei Bonbons rein.

»Dankeschön!«, grinste mich die Biene an. Ihre Augen strahlten in einem besonderen Ton. Die Kinder zogen eine Tür weiter zu Hanson. Ich verharrte auf meiner Position, auch wenn ich wusste, dass es falsch war. Aber ich wollte zumindest einen kurzen Blick von Hanson erhaschen. Auch wenn ich diejenige war, die ihn die letzten Tage ignoriert hatte, vermisste ich ihn unheimlich.

Die Prinzessin klingelte an. Die Tür ging auf und das Erste, was den drei Kindern entgegenkam, war die süße Mina. Sofort ließ sie sich von allen streicheln und liebhaben. Da wurde man glatt neidisch.

Dann sah ich Hanson. »Hallo, ihr Kleinen«, grinste er die Kinder an, »Tolle Kostüme habt ihr.«

Die Biene kicherte auf. »Hab ich selbst gemacht.«

Hanson kniete sich hin. »Echt?«, fragte er, »Es ist toll geworden! Ich habe eine Freundin, die designet auch.«

Hanson sah mich an. Zwar nur kurz, aber trotzdem fing alles in mir an zu kribbeln. Ich machte einen Schritt zurück und hielt mich am Türrahmen fest. Nicht durchdrehen. Die Tür schließen und gehen.

So sehr ich es wollte, ich konnte ich nicht gehen. Meine Füße bewegten sich keinen Zentimeter. Auch wenn mein Kopf mir sagte, ich solle gehen, wehrte sich mein Herz mit allem dagegen. Ich vermisste Hanson so sehr, dass es wehtat. Die Ironie dabei war, dass ich diejenige war, die ihn wegstieß.

Ich sah Hanson dabei zu, wie er jedem Kind großzügig Schokoladenriegel in die Tüte warf. Dann verabschiedete er sich von den drei Kindern, die an mir vorbeilaufen mussten, um zu den Treppen zu gelangen.

»Bist du seine Freundin?«, fragte die Biene mich plötzlich.

Ich blickte zur ihr herunter und wusste nicht, was ich sagen sollte. »J-ja«, stammelte ich dann und wurde rot.

Das Mädchen strahlte über beide Ohren. »Du bist wunderschön!« Kichernd rannte sie zu ihren Freunden. Ich sah ihnen nach.

Gleichzeitig hörte ich Hansons Schritte. Ich presste die Lippen zusammen und blickte ihn an. Einerseits sah ich, dass er sich freute, mich endlich wieder zu sehen. Andererseits waren da noch diese ungelösten Fragen, die zwischen uns standen.

»Happy Halloween«, lächelte er mich an und schien gar nicht sofort Antworten zu verlangen.

Nervös strich ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. »Oh, ja, stimmt. Dir auch.«

Hanson erwiderte dies mit einem Nicken.

Einen Moment herrschte Stille und wir blickten uns nur gegenseitig an.

»Es tut mir leid!«, sagten wir dann fast gleichzeitig.

Hanson wollte fortfahren, aber ich fasste mir an Herz. »Mir tut es leid, dass ich dich die letzten Tage ignoriert habe und dass ich letztens weggelaufen bin. Mein Leben ist momentan schwierig und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.«

Hanson nahm dies zur Kenntnis. »Das habe ich gemerkt...«, seufzte er und fuhr sich durchs Haar, »...aber auch mir tut es leid. Ich wusste, was für eine große Angst du vor Ärzten hast und habe Maisie trotzdem einen Krankenwagen rufen lassen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Dafür brauchst du dich nicht entschuldigen. Das war das einzig Vernünftige.« Ich hätte an Maisies Stelle doch auch sofort einen Krankenwagen gerufen. Die drei wussten ja nicht, dass ich anders war. Deshalb traf sie keine Schuld. Es war allein meine.

»Weißt du, ich fühle mich schlecht dabei, dir nicht die Wahrheit sagen zu können...«, murmelte ich und spielte mit dem Saum meines Pullovers. 

Ich wollte zumindest in dieser Hinsicht ehrlich sein. »Ist schon in Ordnung«, erwiderte Hanson, »Ich habe dir gesagt, dass du dir so viel Zeit lassen kannst, wie du willst.«

Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und machte einige Schritte zurück. »Ich zwinge dich nicht. Wenn du soweit bist, weißt du, wo du mich findest. Aber nichts kann so schlimm sein, dass ich dich wegstoßen würde.«

Ich wollte ihm glauben. Jedes einzelne Wort. Aber die Angst war größer. Ich war nicht mutig genug, um den Sprung zu wagen. Aber meine Gefühle für Hanson schienen von Tag zu Tag zu wachsen. Jetzt in diesem Moment zum Beispiel wollte ich nichts lieber, als in seine Arme fallen und ihm alles zu gestehen. Doch mein Verstand hielt mich davon ab und das war auch gut so. Denn es war falsch, ihm die Wahrheit sagen zu wollen.

Blazing HeartWhere stories live. Discover now