o65. Kein Licht mehr, nur Dunkelheit

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»Zurück bleiben Trauer, Verzweiflung, Tränen und die Frage nach dem Warum«, Pfarrer Larrys Worte drangen nur gedämpft zu mir hindurch.

Die letzten drei Tage hatte ich in einem Zustand der Fassungslosigkeit und unheimlichen Leere verbracht. Heute, wo ich den Sarg vor mir sah, warf mich die Realität um. »RICHARD BLAZE. 29. Dezember 1968 – 15. August 2014« stand auf dem einfachen weißen Grabstein geschrieben.

Meine Hände hielten zitternd den dunklen Regenschirm umschlungen. Leise fielen Regentropfen auf ihn, auf alles um mich herum, auf Dads Sarg. Wenn ich daran dachte, dass das Schicksal ihm willkürlich das Leben genommen hatte, schnürte sich meine Kehle zu. Ich hatte das Gefühl zu ersticken, alles drückte sich gegen mich.

Es war, als würde ich an den Rand der Welt gedrängt werden. Dorthin, wo es keinen anderen Menschen mehr gab. Da, wo ich ganz allein war. Ohne Mom. Und jetzt auch ohne Dad. Ganz allein. Ich sah nur noch Dunkelheit. Pure Finsternis.

Ich fragte mich nicht einmal, ob es da irgendwo noch einen Lichtblick gab. Denn er existierte nicht. Mit Dads Tod war nichts mehr von ihm übrig. Nicht einmal sein Körper war geblieben. Dieser Sarg war leer. Das Feuer hatte jedes kleine bisschen von meinem Vater verzehrt.

Als der leere Sarg in die Erde eingelassen, entwichen mir mehrere Schluchzer. Ich wollte, dass jemand mich in den Arm nahm und mir sagte, dass alles wieder gut werden würde. Aber es gab niemanden mehr. Ich war so allein. Diese Menschen, die sich um Dads Sarg tummelten, hatte ich noch nie gesehen. Seine Kollegen. Irgendwelche Leute, die meinen Vater flüchtig kannten. Keine Familie.

Ich kannte nur Pfarrer Larry. Dads einzigen Freund, den ich regelmäßig sah. Aber der war der Pfarrer. Wie traurig war mein Leben, dass sonst niemand erschienen war? Dass niemand gekommen war, um mich zu trösten? Auch wenn man in der Schule Hass gegen mich hegte, verdammt mein Vater war gestorben. War ich so tief in meinem schwarzen Loch gefangen, dass ich nicht einmal Mitleid bekam?

Erde wurde über den Sarg geschaufelt. In mühsamen, schleppenden Bewegungen. Und als der Sarg vollkommen mit Erde bedeckt war, sprach Pfarrer Larry seine Gebete zu Ende. Die Beerdigung war beendet. Stück für Stück verließen die Menschen den Friedhof, aber ich blieb stehen.

Solange, bis nur noch ich und Pfarrer Larry übrig waren. Ich blickte nur auf die braune Erde vor meinen Füßen und ließ die Tränen stumm über die Wangen laufen. Und als Pfarrer Larry etwas zu mir sagen wollte, schüttelte ich nur den Kopf. Ich wollte nicht, dass er mich tröstete. Denn danach würde er gehen. Dann wäre Dad für ihn nur ein weiterer Toter, den er diese Woche beerdigt hatte. Einer von so vielen. Sein Tod würde unbedeutend werden.

Pfarrer Larry nickte, trug Trauer und Besorgnis in den Augen. Als ich endlich allein war, konnte ich schreien. Den Schrei, den ich die ganze Zeit in meinem Leib getragen hatte. Weinend kniete ich mich ans Grab und wollte nicht, dass Dad ging. Ich wollte den Sarg wieder ausgraben. Ihn aufklappen, obwohl ich wusste, dass wenn ich das tat, ich keinen leblosen Körper sah, sondern die letzten Reste Asche.

Nichts als ein paar Krümel, die mir die Welt bedeuteten, aber für jeden anderen Menschen auf dieser Welt Dreck waren.

* * *

Die nächsten Tage verbrachte ich damit, stundenlang in Dads Zimmer zu sitzen. Kälte durchfuhr jede einzelne Faser meines Körpers. Ich war unfähig mich zu bewegen. Ich starrte auf die Blumenbettwäsche, die meine Mutter unheimlich gerne gemocht haben soll. Dann zu dem Schreibtisch, auf dem unzählige Briefe lagen. Briefe an Mom, die Dad und ich jedes Jahr an meinem Geburtstag an einem Ballon befestigten und in den Himmel stiegen ließen. Erinnerungen und Momente an eine Zeit vor Moms Tod. Wünsche. Gedanken von Dad.

Blazing HeartWhere stories live. Discover now