oo6. Künstlerinnen und ihre Geschichten

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»I-ich arbeite in einer Kanzlei. Als Buchhalterin«, brachte ich stammelnd hervor.

Das war eigentlich immer meine Ausrede, wenn es darum ging zu erklären, warum ich mich ständig in Warrins Anwaltskanzlei aufhielt. Leider wurde das oft infrage gestellt, was mich auch nicht wirklich wunderte. Ich passte wohl nicht in das übliche Bild einer Buchhalterin.

Caitlyn und Maisie nickten interessiert, was mich darauf schließen ließ, dass sie mir glaubten. Ein Glück.

»Sicher, dass du kein Model bist?«, fragte eine Stimme plötzlich.

Verdutzt drehte ich mich um und starrte auf einen wahrscheinlich Zwölf-Jährigen herunter.

»Finn!«, meckerte ein Mädchen neben ihm, das offensichtlich seine Schwester war. Caitlyn und Maisie brachen ihn Gelächter aus.

»Ist der immer so?«, fragte ich verwirrt und sah der Schwester dabei zu, wie sie ihren Bruder von mir wegzerrte.

»Oh, ja!«, prustete Maisie, »Süß, der kleine Romeo, nicht wahr? Er hat Caitlyn sogar mal nach einem Date gefragt.«

Ich musste lachen. Hier ging es ja doch lustiger zu, als ich dachte. Die Chance echte Freunde zu finden war soeben um ganze zweihundert Prozent gestiegen! Jetzt durfte ich mich auf keinen Fall merkwürdig verhalten. Sicherheitshalber machte ich einen Schritt zurück, um genügend Abstand zwischen mir und Maisies Farbeimern herzustellen.

»Huhu!«, trällerte Melanie plötzlich in einem hohem Ton, »Verena, deine Leinwand!«

Übereifrig half ich der Leiterin dabei, meine Staffelei neben die von Caitlyn zu stellen. Mit Pinseln bewaffnet und einer Farbpalette konnte es fast losgehen.

Irgendetwas fehlte jedoch.

Ich blickte zu dem schwarzen Haarschopf neben mir, der hochkonzentriert an seinem Gemälde arbeitete. Vielleicht war er ja genauso nett wie die zwei Mädels? Ich witterte noch eine Chance, Freundschaften zu schließen.

Immer wieder blickte ich in seine Richtung und überlegte, wie man am besten eine Unterhaltung starten konnte. Oder sollte ich es lieber lassen? Er war ganz vertieft in seine Arbeit. Ich machte einen Schritt zurück, um einen besseren Blick auf sein Werk zu haben.

Er malte eine Fabrik. Ganz fein fügte er Details hinzu. Sein Farbauftrag war unglaublich genau und präzise. Ich beobachtete ihn genauer. Seine Gesichtszüge waren angespannt, seine Augen auf die Leinwand fokussiert. Wenn ich mal so konzentriert sein könnte!, dachte ich begeistert.

»Kannst du aufhören mich anzustarren?«, brachte er plötzlich in einem unfreundlichen Ton hervor.

Ich zuckte zusammen, während er versuchte weiterzumalen und sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. »Sorry, tut mir Leid! Das war keine Absicht!«, entschuldigte ich mich sofort und wurde rot, »Ich wollte nur-«

Der Kerl stöhnte auf und starrte mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Wegen dir habe ich mich jetzt vermalt! Sieh, dir dieses Desaster an!« Mit einer überdramatischen Geste deutete er auf eine bestimmte Stelle.

Ich runzelte die Stirn und versuchte irgendwo einen Fehler ausfindig zu machen, fand aber keinen Makel. »Da ist doch nichts...«, murmelte ich irritiert.

Er rollte mit den Augen, nahm seine Staffelei und schob sie ans Fenster. »Du gehst mir auf die Nerven!«, sagte er noch und stapfte aufgebracht von mir weg.

Mir klappte der Mund auf. Was?!

Neben mir fing Caitlyn an wie eine Henne zu gackern. Sie fand die Situation wohl urkomisch.

Blazing HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt