o15. Komm nach Hause, Verena

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Vor nicht allzu langer Zeit

Schluchzend krümmte ich mich über die Brüstung und weinte. Ich weinte, weil in meinem Kopf wieder dieser kranke Gedanke war. Dieser Wunsch niemals geboren zu sein. Dieser Wunsch, den Albtraum, den ich lebte, endlich zu beenden.

Mein Rucksack fiel zu Boden, als ich mich langsam am Gestein hochhievte. Ja, das war die einzige Lösung.

»Es tut mir leid, Dad...«, flüsterte ich und ließ mich langsam nach vorne fallen.

Für eine Sekunde schien die Zeit stehen zu bleiben. Für einen klitzekleinen Moment war da nur noch ich und der Wind. Der Wind, der auf einmal so brausend war. Als würde auch er wollen, dass ich endlich Abschied nahm.

Und als mich endlich in der Luft befand und nach unten in diese unheimliche Tiefe starrte, bekam ich plötzlich Angst. Angst vor dem Tod. So oft hatte ich Menschen beim Sterben zusehen müssen. So oft hatte ich den Tod dabei beobachtet, wie er sein nächstes Opfer einholte. So oft, dass es schon zur Normalität geworden war. Dass ich mich an ihn gewöhnt hatte. Doch jetzt, in diesem klitzekleinen Moment, hatte ich plötzlich Angst vor dem Tod.

Ich schrie auf und kniff die Augen zusammen. Gleichzeitig stieg in mir eine unerbittliche Wärme hoch. Sie verwandelte sich in eine lodernde Hitze und fraß mich von innen auf.

Man sollte nicht morden - auch nicht sich selbst. Ich war dabei eine Sünde zu begehen.

Mein Körper brannte wie die Glut eines Feuers. Er wollte das, was ich tat, nicht akzeptieren.

Anscheinend war er nicht der Einzige.

Denn ehe ich weiter fallen konnte, hielt mich plötzlich jemand fest.

Ganz fest schlangen sich zwei Arme um meinen Körper und zogen mich ruckartig zurück.

Ich wollte vor Erstaunen die Luft anhalten, aber ich war atemlos. Die Hitze war immer noch da und verschlang mich beinahe. Mein Herz raste, sprang beinahe aus meinem Brustkorb.

Als ich den Boden wieder unter mir spürte, fiel mir das Atmen nicht leichter. Das Feuer in mir war so unerträglich. Meine ganze Haut juckte.

Ich kniff die Augen fest zusammen, das linke zuckte noch immer, und wollte schreien vor Qualen.

Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter. »Alles ist gut!«

Sofort schlug ich die Augen auf und blickte voller Leid in die dunkeln Augen meines Gegenübers. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen. Besorgt musterte er mich. Und entsetzt, als könnte er nicht glauben, wovon er soeben Zeuge geworden ist. Oder als hätte er mich vor dem Sprung bewahrt.

Seine Augen trugen etwas in sich, dass mich langsam abkühlen ließ. Die Hitze in mir löste sich wie ein Knoten. Ich atmete erschöpft aus und fuhr mir mit der Hand durch das Gesicht. Ich wischte mir die Tränen weg. Meine Hand war wieder kühl. Ich spürte wieder die Eiseskälte in mir.

Aber als meine Augen zu den des Jungen wanderten, war da für einen Moment wieder diese Wärme. Er trug sie in seinen Augen. In den Augen, die so dunkel wie die Nacht waren.

»Wieso?«, fragte der Jugendliche mit leidendem Gesichtsausdruck, »Wieso hast du das getan?«

Auf Kommando stiegen mir Tränen in die Augen. »Weil ich nicht mehr konnte!« weinte ich und konnte noch immer nicht fassen, dass ich auf dem Boden saß. Dass ich nicht leblos im Wasser schwamm. Dass er mich wirklich aufgefangen hatte.

Blazing HeartWhere stories live. Discover now