o46. Das erste Aufeinandertreffen

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»Eine Superheldin?«, wiederholte ich Dads Worte und blickte in den Spiegel. Ich trug ein fettes Grinsen auf den Lippen. Dad war echt der Beste! Er hatte immer die richtigen Worte und konnte mich selbst dann aufmuntern, wenn ich nicht einmal eine Aufmunterung brauchte.

»Verena!«, hörte ich ihn jetzt rufen, »Kannst du den Brief für mich wegbringen?«

Ich ging in sein Schlafzimmer, in das ein kleiner Schreibtisch gezwängt war. Er hockte vor einem Haufen Papierkram. Dad war Mechaniker. Papierkram war nicht so seine Stärke. Das merkte man besonders dann, wenn er sich frustriert wie jetzt die Augen rieb.

Er reichte mir einen Umschlag. Ich nahm in an und gab ihm einen Kuss auf den Kopf. »Gut, bin in einer halben Stunde zurück.«

Dad grinste mich an. Dann schlüpfte ich in meine Sneakers und zog meine Jacke über. Wer mich sah, dachte bestimmt, ich wäre irre, aber das war ich nicht. Mir war nur kalt und das eben auch, wenn Sommer war und draußen Hochtemperaturen herrschten.

Auf dem Weg zur Post erntete ich so wie immer eigentlich merkwürdige Blicke meiner Mitmenschen, die sich zu Tode schwitzten. Ich fragte mich manchmal, wie sich es anfühlte zu schwitzen. Aber offensichtlich schien es für normale Menschen eine Qual zu sein, weshalb ich es mir nicht unbedingt wünschte.

Ich warf Dads Brief in den Briefkasten und lief einen kleinen Umweg in der Stadt, um die Lage abzuchecken. Wie Superman!

Oh, jetzt bildete ich mir eindeutig zu viel auf Dads Worte ein. Aber Superhelden waren eben so cool! Ich liebte jeden einzelnen Film und konnte die Problematik, anders zu sein und es geheim halten zu müssen, so gut nachvollziehen.

Erhobenen Hauptes marschierte ich durch die Stadt. Wie ich wohl heißen würde? Irgendein Pseudonym wäre toll! Icegirl! Oder Icewoman!

Meine fantasievollen Gedankengänge wurden unterbrochen, als ich überhaupt nicht superheldenmäßig in jemanden hineinlief. Ich verlor nicht nur beinahe das Gleichgewicht, sondern spürte auf meinem Oberteil heißen Kaffee.

Für einen Moment war es so schön angenehm, dann gewöhnte sich mein Körper an das kochend heiße Getränk und es war kaum wahrnehmbar. Nur noch ziemlich feucht.

»Oh, Verzeihung«, entschuldigte sich die Person, dessen Heißgetränk jetzt Teile meiner Jacke zierten.

Ich hob den Blick und sah in ein grünes Paar Augen, das mich bedauernd musterte. Sofort wollte ich vor Scham im Boden versinken. Es handelte sich nämlich um einen unheimlich gut aussehenden jungen Mann. Diese Wangenknochen in Kombination mit dem Drei-Tage-Bart und dem gut gebauten Oberkörper. Gott, hielt mich bitte jemand fest! Ich fiel gleich um.

»Alles in Ordnung?« Seine tiefe Stimme jagte eine unheimliche Gänsehaut über meinen Körper.

»J-ja!«, stotterte ich und konnte meinen Blick kaum abwenden.

Er musterte mich irritiert. »Müsstest du bei dem Aufzug nicht einen Hitzeschlag erleiden?«, fragte er und zog die Augenbrauen zusammen, »Macht dir der Kaffee nichts aus?«

Ich fing an zu lachen. Nicht, weil er witzig war, sondern aus purer Nervosität. Ich hätte so tun müssen, als hätte mich der Kaffee verbrannt! Ich hätte sofort Schmerzen simulieren müssen! Wie konnte ich mir diesen Fehltrip nur erlauben?

»Ach, der Fleck?«, fragte ich angespannt, »Der macht mir nicht aus. Genauso wie das Wetter. Wenn man schon einmal den Death Valley in Kanada durchforstet hat, dann stört einen nichts mehr!« Spätestens jetzt müsste ein Lügendetektor aufspringen und gleich in einem ohrenbetäubenden Ton Alarm schlagen. So war es immer. Wenn ich etwas nicht erklären konnte, dann log ich eiskalt. Wortwörtlich.

Der Kerl machte einen Schritt zurück. »Interessant« sagte er, »Zumal sich der Death Valley hier in den USA befindet.«

Ich erstarrte. Augenblicklich stieg mir das Blut in die Wangen. Oh, Gott, das war nicht in Kanada?! Ich wollte am liebsten weglaufen, so peinlich war mir die Situation.

»Ich schätze, in deinem Hirn ist etwas durchgebrannt«, stellte der Mann fest, »Vielleicht solltest du mir die Jacke geben? Die muss jetzt sowieso in die Wäsche.«

Ich schaute an mir herunter. Oh, ja, das musste sie. Sonst war sie hin. Verlegen strich ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. »D-danke für das Angebot, aber ist schon okay. Ich wasche sie zu Hause.«

Der Typ grinste mich verschmitzt an. »Du verstehst wohl nicht ganz, Prinzessin. Du gibst mir deine Jacke und in ein paar Tagen treffen wir uns wieder.«

Ich stockte. Warte, fragte er mich gerade nach einem Date?

Nein, das war nicht möglich. Niemand wollte mit mir ausgehen.

»Ja, das ist eine Einladung auf ein Date«, sagte er plötzlich, als er meinen zweifelnden Blick bemerkte.

Plötzlich schlug mein Herz doppelt so schnell. Er wollte wirklich mit mir ausgehen?!

Ich starrte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Aber ich kenne doch gar nicht deinen Namen.«

»Warrin«, lächelte er.

»Verena«, erwiderte ich und konnte nicht so recht glauben, was gerade passierte.

»Montag. Im San Rome Café. Sagen wir 14 Uhr?«, erwiderte Warrin mit so einem attraktiven Lächeln, dass ich sofort meine Jacke auszog und sie ihm überreichte. Ich hatte tatsächlich ein Date!

* * *

Gegenwart

Lange saß ich vor dem Spiegel und perfektionierte mein Makeup. Dieses Mal ging das Date mit Hanson definitiv nicht schief. Es durfte nicht schiefgehen. Ich hoffte einfach darauf, dass die Welt sich nicht gegen mich verschwor. In fünf Minuten würde er vor der Tür stehen und dann würde hoffentlich ein toller Abend folgen.

Ich zitterte leicht, als ich den Lidstrich versuchte auszubessern. Ich war leicht nervös. Okay, leicht war untertrieben, ich war unheimlich nervös! Ich meine, Hanson und ich hatten uns geküsst! Waren wir jetzt zusammen? So ein richtiges Paar oder kam das noch? Oh, ich war so unerfahren.

Ich starrte in meine braunen Augen, die einerseits Freude in sich trugen, aber auch Angst. Ich hatte noch nie einen Freund gehabt. Ich wusste nicht, wie das war. Vielleicht würde es sich nicht einmal schön anfühlen. Wie sollte es das denn auch, wenn ich immer noch Geheimnisse vor Hanson hatte?

Ich fragte mich, ob er überhaupt etwas mit mir zu tun haben wolle, sollte er irgendwann die ganze Wahrheit herausfinden.

Ich ließ den Blick sinken. Ich müsste es ihm früher oder später beichten. Auch wenn das bedeutete ihn zu verlieren.

Ich hörte, wie draußen die Kirchenglocken zu Punkt 20 Uhr läuteten. Er kam jeden Moment.

Schnell packte ich meine Tasche und wollte gerade nach meiner Jacke greifen, da klopfte es auch schon an der Tür.

Ich atmete tief ein und aus. Ich durfte mich von meiner Nervosität nicht aus der Ruhe bringen lassen. Hanson mochte mich. Er hatte mich geküsst. Es würde schon alles gut werden.

Ich versuchte ein Lächeln auf die Lippen zu setzen und fröhlich an die Tür zu gehen. Die letzten Tage hatten wir alle viel zu viel Trübsal geblasen. Ich durfte die Stimmung jetzt nicht herunterziehen. Vor allem Hanson, der Arme, hatte das nicht verdient. Nach dem Tod seiner Großmutter brauchte er Aufmunterung und die konnte ich ihm hoffentlich geben.

Mit einem breiten Lächeln öffnete ich die Tür. Doch im selben Moment erlosch es wieder.

Ich starrte in leuchtend dunkle Augen, die voller Vorfreude waren. »Na, hast du mich vermisst?«, fragte Thane mit einem verlogenen Grinsen auf den Lippen.

Blazing HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt