o42. Den Bauch voller Schmetterlinge

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Mit verkrampften Magen machte ich mich auf den Weg nach Hause. Eigentlich wollte ich noch bei Maisie und Caitlyn vorbeischauen, aber mit dem Edelstein am Hals traute ich mich das nicht. Ich wollte nur noch schleunigst nach Hause und den Stein irgendwo verstecken. An einem Ort, an dem ihn niemals jemand finden würde. Eigentlich machte ich mir viel zu viele Sorgen, aber ich konnte nicht anders. So war ich eben.

Ich beschleunigte mein Tempo, als mein Apartment in Sicht war. Ich würde die Treppen hochsprinten. Ich würde alles tun, um Hanson nicht zu begegnen. Ich wüsste nämlich nicht, was ich dann sagen sollte. Ich war total aufgeschmissen. Ich stieß die Tür auf und rannte wirklich die Treppen hoch.

»Schneller!«, sagte eine Stimme in mir. Ich hetzte mich hoch, kramte meinen Schlüssel aus meiner Tasche und machte mich daran, die Tür zu öffnen. Doch der Schlüssel wollte nicht.

»Mach schon!«, quengelte ich. In dem Moment, in dem es mir endlich gelang, ging plötzlich die Tür nebenan und Hanson kam zum Vorschein.

Mein Herz rutschte mir in die Hose. Ich starrte erschrocken in seine eisblauen Augen.

»Verena, wir müssen re« – »Ich habe keine Zeit!«, log ich in Hektik, riss die Tür auf und schlug sie dann hinter mir zu.

Mit rasendem Herzen lehnte ich mich mit dem Rücken gegen sie. Ich konnte nicht mit Hanson sprechen. Ich konnte einfach nicht. Ich wollte nicht wissen, was er mir zu sagen hatte.

Plötzlich klopfte er an die Tür. »Verena, bitte mach auf!«, forderte er mich auf, »Wir müssen wirklich reden.«

Ich schwieg. Stattdessen klopfte mein Herz so heftig gegen meinen Brustkorb, dass ich kaum Luft bekam. In mir war dieses einengende Gefühl. Ich wollte, dass es weg ging, aber es blieb. Es blieb und zeigte mir, dass ich mich verliebt hatte, obwohl das nie meine Absicht gewesen war.

Ich hätte Hanson vom ersten Tag an ignorieren müssen. Wir konnten nicht zusammen sein. Wir passten nicht zusammen. Hanson war ein normaler Sterblicher und ich, ich war dieses komische Etwas, das einem Eisblock ähnelte. Ich hätte meine Gefühle niemals zulassen dürfen. 

»Verena...«, hörte ich Hanson jetzt seufzen, »...bitte mach die Tür auf. Ich will dir doch nichts Böses. Ich möchte nur mit dir sprechen.«

Ich verharrte an der Tür und biss mir voller Verzweiflung auf die Lippe. Ich wollte doch auch reden, aber ich konnte nicht. Ich fühlte mich wie eine Vollidiotin. Wie konnte ich nur zulassen, dass es jemals so weit kam?

»Ich verspreche dir, ich verletzte dich nicht. Ich will nur die Dinge wieder geraderücken...«, sprach Hanson weiter, »...gib mir eine Chance. Du wirst es nicht bereuen.«

Ich drehte mich um und starrte auf die Türklinke. Ich wollte den Schlüssel umdrehen und Hanson hereinlassen. Ich wollte es so sehr, aber ich hatte Angst. Angst, dass er doch etwas sagte, dass mich verletzen könnte. Dass er irgendein Wort über die Kälte in mir verlor. Dass er vielleicht sogar erkannte, dass ich anders war. Ich hatte so Angst.

»Verena, du kannst mit mir doch über alles sprechen...«, sagte Hanson und ich hatte für einen Moment das Gefühl, dass er bereits wusste, wer ich war. Dass ich mich nicht zwingen musste, es jemals über meine Lippen zu bringen.

Ich lehnte die Stirn gegen die Tür. »Ich kann nicht...«, erwiderte ich in wehleidigem Ton. Ein Zittern erfüllte meinen Körper. »Ich habe Angst...«, gab ich schließlich zu.

Kurz herrschte Stille auf der anderen Seite der Tür. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte Hanson dann, »Nicht, wenn ich es bin.«

Ich biss mir auf die Lippe und glaubte ihm. Ich glaubte ihm. Vielleicht war es naiv, aber ich wollte es so sehr. Ich wollte mich nicht dafür fürchten, ihm in die Augen zu blicken. Ich wollte nicht Angst haben und glauben, er könnte mich verstoßen, nur weil ich anders war.

Ich drehte den Schlüssel im Schloss um und zog die Tür langsam auf. Verbittert sah ich Hanson an, der mich besorgt musterte.

»Es tut mir leid...«, entschuldigte ich mich zum zehntausendsten Mal und starrte zu Boden.

»Dir braucht nichts leidzutun«,erwiderte Hanson und machte einen Schritt auf mich zu.

Als ich seine Hände auf meinen Wangen spürte, blickte ich überrascht in seine tiefblauen Augen

»Wirklich nicht«, flüsterte er und legte, bevor ich auch nur blinzeln konnte, seine Lippen auf meine.

In mir explodierte etwas vor Glück, als Hanson mich küsste. Erneut.

Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, als seine Finger sich tief in meinem Haar vergruben. Die Kälte in mir schien plötzlich so erträglich. So erträglich, weil er sie akzeptierte.

Ich erwiderte den Kuss voller Erleichterung. Vorsichtig legte ich meine Arme um Hansons Nacken und zog ihn näher an mich heran. Ich wollte den Moment nicht verlieren. Ich wollte, dass er für immer andauerte und ich mich so gut fühlte wie genau jetzt. In meinem Magen kribbelte alles. Mein Herz machte Sprünge. Hansons Lippen fühlten sich warm und weich auf meinen an. 

Hanson löste sich von mir und blickte mir tief in die Augen. Ich musste mehrmals blinzeln, um zu verstehen, dass das soeben kein süßer Traum, sondern Realität gewesen war.

»Siehst du...«, flüsterte Hanson, »...du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«

Mir entwich ein strahlendes Lächeln. Gleichzeitig spürte ich die leichte Röte, die meine Wangen erfüllte. 

»Jetzt bin ich an der Reihe mich zu entschuldigen«, fuhr Hanson fort. Seine blauen Augen waren so unergründlich wie das Meer.

Er fuhr sich durch Haar. »Es tut mir leid, dass ich dich gestern ohne Vorwarnung geküsst habe und dann so reagiert habe...«, gab er zögernd von sich und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. »Ich war einfach überrascht...«, flüsterte er und legte seine Hand auf meine Wange.

Mit dem Daumen fuhr er mir über die Unterlippe. »Deine Lippen sind so... kalt. So etwas habe ich noch nie erlebt.« Hanson blauen Augen leuchteten auf. »Du bist so anders. Du hast etwas an dir, was andere nicht haben. Etwas, das mich schon vom ersten Tag an fasziniert. Ich kann es nicht in Worte fassen, Verena.«

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich war ganz überwältigt von Hansons Worten. Er verurteilte mich nicht. Er schien sich von dieser Kälte nicht stören lassen. Im Gegenteil sogar, er akzeptierte sie.

»Wie heißt es so schön?«, fragte er dann, »Alle guten Dinge sind drei: Willst du mit mir ausgehen? Wieder?«

Ich musste breit grinsen. »Ja! Du glaubst gar nicht wie gerne.«

Blazing HeartWhere stories live. Discover now