o91. Kurz vor dem finalen Kampf

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Während alle schon die Hütte verließen, nahm ich die warme Kleidung entgegen, die Caitlyn mir mitgebracht hatte. Hastig schlüpfte ich in die dicke Leggins, was mir nicht so leicht gelang. Ich zitterte am ganzen Leib. Ich wusste nun, was genau wir heute Nacht vorhatten und es erfüllte mich mit Aufregung. Ich fürchtete mich, aber gleichzeitig war ich auch erleichtert, dass wir Reva endlich entgegentreten konnten. Ihre bösen Machenschaften mussten enden.

Caitlyn ließ sich auf einen der Stühle fallen. »Ich kann einfach nicht glauben, dass Maisie von dieser Verrückten mitgenommen wurde!«, beschwerte sie sich lautstark und ich fühlte mich etwas schuldig. Aber ich wusste, das sollte ich nicht.

»Wann ist es passiert?«, fragte ich unsicher, da mir dieses Detail ebenfalls im Verborgenen geblieben war.

Caitlyn fuhr sich durch das blonde Haar, das mehr abstand als sonst. »Kurz, nachdem wir dich als vermisst gemeldet haben, war sie noch einmal in deiner Wohnung. Reva ist aus dem Nichts aufgetaucht und hat sie einfach mitgenommen«, erwiderte sie traurig.

Ich biss mir auf die Lippe und zog schnell das dicke Oberteil und die ein bisschen zu eng geratene Jacke an. »Und was ist mit Linden?«, hakte ich nach. Ich fragte mich, wie das Date gelaufen war. Ob es sich zumindest in eine gute Richtung entwickelt hatte... 

Caitlyn schwieg einen Moment, dann lachte sie bitter auf. »Zur Überraschung gut, aber das bringt nichts, wenn sie heute Nacht vielleicht... Man! Ich dachte, Linden wäre echt ein Idiot, aber er scheint sie wohl genauso sehr gemocht zu haben. Beim ersten Versuch hat er sie nur abgewiesen, weil er dachte, wir würden uns über ihn lustig machen.«

Nein, das wollte ich doch nicht. Dabei war es doch meine Idee gewesen, diese blöde Wette auszutragen. Ich fühlte mich schlecht. Aber Schlechtdenken half jetzt nicht weiter. Ich musste heute so optimistisch wie möglich sein. Sonst könnte ich mir das mit Reva gleich knicken und in mein Grab springen.

Ich trat aus der Ecke hervor und trug nach drei Wochen wieder richtige Kleidung. Kleidung, die wärmte und mir Schutz bot. Ich war genauso wie Caitlyn von Kopf bis Fuß in schwarz gekleidet.

Caitlyn erhob sich von ihrem Platz und gab mir ein Funkgerät. Die Vorstellung mit allen zusammen zu arbeiten, war merkwürdig. Bis vor wenigen Wochen waren Warrin und ich nur ein Duo gewesen. Doch jetzt halfen mehr Menschen. Menschen, die genauso sehr wie ich an das Gute glaubten.

»Na, dann. Los geht's«, sagte Caitlyn und blickte in meine Augen, »Hoffen wir, dass wir nur heute Nacht nicht draufgehen.«

Fast hätte ich gelacht, aber ich konnte nicht. Dennoch bewunderte ich Caitlyn dafür, dass sie selbst in den heikelsten Situationen humorvoll blieb.

Als wir nach draußen gelangten, warteten die anderen bereits. Jeffrey und Linden waren vorgefahren. Pfarrer Larry und Warrin standen neben dem dunklen Wagen, mit dem wir hierhergefahren waren.

Es war ungewöhnlich Larry nicht in seiner Geistlichenrobe, sondern schwarzer Stoffhose und Pullover zu sehen. Er trug wie Warrin einen schwarzen Mantel, nur war seiner nicht aus Leder. Fast hatte ich das Gefühl, wir machten uns auf den Weg auf eine Beerdigung.

Ohne ein Wort zu sagen, stieg in das Auto und wir fuhren los. Die letzte halbe Stunde hatten wir schon genug Zeit verloren. Wir mussten uns beeilen. Demensprechend fuhr Warrin auch sein Auto. Er überschritt maßlos das Tempolimit und flog förmlich über die Autobahn zu der Adresse, die ich ihm genannt hatte. Ich war Thane immer noch dankbar, dass er mir sie verraten hatte. Diese Information war goldwert.

Mein Blick glitt wieder zum Fenster. Mittlerweile versteckte sich der Mond hinter einer dicken Wolkendecke, als wolle er nicht mitansehen, was die nächsten Stunden in dieser Stadt passieren könnte.

Ich schloss die Augen. Wir schafften das. Wir mussten das schaffen. Es stand gar nicht zur Option zu verlieren. Ich würde alles tun, damit Maisies Leben verschont blieb. Wirklich alles. Zwar hatte ich in meinem Leben furchtbare Menschen kennengelernt, aber ich wusste, dass es auch Gute gab. Dass hatten Dad und Warrin mir Tag für Tag bewiesen.

Ich öffnete die Augen und blickte Warrin an. Obwohl er ruhig aussah, waren seine Knöchel weiß angelaufen, so fest umklammerte er das Lenkrad. Wir wussten immer noch nicht, ob seine Fähigkeiten zurück waren oder nicht. Aber ich glaubte fest daran, dass sie ihm nicht im Stich lassen würden. Seine Wunde war verheilt und wenn das Organ wirklich immer und immer wieder nachwuchs, dann müsste er stärker sein denn je. Und wenn das nicht der Fall war, dann war das wohl so. Warrin war und blieb der stärkste Mann, den ich jemals kennengelernt hatte.

* * *

Mit einem Knall schloss sich die Autotür hinter mir. Ich straffte die Schultern, dann blickte ich auf die entfernte Lagerhalle, die sich vor unseren Augen erstreckte. Ein großer Maschendraht umgab die graue Fläche, die schwachen Laternen tauchten den Ort in ein gespenstisches Licht. Wir waren da. Reva und die Geißeln befanden sich in diesem Gebäude.

Zwei Polizisten, die hier im Verborgenen postiert waren, kamen auf uns zu. Sie beobachteten uns mit nüchterner Miene und obwohl sie uns eigentlich daran hinderten sollten, uns dieser Lagerhalle zu nähern, taten sie es nicht. Sie standen nämlich auf Warrins Seite. Auf der Seite des Helden.

Ich erkannte einen der Polizisten wieder. Er hatte oft mit Warrin in seiner Heldengestalt gesprochen. Die beiden kannten sich und genau das nutzten wir zum Vorteil. Der Staat musste nicht wissen, dass sie den Bestimmungen der Regierung in Ungnade gefallen waren. Schließlich hatten wie alle dasselbe Ziel: Reva aufhalten und diese unschuldigen Menschen retten.

»Seit Stunden ist hier nichts vonstattengegangen«, berichtete ein Polizist. Der andere nickte zustimmend. »Die Geiseln scheinen noch alle am Leben zu sein.«

Erleichterung machte sich in mir breit. Wir waren noch nicht zu spät. »Gut«, sagte Warrin mit ernster Miene und blickte dann in die Runde, »Es geht los.« Sein Blick blieb zuletzt bei mir stehen.

Während alle sofort dem Befehl Folge leisteten und sich in Bewegung setzten, blieben Warrin und ich zurück. Sein Blick war mit so einer Ernsthaftigkeit gefüllt, dass ich an Elianas Tod zurückdenken musste. Er war bereit gewesen sich zu opfern. Und er wäre das auch heute Nacht. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.

»Wie geht es dir?«, wollte Warrin wissen und trat einen Schritt näher. Ich blickte zu ihm hoch und wusste nicht so Recht, wie ich mich fühlte. Ich hatte Angst, aber gleichzeitig war ich auch so entschlossen. Dennoch hatte ich Zweifel. Aber dann war da wieder dieser unheimliche Wille, Revas Plan zu vereiteln und das Böse ein für alle Mal zu besiegen. Ich wusste in der Tat nicht, wie ich mich fühlte. Es war ein Wirrwarr aus allen möglichen Gefühlen. In den letzten Wochen war so viel passiert.

»Ich denke, gut«, erwiderte ich und zog die Luft um mich herum auf. Es ging mir gut. Nach all dem, was passiert war, war ich noch am Leben. Und wenn ich bedachte, dass die Geißeln das vielleicht nicht mehr könnten, dann war das ein Geschenk. Das Leben war ein Geschenk und ich hätte nicht einmal einen Moment daran denken dürfen es wegzuwerfen.

Ich spürte Warrins Hände an meinen Schultern. »Gut«, sagte er behutsam, »Denn wir werden heute Nacht auf keinen Fall verlieren.«

Ich bewunderte ihn immer wieder dafür, wie er das Verlieren gar nicht als Option ansah. Vielleicht war ich oft neidisch gewesen, aber jetzt in diesem Moment bewunderte ich ihn einfach nur.

»Du hast Recht«, erwiderte ich entschlossen und wollte genauso stark sein, »Wir schaffen das.«

Warrins Griff um meine Arme wurde fester. Er blickte mir tief in die Augen. »Wir schaffen das«, wiederholte er meine Worte mit Nachdruck, »Wir. Gemeinsam. Es tut mir leid, wenn ich dir in den letzten zwei Jahren immer wieder das Gefühl gegeben habe, dich auszunutzen. Verena, wir sind ein Team und das habe ich erst in dem Moment gemerkt, als du nicht mehr an meiner Seite warst. Aber ich hätte es so viel früher erkennen müssen. Du warst nie nur mein Sidekick. Du warst eine Heldin. Eine wahre Heldin, die ich immer brauchte.«

Ich sagte nichts. Stattdessen spürte ich, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Aber es waren nicht die der Trauer, sondern die des Glücks. Warrin hatte es gesagt. Er hatte es gesagt. Er hatte gesagt, dass er mich brauchte und das machte mich unheimlich glücklich.

Ohne zu zögern fiel ich in seine Arme. »Danke«, brachte ich heiser hervor und kniff die Augen fest zusammen. »Ich brauche dich auch.«

Blazing HeartWhere stories live. Discover now