o83. Hitze und Kälte, die sich treffen

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Ein lautes Surren ertönte laut neben meinem Ohr. Ich konnte mich nicht bewegen, aber es war ganz nah bei mir. Ich wollte mich regen, aber meine Gliedmaßen waren wie tot. Keine Bewegung gelang mir. Nicht einmal meine Augen konnte ich öffnen.

Es war als wäre ich in einem Grab aus Eis gefangen. Eis, das kälter war als alles, was ich jemals in meinem Leben gespürt hatte. Eis, das einem schon beim kleinsten Hauch einen Schauder über den Rücken laufen ließ. Eis, das einen Menschen innerhalb weniger Sekunden das Leben nehmen würde. Eis, das alles andere als wunderschön war.

Ich wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Überall war nur diese Kälte. Um mich herum. In mir drin. In jedem meiner Gliedmaßen. In meiner Brust. In meinem Herzen. Jede Faser meines Körpers war von einem Eissturm eingenommen.

Das Surren wurde lauter. Es dröhnte so laut, dass das Eis sich schmerzhaft gegen meine Haut schmiegte. Ich wollte mich bewegen und den Schmerz loswerden, aber er war überall. Aber am schlimmsten war er an meinem Bauch. Ich wollte meine Hand auf meinen Bauch pressen und das Gefühl von unendlichem Schmerz loswerden, aber ich konnte nicht. Ich konnte mich keinen Zentimeter regen. Jede Faser meines Körpers schien tot zu sein. So tot, dass das Surren, das mich umgab, immer schriller wurde. Wie Alarmglocken. Sirenen, die mich warnen wollten, dass etwas Schlimmes passierte... oder passiert war.

Augenblicklich zuckte ich zusammen. Das Surren hinterließ ein schmerzhaftes Ziehen in meinen Schläfen, als ich mich in vollkommener Weiße wiederfand. Doch je länger ich an die weiße Decke starrte, desto mehr wurde mir klar, dass ich nicht gestorben war. Es war kein Traum gewesen. Oder der Übergang in den Tod. Ich lebte noch und spürte so viel Kälte, wie noch nie.

Ich blieb starr auf der Stelle liegen, während meine zitternde Hand den Weg zu meinem Bauch suchte. Als ich mit den Fingern über meine nackte Haut fuhr, spürte ich sie. Die Naht. Man hatte mich aufgeschnitten... aber wenn das so war, wieso spürte ich dann so viel Kälte wie noch nie

Langsam setzte ich mich auf. Doch es fiel mir unheimlich schwer. Erst als ich sah, was ich angestellt hatte, ging es leichter. Mit weitaufgerissenen Augen betrachtete ich die Wände aus Eis. Zapfen hingen von der Decke. Ein Sturm aus Eis wehte in der Zelle. Alles war gefroren. Jeder Fleck des Raumes.

Bis auf eine einzige Stelle war alles mit Eis übersät. Thane saß an der Wand und genau da, wo er seinen Platz hatte, gab es kein Eis. Nur dort schien es eine Ausnahme zu machen. Nur da konnte meine Kälte nicht gegen seine Hitze ankommen.

Ich wollte fragen, was passiert war. Wieso das möglich war. Aber aus meinem Mund kam kein Laut. Ich bewegte die Lippen, aber meine Stimme war wie eingefroren.

Ich spürte nur Thanes stechenden Blick auf mir. Er war gefüllt mit Hass. »Abmachung, mh?«, fragte er in spöttischen Ton, »Schön, dass du deine eigenen Regeln gebrochen hast.«

Mein Kopf schmerzte. Ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich dachte nur an das Eis und die Höllenkälte, die hier überall im Raum herrschte. Und an die Narbe. Wenn sie das Organ entnommen hatten, warum spürte ich sie dann immer noch? Diese Kälte.

Ich schluckte schwer, aber meinen Hals durchzuckte dabei ein Schmerz, der dem Schlag eines Blitzes ähnelte. Ich wollte aufstehen, mich vom Bett erheben, aber meine Gliedmaßen ließen sich nicht mehr so bewegen, wie ich das wollte.

Tausend Fragen schlugen auf mich hinein. Wie konnte das sein? Warum war ich nicht schon längst tot? Was hatte Dr. Gifford mit mir gemacht? War Hadrian bereits im Besitz eines neuen Organs? War er jetzt so wie ich? Oder funktionierte das nicht so, wie ich es mir vorstellte?

Ich blickte zu Thane und erst jetzt fiel mir auf, dass er keine Handschellen mehr trug. Er saß einfach nur dort auf derselben Stelle und warf mir denselben finsteren Blicke wie vor Tagen zu. Wieso kam er nicht und erwürgte mich wirklich? Ich hatte mir zuletzt nichts lieber als den Tod gewünscht und genau jetzt wollte er mir diesen Gefallen nicht tun. Alle brannten doch darauf, mir das Leben zu nehmen. Warum tat es nicht endlich jemand? Wo war Simon? Er hatte sich doch von allen am meisten darauf gefreut.

Ich schloss die Augen und wollte, dass die Kälte, auch wenn sie unerträglich war, mich endlich übermannte. Ich hielt den qualvollen Tod nicht mehr aus. Ich wollte es kurz und schnell hinter mir haben. Stattdessen wanderten Klauen der Kälte über meine Haut und zogen so langsam an mir, dass ich schreien wollte. Dass ich mir die Stimme aus dem Leib schreien wollte. Aber da, wo keine Stimme war, war auch kein Schrei. 

Mehrmals wanderte mein Blick über das unheimliche Eis. Es war überhaupt kein schöner Anblick. Das Eis war zu finsteren Zacken verformt, die die Decke hinabhangen und nur darauf warteten, jemanden zu erdolchen.

Auch über Thane hingen Zapfen und diese schienen besonders spitz zu sein. Doch er saß da in mitten von dieser Kälte in seinem T-Shirt, so als würde er die Kälte nicht einmal wahrnehmen. Das tat er ja auch nicht. Er spürte nur die Hitze seines Körpers. Die Wärme überall auf seiner Haut, die Wärme in ihm drin.

Aber für ihn war diese Hitze erträglich. Mein Herz dagegen war so gebrochen, dass ich eigentlich hätte schon längst zu Eis gefroren sein müssen. Aber stattdessen saß ich noch hier und zog meine letzten Atemzüge, während die Kälte erst alles um mich herum zerstörte. Sie alles um mich herum zerstörte und sich dann erst mir widmete.

Meine Stimmbänder waren aus Eis, ich konnte keinen Ton hervorbringen. Meine Haut war blass, die Fingernägel lila, der Hautton ungesund blau-violett. Meine Finger zitterten, aber dennoch spürte ich keinerlei Lebensgefühl in ihnen. Alles Leben hatte mich verlassen. In mir war diese Leere. Diese unheimliche Leere, die mich verzehren wollte.

Ich spürte nicht einmal mehr mein Herz. Es war gebrochen, kaputt. Es schlug so unheimlich langsam. So langsam, dass ich für jeden anderen Menschen wahrscheinlich für tot gelten würde. Für jeden Menschen außer Thane. Er hatte immer noch diesen bohrenden Blick in den Augen. Einen Blick, der mit so viel Hass erfüllt war, dass ich mich fragte, woher er all diese Kraft schöpfte. Woher er all diese Bösartigkeit nahm.

Ich wollte fragen. Erneut fragen, warum er so schrecklich war, aber mein Mund brachte keinen Ton hervor. Stattdessen verschwamm meine Sicht und mir ihr auch all meine Erinnerungen an alle Menschen, die mir jemals etwas bedeutet hatten. Mom. Dad. Warrin. Länger war die Liste nicht. Mehr Menschen hatte ich nicht, die mir etwas bedeuteten. Dazu war ich mir viel zu unsicher. Dafür hatte Hadrian mich zu sehr verletzt. 

Es war, als hätte er eine Blume, genau in dem Moment, in dem sie aufblühen wollte, aus ihrem Beet gerissen und ihr lieblos jedes Blatt ausgerissen, um ein Spiel zu gewinnen, das schlimmer als alles war, was ich kannte. Aber das Spiel war jetzt vorbei. Ich konnte meine Zehen nicht mehr regen, langsam banden sich die dünnen Eisfäden um meine Gliedmaßen und ließen alles in mir zu Eis gefrieren. Als ich meine Augen nicht mehr öffnen konnte und ich einen Atemzug nahm, wusste ich, dass dies mein letzter war. 

E s

w a r

v o r b e i .

Blazing HeartWhere stories live. Discover now