o44. Lügen muss gelernt sein

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»Wieso bist du plötzlich weggelaufen?«, fragte Caitlyn irritiert. Hanson stellte die Frage gar nicht erst, sondern wartete auf meine Antwort.

Ich spürte, wie mein Hals immer trockener wurde. Sonst fiel mir immer eine Ausrede ein, aber jetzt war mein Kopf blank. Ich wüsste nicht, was ich sagen sollte, was sich halbwegs glaubwürdig anhörte.

»I-ch...«, stotterte ich, »Mir war wieder etwas eingefallen!« Nervös fuhr ich mir durchs Haar.

»Und was ist dir wieder eingefallen?«, fragte Hanson mit zusammengezogenen Augenbrauen.

Ja, Verena, das war eine gute Frage! Was sagst du jetzt?

Ich ließ den Blick durch den Flur wandern und versuchte mir auf der Schnelle etwas einfallen zu lassen. 

Mein Blick fiel auf Mina, die auf Hansons Fußmatte saß. »Mir ist eingefallen, dass ich letztens eine ausgesetzte Katze gesehen habe!«, platzte es aus mir heraus, »Ich hatte ihr Essen gebracht und wollte sie heute mitnehmen, aber sie war schon weg!«

Mein Herz fing an zu rasen. Ich hasste es zu lügen. Und zwar so sehr, dass ich es kaum in Worte fassen konnte.1

»Eine Katze?«, fragte Hanson besorgt, »Hoffentlich wurde sie nicht von einem Auto überfahren.« Sofort kniete er sich zu seiner Mina herunter und nahm sie in den Arm. »Dann kann ich verstehen, wieso du so urplötzlich weggelaufen bist. Ich würde alles für meine Katze tun.« Mina schnurrte und kuschelte sich an seine Brust.

Erleichtert atmete ich auf. Er glaubte mir. Auch Caitlyn glaubte mir. Denn ihr Gesichtsausdruck wandelte sich. »Hoffentlich«, unterstützte sie Hansons Aussage und schaute dann zu Mina, »Wir wollen ja nicht, dass deinen Verwandten etwas passiert!« Sie fing an das kleine weiße Ding zu streicheln. Der Katze schien es offensichtlich zu gefallen, denn ihr Schnurren wurde lauter.

»Sie scheint dich zu mögen«, grinste Hanson. Caitlyn lachte auf, als das Kätzchen sich weiter von ihr streicheln ließ.

»Verena, willst du auch mal?«, fragte Caitlyn dann, »Sie hat so weiches Fell! Das ist unglaublich.«

Ich verharrte auf meiner Stelle und zwang mich, die Mundwinkel oben zu behalten. »Nein, danke«, erwiderte ich, »Wenn ich mich der Katze nur nähere, will sie mir die Augen auskratzen.« 

Caitlyn lachte auf und Hanson musste auch grinsen, aber mir war gar nicht zu Lachen zu Mute. 

»Ich muss dann mal los«, sagte Hanson dann, »Ich war gerade auf den Weg zur Bank.« Er setzte Mina ab und sah mich mehr oder weniger zufrieden an. Ich konnte nicht ablesen, ob das jetzt gut oder schlecht war. Ob er die Praxisphase weitermachte oder abbrach. 

»Gut...«, murmelte ich, »...dann bis Samstag.« Einen Moment sahen Hanson und ich uns einfach an, dann nickte er und ging die Treppen herunter. Ich spürte, wie mein Herz anfing zu rasen. Kurz hatte ich nämlich an den Kuss zurückgedacht. Wenn es darum ging, kannte mein Herz keine Gnade. Auch die tausend Schmetterlinge in meinem Bauch tanzten in solchen Momenten Samba.

Caitlyn half mir meine Stoffe und Tüten in die Wohnung zu transportieren. »Das war also Hanson!«, sagte sie dann mit einem Grinsen auf den Lippen, »Maisie hat mir gesagt, dass er heiß ist, aber dass er so heiß ist, hätte ich wirklich nicht gedacht!«

Ich spürte, wie ich rot anlief. »Ja...«, ich konnte ein Grinsen nicht verbergen, »...er sieht wirklich gut aus.«

Caitlyns blauen Augen leuchteten auf. »Gut?«, fragte sie, »Gut trifft es nicht einmal annähernd, er ist eine echte Augenweide! Wenn ich nicht wüsste, dass du auf ihn stehst, hätte ich ihn mir auf der Stelle gekrallt.«

Einen Moment herrschte Stille, dann lachte ich auf. Manchmal sagte Caitlyn Dinge so ernst, da wusste ich nicht, ob sie Spaß machte oder es wirklich so meinte. Ich fing an, meine Tüten auszuräumen. Mehrere Rollen Garn, Bänder und Knöpfe kamen uns entgegen.

»Wow, du hast ja viel eingekauft!«, stellte Caitlyn erstaunt fest und griff nach einer Garnrolle, »Soll ich dir helfen?«

Ich schenkte ihr ein Lächeln. »Brauchst du nicht. Ab hier komme ich allein zu Recht. Aber ich rufe dich an, wenn etwas ist.«

Caitlyn nickte und ging langsam zur Tür. »Wenn es Maisie wieder besser geht, sag Bescheid!«, fügte ich noch hinzu, da ich mir nicht so sicher war, ob sie am Montag zum Malkurs kommen würde oder nicht. Schließlich würde Linden ja auch da sein. Maisie würde sich bestimmt davor fürchten, ihm wieder zu begegnen.

»Mach ich«, trällerte Caitlyn, »Und du sagst Bescheid, wenn das Date mit Hanson ein Reinfall war.«

Ich zog die Augenbrauen zusammen.

Caitlyn brach in Gelächter aus. »Das war ein Witz!«

* * *

Unzufrieden stöhnte ich auf und kramte die Schere hervor. Jetzt hatte ich einen weiteren Tag nur an meinen zwei Oberteilen gearbeitet und ich war immer noch nicht zufrieden. Nichts wollte passen. Mal war es die Naht, mal gefiel mir die Art des Stoffes nicht.

Ich schnitt am Oberteil herum und wusste immer noch nicht, wie ich das alles schaffen sollte. Morgen war das Date mit Hanson. Das kostete auch nochmal Zeit und Nerven. Außerdem müsste ich mich mal wieder nach Warrin erkundigen.

Ich war, seitdem er mir den Aquamarin anvertraut hatte, nicht mehr in der Kanzlei gewesen. Elianna fragte sich bestimmt schon, was für eine unqualifizierte Buchhalterin ich war. Schließlich war ich immer nur ab und zu in der Kanzlei. Vielleicht hätten Warrin und ich uns etwas Besseres als Deckung einfallen lassen sollen?

Ich legte das Oberteil wieder in die Nähmaschine und korrigierte meinen Fehler. Als es an der Tür klopfte, verrutschte ich beinahe. »Es ist offen!«, grummelte ich.

Die Tür ging auf und ich erblickte zu aller Überraschung Warrin. »Was tust du denn hier?«, fragte ich irritiert und schaltete die Nähmaschine wieder ab. Ich hob das Oberteil hoch und hielt es gegen das Licht. Die Naht sah immer noch merkwürdig aus.

Warrin ließ den Blick durch mein Apartment schweifen. Er streckte die Hand nach einem der Entwürfe aus. »Wie ich sehe, bist du bei der Arbeit...«, stellte er fest, »...Susanne Clancy würde Gänsehaut kriegen, wenn sie sehe, was für ein Chaos hier herrscht.«

Ich kramte neuen Garn aus meiner Tüte. »Wird sie aber nicht...«, murmelte ich, »...sie wird nur die fünf Entwürfe zu Gesicht bekommen, mehr nicht.«

Warrin legte die Skizze wieder auf den Tisch. »Wo ist der Aquamarin?«, wollte er dann wissen.

Ich sah ihn an. »Verloren!«, erwiderte ich sarkastisch.

Warrin warf mir daraufhin einen düsteren Blick zu.

»Wenn du gehofft hast, dass ich ihn verloren habe, dann muss ich dich leider enttäuschen. Dieses Mal habe ich nichts falsch gemacht«, sagte ich stolz, »Er ist hier in der Schublade oben rechts.« Ich zeigte mit dem Finger auf die benannte.

Warrin ging ohne zu zögern auf sie zu.

Ich stöhnte auf. »Wenn du mir so wenig traust, hättest du mir den Juwel nicht geben dürfen«, ich rollte mit den Augen, »Er ist wirklich dort!«

Warrin konnte es sich nicht nehmen lassen die Schublade trotzdem zu öffnen. »Ach, ja?«, fragte er eine Sekunde später, »Wieso sehe ich ihn dann nicht?«

Mir rutschte das Herz in die Hose. Was?!

Blazing HeartWhere stories live. Discover now