o82. Hunger auf eine Gabe

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Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, die ich da unter dem Schreibtisch hockte und hoffte, nicht gesehen zu werden.

»Die Hexe kann nicht weit sein«, hörte ich Simons harsche Stimme.

Automatisch machte ich mich kleiner. Nicht Simon. Warum ausgerechnet er? Ich kniff die Augen zusammen. Aber Hadrian oder Dr. Gifford waren mir auch nicht lieber.

Der einzige Mensch, den ich gerade sehen wollte, war Warrin. Ich wollte, dass er mich rettete. Aus dieser misslichen Lage holte. Aber ich wusste, dass er genau das nicht konnte. Dr. Gifford war bestimmt dabei, ihn in eine Falle zu locken, die fieser als das alles hier zusammen war.

Ich hielt den Atem an, als ich plötzlich Schritte ganz dicht bei mir hörte. Sofort machte ich mich noch kleiner. Mit weitaufgerissenen Augen starrte ich auf Simons Stiefel, die direkt vor mir standen. Nein. Bitte nicht.

Jede seiner Bewegungen ließ die eiskalte Panik weiter meinen Rücken hinaufkriechen. Ich presste die Hand auf meinen Mund, weil ich befürchtete, dass ich vor Panik aufschreien könnte.

»Du kannst dich nicht vor uns verstecken«, hörte ich Simon säuseln. Plötzlich kam er einen Schritt näher.

Ich biss so fest auf meine Lippe, dass ich Blut schmeckte.

Aber Simon ging wider aller meiner Erwartungen an meinem Tisch vorbei.

Auch wenn ich mich fürchtete, wollte ich die Chance nutzen. Sofort kroch ich unter dem Tisch hervor und erblickte... eine Tür. Wo war der Aufzug hin?

Ich erschauderte. Sofort wurde mir klar, dass ich aufgrund der Dunkelheit genau in die entgegengesetzte Richtung gelaufen war.

»Da!«, hörte ich eine Stimme plötzlich rufen.

Sofort war ich wieder auf beiden Beinen und rannte regelrecht um mein Leben.

»Na, warte!«, hörte ich Simon schreien.

Mit bebenden Fingern kramte ich die Schlüsselkarte wieder aus meiner Kitteltasche und wollte sie an den Sensor der Tür halten. Aber wegen der Hektik fiel sie aus meiner Hand. Scharf zog ich die Luft ein und bückte mich.

»Mach schon!«, flehte ich und versuchte es erneut. Ein Piepen ertönte.

Ich riss die Tür auf und hätte eigentlich erleichtert aufatmen können, weil ich Simon rechtzeitig entwischt war, aber stattdessen blickte ich in zehn Paare fremder Augen. Und zwei allzu bekannter. Ich stellte fest, dass ich in einer Art Küche gelandet war. 

Dr. Gifford setzte ein Grinsen auf die Lippen. »Verena, schön dich zu sehen. Hast du auch Hunger?« Er biss von seinem Marmeladenbrot ab und grinste erheitert.

Ich blickte in Hadrians eisblauen Augen, die mich abschätzig musterten, dann ließ ich den Blick sinken.

Ich kam hier nie wieder heraus.

Keine Sekunde später ging die Tür auf und Simon packte mich mit behandschuhten Fingern ruckartig am Arm. Ich wehrte mich gar nicht mehr. Es hatte nämlich keinen Sinn. Hier waren ungefähr ein Dutzend Leute, die mich ganz leicht wieder in meine Zelle stecken könnten.

Ich ließ den Blick durch die Küche wandern. Sie sah so normal aus. Kühlschrank, Tische, Spülmaschine, Essensaufzug. Die Wände waren mit weißen Fliesen versehen. Wenn man in diesem Raum aß, könnte man niemals erahnen, was sich wirklich hinter diesem Ort verbarg.

»Simon, lass unserer Patientin doch ihren Freiraum«, meinte Dr. Gifford und legte die Hand auf den Platz neben sich, »Ich würde mich gerne noch ein bisschen mir ihr unterhalten.«

Blazing HeartWhere stories live. Discover now