o14. Ein Gentleman benimmt sich anders

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Ganze sieben Stunden hatte ich im Museum verbracht und mich immer wieder über mich selbst geärgert. Ich hätte heute Morgen achtsamer sein müssen. Und ich hätte mich von Maisie nicht ablenken dürften. Immer wieder ging ich durch den Kopf, wie es gewesen wäre, wenn ich einfach sofort Warrin alarmiert hätte. Wenn ich keinen Moment gezögert hätte. Dann würde ich wahrscheinlich jetzt mit Hanson in einem Café sitzen und ihn näher kennenlernen.

Ich seufzte bedrückt auf und ging noch eine letzte Runde durch das Museum. Zum zwanzigsten Mal schaute ich mir dieselben alten Gemälde und Skulpturen an. Der Wachmeister hatte mich schon angesprochen und gefragt, was ich hier machte. Meine Antwort war gewesen: Keine Ahnung.

Deprimiert ging ich in den Raum mit den historischen Schmuckstücken und schaute noch einmal nach dem Rubin, den ich bewachen musste. Es war eigentlich fast unmöglich ihn zu entwenden. Überall waren Kameras und der Stein selbst befand sich in einer Vitrine aus hoch sicherem Glas, das unzerstörbar schien. Der Sockel, auf dem er stand, war circa einen Meter hoch. Man konnte perfekt auf den großen Rubin blicken. Im Schein des Lichts gab er einen besonderen Rotton von sich.

Anstatt mit Hanson auszugehen, hatte ich also ein Date mit dem schwersten Rubin auf der Welt. Super.

Ich wusste nicht einmal, wozu man so ein Ding gebrauchen konnte. Verkaufen könnte man ihn ja nicht. Dabei würde sofort auffallen, dass er gestohlen wurde. Was wollten die Diebe also mit den schwersten existierenden Edelsteinen anstellen?

Um kurz vor 10 schmiss mich der Wachmeister Ed raus und meinte, ich solle mir ein Leben suchen.

Genervt ging ich draußen auf und ab und fror mir wortwörtlich den Arsch ab. Warrin war so gemein! Ich konnte doch niemals die Nacht durchmachen! Bei den Temperaturen erst Recht nicht.

Immer wieder spielte ich mit dem Gedanken zu gehen, aber ich hatte viel zu große Angst, dass ich es wieder vergeigte und Warrin dann endgültig an die Decke flog... 

* * *

»Ich hasse dich«, lachte ich immer wieder und zog es in die Länge, »Iiiiiich haaaasse diiiiich.«

Mittlerweile war es 3 Uhr Morgens. Ich war einfach nur fertig mit den Nerven. Ich saß auf der Bank neben dem Museum und schickte Warrin immer wieder Nachrichten. Es hatte sich eine große Anzahl von Beleidigungen angesammelt, die ich in meinem Frust auch alle abgeschickt hatte. Er wusste doch, dass ich ihn hasste, es würde ihn nicht überraschen.

Ich ließ den Kopf nach hinten fallen und starrte in den klaren Nachthimmel. Warrin hatte Glück, dass es nicht regnete. Ich verabscheute ihn dafür, dass er sich schön in seiner Kanzlei beschäftigte und ich dagegen in der Kälte hocken musste.

Wieso konnte ich das Böse nicht aus zehn Kilometer Entfernung spüren? Das würde es doch einfach machen! Oder nein, dann würde ich ja immer wie ein Feuerwerk glühen, weil es zu viel Negativität auf einmal wäre.

Ich stöhnte auf. Alles an meinen Fähigkeiten war scheiße. Ich musste im direkten Umkreis sein, um überhaupt etwas wahrzunehmen. Wie ein Magnet, der seinen Gegenpol nur bei einer gewissen Nähe anziehen konnte.

Ich seufzte auf und versuchte nicht auf der Bank einzuschlafen. Das wäre vorhin einmal fast passiert.

Plötzlich hörte ich Schritte. Sofort sprang ich von der Bank auf. »Wer ist da?«, fragte ich erschrocken und blickte in alle Richtungen. Es war 3 Uhr Morgens! Wer schlich Nachts bitte noch herum? Das Einzige, was mich beruhigte, war die Tatsache, dass keinen Funken Wärme spürte. 

Ich sah, wie eine dunkle Silhouette immer näher kam. Es war ein alter Mann, der sich langsam in meine Richtung bewegte. Seine grauschwarzen Haare standen wirr in alle Richtungen ab, seine hellen Augen waren getrübt. Ohne ein Wort zu sagen, setzte er sich auf die Parkbank neben mich und schloss die Augen.

Ich sah, dass er am ganzen Leib zitterte. Beunruhigt rutschte ich auf meinem Platz hin und her. »Alles in Ordnung?«, fragte ich vorsichtig, da er auf mich den Eindruck machte, als ob er gleich das Bewusstsein verlieren würde.

Lautlos nickte er und sah mich an. Dann zogen sich seine Augenbrauen zusammen. »Kind, was machst du hier?«, fragte er mit heiserer Stimme, »Geh lieber nach Hause. Nachts ist es nicht ganz ungefährlich in einer großen Stadt wie dieser.«

Oh, wenn er wüsste, wie klar mir das war.

»Ich weiß...«, murmelte ich.

Der Mann schien irritiert zu sein, dass ich nicht ging. »Vielleicht sollte ich dich fragen, ob alles in Ordnung ist?«, fragte er und zog die Augenbrauen hoch.

Ich seufzte auf. Jetzt unterhielt ich mich auch schon nachts mit Fremden. Mein Leben war Meilen davon entfernt normal zu sein.

»Ja, mit mir ist alles super. Ich warte nur auf jemanden.« Dass dieser jemand ein gesuchter Dieb war, behielt ich dann wohl lieber für mich selbst.

Der Mann schüttelte verbittert den Kopf. »Wenn ein Mann dich in der Kälte warten lässt, dann ist es das nicht wert!«, sagte er plötzlich, »Geh lieber nach Hause.«

Meine Mundwinkel zuckten. »Das brauchen Sie mir nicht sagen. Dass weiß ich bereits.«

Er dachte wirklich, ich würde hier auf einen Kerl warten? Wenn mich ein Typ frierend auf einer Parkbank warten lassen würde, wäre er für mich längst abgeschossen. So jemanden brauchte niemand. Schade, dass das genau auf Warrin zutraf. Er war keineswegs ein Gentleman. Immer musste ich für ihn die Drecksarbeit erledigen.

Ich wollte noch etwas sagen, aber meine Uhr leuchtete auf. Ich schaute auf das Display. Warrin war da. Genau, wenn man vom Teufel sprach.

»Er ist da...«, murmelte ich und sah den alten Mann von der Seite an.

Er zwang sich zu einem Lächeln. »Dann können wir nur hoffen, dass er dich gut behandelt. Pass auf dich auf, Kleines.«

Ich nickte und stand auf. Ich hoffte, dass der Mann sich nicht allzu große Sorgen machte. Schließlich war Warrin ja nur mein Chef und nicht mein Freund. Die Zeit war ja längst vorüber, wenn man das so sagen konnte. 

* * *

Warrin war mal wieder so gütig gewesen und hatte mich auf das Dach bestellt. Während er ohne Probleme da hochfliegen konnte, hatte ich den mühsamen Weg über die Feuerleiter nehmen müssen. Letztendlich hatte er das mit Absicht gemacht, um mich für mein Versagen am Nachmittag zu betrafen. Denn als ich endlich oben angekommen war, war er gar nicht da! Er hatte mich nur nach oben gelotst, um mich erneut zu demütigen.

Wütend kletterte ich die ganze Feuerleiter wieder herunter und durfte um drei Uhr morgens endlich wieder nach Hause.

Ich stöhnte auf, als ich endlich im Treppenhaus angekommen war und die Stufen hochsteigen konnte. Dabei hörte ich immer wieder Stimmen und Gelächter, was mich an Hanson erinnerte, den ich einfach versetzt hatte. Er war noch wach?

Irritiert ging ich die Stufen hoch und blieb vor seiner Haustür stehen. Was ich hörte, brach mir das Herz.

Es war eine Kichern einer Frau, die die ganze Wohnung erfüllte und natürlich Hansons Gerede. Der hatte ja schnell Ersatz gefunden...

Bedrückt starrte ich auf das Paar Stiefel, das vor der Tür stand. Na, dann sollten die zwei sich weiterhin prächtig amüsieren! Es war ja nicht fast vier Uhr morgens.

Aufgebracht betrat ich meine Wohnung, schmiss mich direkt in meine Schlafsachen und legte mich ins Bett. Ich hätte doch wissen müssen, dass das mit Hanson kein Date gewesen war. Wer auch immer bei ihm war, war bestimmt viel hübscher und im Gegensatz zu mir pünktlich gewesen.

Traurig zog ich die Decke an mich. Ich hatte mir völlig umsonst die Mühe gemacht Shoppen zu gehen. Ich hatte Maisie verschreckt, den Juwelierüberfall verpasst, einen unschuldigen Menschen sterben lassen, eine Ewigkeit in der Kälte gesessen und mich von Warrin verarschen lassen.

Bitter lachte ich auf. Mein Leben war ja so fantastisch!

Was hatte ich bloß getan, dass ich so dermaßen leiden musste? 

Mit getrübten Augen starrte ich vor mich hin und dachte an einen Moment in meinem Leben, der mein Leid beinahe beendet hätte. Automatisch griff ich nach der Münze, die ich unter mein Kissen legte, wenn es mir besonders schlecht ging. Fast abwesend ließ ich sie über meine Finger kreisen und verlor mich in der Vergangenheit...

Blazing HeartWhere stories live. Discover now