o61. Der Schrecken kommt nach dem Schock

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Den restlichen Halloweenabend konnte ich nichts Anderes tun, als an Hanson zu denken. Mein Herz raste, wenn ich nur daran dachte, wie sanft er mich immer berührt hatte. Wie liebevoll er mit mir umgegangen war. Wie geduldig er mit mir war. Er war ein wahrer Schatz. So gut, dass ich es kaum in Worte fassen konnte. Und er schien mich wirklich zu mögen...

Manchmal da wünschte ich mir, er würde es nicht tun. Aber dann war ich wieder so unfassbar dankbar, dass es doch einen Mann auf dieser Welt gab, der sich wirklich für mich interessierte. Sonst war niemand solange geblieben. Und selbst jetzt, wo ich ihn weggestoßen hatte, wich er nicht von meiner Seite. Ich war ein schlechter Mensch. Ich behandelte ihn nicht annähernd so gut, wie er mich.

Unzufrieden fuhr ich mir durchs Haar. Wenn ich zu hundert Prozent wüsste, dass er mich trotz meiner Fähigkeiten nicht wegstoßen würde, ich würde es ihm sagen. Ich wünschte mir, ich wüsste, wie Mom sich damals bei Dad gefühlt hat. Hatte sie auch Angst und Zweifel gehabt oder wusste sie von Anfang an, dass sie Dad vertrauen kann? Dad hat erzählt, dass Mom es ihm schon beim dritten Date erzählt hat. Sie hatte anscheinend weniger damit ein Problem gehabt.

Dad erzählte immer von Liebe auf den ersten Blick. Dass er im ersten Moment schon gewusst hat, dass er keine andere Frau haben wollte. Mom war es seinen Erzählungen nach genauso ergangen. Die beiden hatten sich trotz ihrer Unterschiede füreinander bestimmt gefühlt. Warum war das bei mir und Hanson nicht so? Was unterschied unsere Geschichte von der meiner Eltern? Lag es an mir? Oder an Hanson? War meine Liebe zu ihm nicht groß genug? Was machte ich falsch? War es meine Schuld, dass es zwischen uns nicht so war, wie ich es mir wünschte?

Ich raufte mir das Haar. Natürlich war es meine Schuld. Ich war doch diejenige, die sich nicht traute, ehrlich zu sein. Aber ich fürchtete mich einfach viel zu sehr vor dem Moment, in dem es über meine Lippen glitt. Ich fürchtete mich vor Hansons Gesichtsausdruck, vor seiner Reaktion. Dass ich ihm vertraute, stand gar nicht infrage. Ich vertraute ihm. Ich wusste, dass er mein Geheimnis nicht weitererzählen würde.

Aber was war, wenn er mich nicht wollte? Was war, wenn er sich von mir abneigte? Ich war mir sicher, dass egal, wie er reagierte, ich es niemals vergessen würde und mein ganzes restliches Leben von diesem einzigen Moment regiert werden würde. 

* * *

Der weitere Abend verlief angenehm. Durch das Verteilen von Süßigkeiten konnte ich mich selbst ablenken und mal an etwas Anderes denken. Den kleinen Kindern Bonbons zu geben und ihre Freude dabei war unbezahlbar. Jedes Kinderlächeln erfüllte ich mit so viel Wärme, dass ich den Kummer der letzten Tage beinahe vergaß. Und jedes Mal, wenn ich Hanson sah, erwischte ich mich selbst dabei, wie ich mich darüber freute. Trotz aller Ängste raste mein Herz dann immer in so einem Tempo, dass ich nicht mehr mitkam. Ich erwiderte jedes Mal sein Lächeln und fühlte mich von Mal zu Mal besser.

Aber dann kam der Moment, der alles änderte. Es klingelte erneut an der Tür. Ich erwartete wieder ein Kind in süßem Geisterkostüm zu sehen, doch stattdessen erlebte ich den blanken Horror.

Nichtsahnend öffnete die Tür und erschauderte im selben Moment. Thane stand im Türrahmen und trug ein hämisches Grinsen auf den Lippen.

Sofort wich mir jede Farbe aus dem Gesicht. Vor Entsetzen ließ ich die Tüte mit den Süßigkeiten fallen. Die Bonbons verteilten sich rasselnd auf dem Boden.

Ich hätte die Tür nicht öffnen dürfen, schoss es mir schmerzlich durch den Kopf. Ich hätte erst durch den Spion gucken müssen. So wie in den letzten Tagen. Wie konnte ich mich vom Süßigkeitenverteilen nur so dermaßen ablenken lassen? Mein Herz fing an vor lauter Panik zu rasen.

»Was?«, fragte Thane, »Wirklich so entsetzt?«

Ich schwieg und sah ihm dabei zu, wie er sich bückte und ein Bonbon aufhob. Quälend langsam öffnete er das Papier und schob sich den Kirschbonbon in den Mund. »Ich dachte, es wäre klar, dass auch ich mir an Halloween etwas Süßes hole.«

Blazing HeartWhere stories live. Discover now