o86. Ein böses Exemplar von Mensch

1.1K 101 26
                                    

Jede Faser meines Körpers war angespannt. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, geschweige denn, was in Thane vorging. Er war nach wie vor der Mensch, den ich überhaupt nicht wahrnehmen konnte. Egal, wie groß seine Rachegefühle vielleicht waren, ich spürte sie nicht. Würde er Kelly töten oder verschonen?

Aber er müsste doch selbst wissen, was für Konsequenzen sein Verhalten mit sich bringen würde und sterben war garantiert das Letzte, was er jetzt wollte - sonst hätte er gar nicht erst versucht zu fliehen.

Ich ballte die Hände zu Fäusten. »Aufhören!«, gab ich stöhnend von mir, »Hier bringt niemand jemanden um! Ihr habt mein Organ. Jetzt lasst ihr uns gehen. Freiwillig.«

Hadrians blauen Augen gifteten mich an: »Die Operation war zwar erfolgreich, aber ich spüre keine Veränderung! Wir werden dich so lange aufschneiden, bis es endlich klappt.«

Ich hob die Augenbrauen. »Du hast es?«, gab ich überrascht von mir. Hadrian hatte wirklich eins meiner Organe in seinem Körper? Aber wie war das möglich? Hatte die moderne Medizin dafür gesorgt, dass es klappte?

Dr. Gifford setzte ein stolzes Lächeln auf. »Ja, er hat es. Die Operation war mehr als erfolgreich. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wie man es benutzt und wie man genauso wird wie der Held Mr. Ronnoc. Und wenn wir das erreicht haben, dann können wir die Welt vor dem Bösen beschützen. Dann sind wir die Helden.«

Merkte dieser Arzt nicht, was er da von sich gab? Wenn dann musste die Welt vor verrückten Ärzten wie ihn beschützt werden! Dennoch wurde mir durch seine Worte etwas deutlich. Vielleicht hatten wir ihre Bösartigkeit nicht wahrgenommen, weil sie glaubten, dass sie damit Gutes taten...

Vielleicht war Dr. Gifford so durchgeknallt, dass ein paar Leichen für ihn nichts Böses waren, sondern als Opfer für etwas Höheres galten. Vielleicht empfanden all diese Wissenschaftler und Ärzte so. Ja, das musste es sein. Sie dachten alle so. Schließlich war auch Thane nicht im Begriff gewesen, irgendetwas Böses wahrzunehmen.

Der einzige Mensch, der sich bewusst war, dass er Falsches tat, war Simon gewesen. Aber der war nun fort. Fort, weil er Freude am Morden, Freude am Quälen und Jagen hatte. Nun verstand ich alles. Und es war beängstigend. Beängstigend, dass ich Bösartigkeit, die für jemanden keine Bösartigkeit war, nicht wahrnehmen konnte.

Plötzlich ließ Thane Kelly los. Diese fiel auf ihre Knie und krabbelte dann zu Hadrian, der sie sofort in den Arm schloss. Thanes Blick war bohrend. »Du hast vielleicht Recht, alter Mann«, stimmte er Dr. Gifford zu, »Wenn ich sie töte, sterbe ich. Aber ich kenne eine Person, bei der das ganz anders aussieht, weil sie rein gar nichts mehr spürt.«

Plötzlich blickte Thane genau mich an und ich wusste, was er meinte. Ich hatte dafür gesorgt, dass Simon zu Eis gefror. Wenn ich in meinem Zustand Dr. Gifford und Hadrian auch nur zu Nahe kam, würde ihnen dasselbe Schicksal widerfahren. Meine Füße bewegten sich wie automatisch auf den Aufzug zu. Nicht, weil ich sie töten wollte, sondern weil ich einfach nur weg von diesem verdammten Ort wollte.

Dr. Giffords Miene veränderte sich. Plötzlich schien er traurig zu sein. »Verena, ich bin bitter enttäuscht, dass du überhaupt auf solche Gedanken kommst«, sagte er und schüttelte bedauernd den Kopf.

Hadrian hielt immer noch seine zitternde Freundin in den Armen. Die Kälte in mir wurde größer. Natürlich musste ich das tun. Ich hatte ja keine andere Wahl. Ich blieb direkt vor dem Aufzug stehen.

Dr. Gifford versuchte seine traurige Miene aufrechtzuerhalten, aber es gelang ihm nicht. Stattdessen furchte sich seine Stirn. »So weit kommt es nicht«, murrte er dann und strich seinen Kittel zur Seite.

Was sich mir offenbarte, ließ mich erschaudern. Eine Pistole!

Oh, mein Gott, hatte er sie etwa die ganze Zeit bei sich gehabt...?

Blazing HeartWhere stories live. Discover now